- Der medizinische Wahn der Nazionalsozialisten forderte auch im Rhein-Sieg-Kreis viele Opfer.
- Eine zentrale Rolle spielten dabei die Amtsärzte, die Anträge auf Zwangssterilisation unterschrieben.
- In Hennef berichtete Ansgar Sebastian Klein, was die Historiker heute über das dunkle Kapitel wissen.
Hennef – „Läppisch, vergesslich und renitent“, so wurde die damals 24-jährige Sophie T. aus Geistingen 1937 in einem amtsärztlichen Gutachten für das Gesundheitsamt Siegburg charakterisiert. Für die Behörde Anlass genug, die junge Frau wegen angeblicher erblicher Schizophrenie gegen ihren Willen sterilisieren zu lassen.
Der Historiker Ansgar Sebastian Klein schilderte in seinem Vortrag in der Meys Fabrik, wie die Gesundheitsideologie der Nationalsozialisten ab 1935 auch im heutigen Rhein-Sieg-Kreis Opfer forderte. „Auf Basis des 1934 in Kraft getretenen sogenannten Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses konnten Personen zum Schutz der Volksgesundheit, wie es hieß, auch gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht werden“, erläuterte Klein.
3000 Anzeigen im heutigen Rhein-Sieg-Kreis
Ins Visier gerieten Kranke, bei denen erblich bedingter „Schwachsinn“, „Fallsucht“ oder Schizophrenie vermutet wurde, aber auch Gehörlose oder schwer körperlich Behinderte. Nach einer Anzeige, häufig von Ärzten aus Pflegeeinrichtungen, erstellte das Gesundheitsamt ein Gutachten, auf dessen Basis das in Bonn angesiedelte Erbgesundheitsgericht über eine Sterilisation entschied. Diese wurde dann in der dortigen Uniklinik durchgeführt.
„Anhand der erhaltenen Akten wissen wir von mindestens 3000 Anzeigen im heutigen Rhein-Sieg-Kreis wegen angeblicher Erbkrankheiten, alleine 242 davon in Hennef“, berichtete Klein. Eine zentrale Rolle spielten damals die Amtsärzte, wie der Siegburger Dr. Bruno Bange, der viele Anträge auf Zwangssterilisation unterschrieb. Wie sechs der insgesamt sieben Ärzte des Siegburger Gesundheitsamts war er Mitglied der NSDAP. Konsequenzen hatte seine Mitwirkung an den Zwangssterilisationen für Bange nicht: Schon bald nach Kriegsende war er wieder für die Behörde tätig.
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Die mehr als 100 Zuhörer folgten spürbar erschüttert Kleins betont nüchternem Vortrag, der nicht verschwieg, dass wesentliche Teile des Gesetzes bis 1992 auch noch in der Bundesrepublik angewendet wurden. Erst 2007 wurde das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom Bundestag zum Unrecht erklärt. Es hatte auch die Weichen für ein noch größeres Verbrechen gestellt, die von Adolf Hitler persönlich angeordnete Tötung behinderter Menschen. Ihr sollten Kranke wie die 1894 in Allner geborene Katharina Adolphs zum Opfer fallen. Bei ihr wurde 1935 der Antrag auf Sterilisation wegen angeborenen Schwachsinn und Schizophrenie gestellt, den das Erbgesundheitsgericht allerdings mit der Begründung ablehnte, Adolphs sei schon 41 Jahre alt und habe sich nie für Männer interessiert. Sie kam später in die Bonner Provinzial-, Heil- und Pflegeanstalt: Von dort wurde sie in die Tötungsanstalt Hadamar in Mittelhessen eingeliefert, wo sie wenige Tage nach ihrer Ankunft im Juni 1941 in der Gaskammer ermordet wurde. Adolphs gehört mit Peter Jonas, Therese Müller, Johann Prangenberg, Anna Zimmermann und Anna Wilden zu den sechs namentlich bekannten Hennefer Bürgern, die in Hadamar getötet wurden.