Aus Neunkirchen-Seelscheid zum ZDFClaudia Neumann nimmt Angriffe sportlich

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Die prominente Sportreporterin Claudia Neumann stammt aus  Neunkirchen-Seelscheid.

Neunkirchen-Seelscheid – Graue Boyfriend-Jeans, lindgrüner Kapuzenpulli, die blonde Kurzhaarfrisur leicht zerzaust: Claudia Neumann wirkt wie ein Kontrapunkt im plüschigen Foyer des Kölner Savoy-Hotels. Die Sportreporterin, wie kaum eine andere angefeindet in den sozialen Medien, strahlt freundliche Gelassenheit aus. Wir  sprachen mit der 58-Jährigen zwischen der Sportkonferenz des Deutschlandfunks und der Rückfahrt in die Mainzer Redaktion über Segen und Last der Prominenz – und über ihre Kindheit und Jugend in Neunkirchen-Seelscheid. Frau Neumann, „Fußball kann mehr“ heißt Ihre Initiative, bei der es darum geht, Frauen ein stärkeres Gewicht zu geben. Taucht das Wort „Frau“ bewusst im Titel nicht auf? Claudia Neumann: Es geht ja um viel mehr. Um die Kommerzialisierung des Fußballs. Um Missstände, wie in Katar; die Skandinavier haben Proteste angekündigt, die diese WM begleiten werden. Bei der EM wurden schon Zeichen gesetzt: Ich habe noch kein Fußballereignis erlebt, das so politisch war. Es geht um das Streben nach mehr Vielfalt. An den Schaltstellen in Verbänden und in Vereinen hat sich seit Jahrzehnten nichts getan, die Zahlen sind ernüchternd. Im Fußball mit seiner großen gesellschaftlichen Strahlkraft muss sich etwas bewegen.

Ist es denn Zufall, dass zu Ihrem Kreis nur Frauen gehören?

Nein. Bei Recherchen zum Thema Frauen im Profi-Fußball habe ich einige sehr erfolgreiche Frauen getroffen. Die Profispielerin und Mutter Almuth Schult, Ex-HSV-Vorstandsmitglied und Autorin Katja Kraus, Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus; die Funktionärin, die Fan-Vertreterin, die gerade promoviert.

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In den 1980er Jahren: Claudia Neumann und Wolfgang Overath beim Turnier „Unser Dorf spielt Fußball“ auf dem Ascheplatz am Höfferhof.

Aus diesen Begegnungen entstand die Idee, gemeinsam unsere Erfahrungen im Fußball zu bündeln und für Geschlechtergerechtigkeit zu kämpfen. Wir neun haben nach vielen Diskussionen Anfang des Jahres die Initiative „Fußball kann mehr“ gegründet. Es gibt einen großen Unterstützerkreis, Männer und Frauen aus allen Gesellschaftsbereichen.

Sie haben Sport studiert, haben Sie auch selbst Fußball im Verein gespielt?

Ich habe auf dem Bolzplatz gekickt, mit meinem älteren Bruder, mit Freunden. Das war für mich ganz normal. Dass Mädchen im Verein mit Jungen trainieren und spielen, das gab es damals nicht. Mit Frauenfußball konnte ich seinerzeit nicht viel anfangen. An der Uni habe ich Fußball als Schwerpunkt gehabt – meine Position war die klassische Neun –, was mir im Sportjournalismus geholfen hat.

Sie waren die Exotin?

Eigentlich nicht. Ich habe im Team mit ambitionierten, jungen Kollegen und Kolleginnen gearbeitet.

Zur Person

Claudia Neumann studierte nach dem Abitur am Antoniuskolleg   Germanistik, Pädagogik und Sport in Bonn, arbeitete  bei RTL und SAT1 und ist seit 1999 Redakteurin und Reporterin in der Hauptredaktion Sport des ZDF. 2020 erschien ihr Buch „Hat die überhaupt ’ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten? Wie ich lernte, das Leben sportlich zu nehmen“.

In der Männerdomäne Fußball bewegt sich wohl auch durch Neumanns Initiative etwas, das zeigt die aktuelle Wahl des DFB-Vizepräsidenten, wo mit der Sportwissenschaftlerin Silke Sinnig überraschend eine Frau gegen den siegessicheren, erfahrenen Rainer Koch antrat und deutlich gewann. (coh)

Ich verstand durch die Praxis halt mehr vom Fußball als die meisten Frauen. Von Vorteil war mein Einstieg bei den privaten Sendern, zuerst RTL, dann SAT1, wo mehr in Bewegung war, seinerzeit junge Macher mutig und kreativ agierten. Dort habe ich mein Handwerk gelernt, bin dann 1999 zum ZDF gewechselt, die seriöse Berichterstattung bei den öffentlich-rechtlichen liegt mir doch mehr.

Sie waren oft die Erste, doch 2016 wurde alles anders. Sie gerieten durch ihre Live-Berichterstattung bei der Männer-Europameisterschaft in den Fokus, ernteten seitdem mehr als einen Shitstorm. Und müssen nun immer wieder Fragen beantworten zu Hass und Häme. Nervt Sie das?

Ich habe einen tollen Job, habe die höchste Stufe genommen, darf 90 Minuten Männer- und Frauenspiele live kommentieren vor einem Millionen-Publikum. In den sozialen Medien bewege ich mich nicht. Ich ignoriere das Meiste.

Das ZDF hat in einigen Fällen Anzeige erstattet wegen Beleidigung, was ist daraus geworden?

Ich habe da tatsächlich mal nachgefragt, das ist alles eingestellt worden.

Wie erklären Sie sich die Angriffe?

Auch männliche Kollegen müssen sich beleidigen lassen. Sachliche Kritik dagegen ist jederzeit okay, denn wir alle machen Fehler. Dass ich als Reporterin ein Fußballspiel analysiere und erkläre, das scheint für einige wohl zu viel. Aber darum kann es doch nicht gehen.

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Claudia Neumann ist seit 1999 Redakteurin und Reporterin in der Hauptredaktion Sport des ZDF. 

Mir hat mal ein älterer Herr geschrieben, dass ihn seine Frau beim Fußballgucken nervt, wenn sie dazwischenredet. Ich würde das zwar fachlich gut machen, er würde aber lieber männliche Stimmen hören. Ich habe ihm höflich geantwortet, dass ich das okay finde, er sei das so gewöhnt, vielleicht sehe er das in fünf Jahren anders, wenn mehr Frauen kommentierten. Beschimpfungen übelster Art gibt es auch anderswo, Politikerinnen haben viel mehr auszuhalten, vor allem, wenn sie keine weiße Hautfarbe haben. Das ist erschütternd und beschämend zugleich.

Wie begegnen Ihnen die Fans im Stadion?

Ausnahmslos freundlich und anerkennend. Diese Prominenz, die ich erlangt habe, habe ich nie angestrebt, die wird meiner Person auch nicht gerecht. Als Reporterin habe ich ja schon Jahrzehnte gearbeitet, nur nicht in diesem Fokus. Plötzlich wurde ich auf Podien eingeladen, man bekam Preise, nur weil man Frau war.

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Da hab ich überlegt, was fange ich damit an? Beruflich habe ich alles erreicht, möchte nur noch Spaß haben an der Sache. Jetzt ist es an der Zeit, mich, wenn auch spät, für gesellschaftliche Entwicklungen einzusetzen, meine Vorbildrolle anzunehmen. Ich habe einen anderen Blick auf die Dinge bekommen. Dazu gehört auch die Quote, die ich früher immer abgelehnt habe. Es geht nicht darum, Frauen um jeden Preis zu installieren, sondern immer auf der Basis von Kompetenz und Qualität; da fragt bei Männern keiner nach.

Spielen Sie selbst noch Fußball, sind Sie Fan?

Ich spiele nach zwei Bandscheibenvorfällen und Knieproblemen vor allem Tennis. Der FC liegt mir am Herzen – ich lebe in Wiesbaden, komme aber noch oft ins Rheinland, meine Familie lebt hier, meine alten Schulfreunde vom Antoniuskolleg. Die Entwicklung beim FC mit dem neuen Trainer gefällt mir. Der Fußball braucht Emotionen.

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