Der Wert des SozialenUnbequeme Wahrheiten bei der Reformationsfeier

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Reformationsfeier in der Johanneskirche in Troisdorf mit Fundraiser Ulrich T. Christenn.

Reformationsfeier in der Johanneskirche in Troisdorf mit Fundraiser Ulrich T. Christenn.

Troisdorf – Pfarrer Ulrich Christenn weiß genau, wie er sich die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sichert. Der oberste Spendensammler des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe griff bei der via Livestream übertragenen Reformationsfeier in der Johanneskirche in seine Brieftasche, zog einen Zehn-Euro-Schein hervor und zündete ihn kurzerhand an. Ein bewusst spektakulärer Effekt, um darüber nachzudenken, was eigentlich den Wert von Geld und seine Bedeutung für das Soziale ausmacht.

Frage des Blickwinkels

Christenn verwies darauf, dass der vermeintliche Eklat letztlich eine Frage des Blickwinkels ist: „Diese zehn Euro sind für viele Menschen in Deutschland viel Geld. Andererseits verbrennen wir in diesem Land tagtäglich Millionenwerte.“ Tonnen von Lebensmitteln werden vernichtet, intakte Möbel- und Gebrauchsgegenstände landen auf dem Sperrmüll, weil man sich neu einrichten will, unzählige funktionstüchtige Handys vergammeln in Schubladen, weil sie durch neue Modelle ersetzt werden. Mehr noch: „Jedes dritte Kleidungsstück, das produziert wird, wird nie getragen, jeden Tag lösen sich 250 bis 300 Millionen Zigaretten in Luft auf.“

Zuvor hatten schon Pfarrerin Ines Siebenkotten und Pfarrer Ingo Zöllich die Gottesdienstbesucher daran erinnert, dass schon Luther seine Zeitgenossen in Sachen sozialer Verantwortung in die Pflicht genommen hat. Bis heute durchaus mit Erfolg, wie Christenn festhielt: „Menschen mit konfessioneller Bindung spenden deutlich mehr als der deutsche Durchschnitt.“

Nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung spendet

Überhaupt geben nur gut 30 Prozent der Bevölkerung etwas von ihrem Einkommen für gemeinnützige Zwecke ab, sie sorgen für ein jährliches Spendenvolumen von etwa fünf Milliarden Euro. Dies entspricht in etwa dem Jahresumsatz der deutschen Tuning-Branche. Christenn erinnerte daran, dass Deutschland im Grundgesetz als Sozialstaat definiert wird – mit den damit verbundenen immensen Kosten, die von Jahr zu Jahr steigen: „Jeder dritte Euro, der in Deutschland erwirtschaftet wird, wandert ins Soziale.“

Gerade in Zeiten von Corona beweise ein solides Gemeinwesen seinen Wert, sagte der Seelsorger und ordnete scheinbar selbstverständliche gesellschaftliche Errungenschaften ein. Demnach schlägt eine Krankenhaus-Geburt ohne Komplikation mit etwa 1800 Euro zur Buche, „also so viel wie die Sendeminute einer TV-Talkshow kostet.“

Gegenwert einer Dauerkarte

Für eine simple Schuldnerberatung werden etwa 700 Euro angesetzt, der Gegenwert einer Dauerkarte für einen Fußball-Bundesligisten. Abschließend erinnerte der Spendenexperte daran, dass die Diakonie im Rahmen der häuslichen Pflege etwa 25 Euro für die Ganzkörperwäsche hochbetagter Senioren abrechnet:

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„Wenn man bedenkt, dass ein Pflegedienst 70 Euro pro Stunde erwirtschaften muss, weiß man, wie viel Zeit so eine Ganzkörperwäsche höchstens in Anspruch nehmen darf.“

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