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Lebensfreude ohne Verfallsdatum„Forever young“ – So ist es mit Anfang 30 auf einer Ü30-Party

5 min
Die Discokugel dreht sich und sorgt bei der Ü30-Party in der Stadthalle Troisdorf für eine besondere Atmosphäre.

Die Discokugel dreht sich und sorgt bei der Ü30-Party in der Stadthalle Troisdorf für eine besondere Atmosphäre.

Unser Autor ist 31 und hat sich zum ersten Mal auf eine Ü30-Party getraut. Wie es ihm da gefallen hat? Überraschend gut.

Ich habe lange gebraucht, bis ich mit meinem Outfit für den Abend zufrieden war: Kein gemustertes Hemd, kein schwarzes, lieber das Shirt mit Super-Mario, der in eine Nintendo-Supernova blickt – damit fühle ich mich unbesiegbar. Ich bin 31 Jahre alt und heute für eine Ü30-Party verabredet. Alt genug wäre ich ja – aber bin ich tatsächlich schon bereit, unter Leuten zu feiern, die nicht unbedingt alt, aber definitiv nicht mehr jung sind?

Vor der Troisdorfer Stadthalle treffe ich Clara (30), die ich fast mein halbes Leben kenne, und ihren Mann Fritz (32). Die beiden haben zwei Kinder, vier und sieben Jahre alt, die heute bei den Großeltern übernachten. Die Security-Mitarbeiterin am Eingang drückt uns einen verschmierten Stempel auf den Handrücken.

Unser Autor (Mitte) mit seinen Freunden Fritz und Clara auf der Ü30-Party in der Troisdorfer Stadthalle.

Unser Autor (Mitte) mit seinen Freunden Fritz und Clara auf der Ü30-Party in der Troisdorfer Stadthalle.

Den hätte man auch abdrücken können. Wie früher. Apropos: Wenn ich damals, obschon volljährig, glattrasiert vor die Türsteher trat, fragten mich diese stets nach meinem Ausweis. Heute gibt es Clubs, in denen ich definitiv der Älteste wäre. Wie lang ist das bitteschön her? An der Tür zur Stadthalle hätte ich mir gewünscht, jemand hätte einen Altersnachweis gefordert.

Rhythmus – wiedergefunden wie ein verlorenes Schmuckstück

Mein Anflug von Midlife-Crisis ist schnell vorüber, denn der DJ im Foyer der Stadthalle spielt „Achterbahn“, meinen Lieblings-Schlagersong. Das Publikum ist auffallend jung: Mehr Menschen zwischen 30 und 35 haben sich schick gemacht als die jenseits der 50. Einige Herren Mitte 40 lehnen wie unbeteiligt an den Stehtischen, beobachten lieber, die Hemden über dem Hosenbund, die Hände in den Taschen. Sind die bloß cool oder doch unsicher? Mir läuft eine Bekannte über den Weg, von der ich weiß, dass sie erst 24 Jahre alt ist. Offenbar ist das Label „Ü30“ kein Ausschlusskriterium.

Eine Frauengruppe groovt gut gelaunt über die Tanzfläche, die Jahrzehnte im Gepäck, in einem Rhythmus, wiedergefunden wie ein verlorenes Schmuckstück. Die Halle ist gut gefüllt, Platz zum Tanzen gibt es trotzdem genug. Manche bewegen sich leichtfüßig wie Windspiele, andere erdig und schwer, als wollten sie mit jedem Schritt die Erde daran erinnern, dass sie noch da sind. 

Es ist eigentlich doch gar nicht so schlimm, 30 zu werden

Bei mir ist der Funke gemäß meinem Naturell noch nicht ganz übergesprungen. Meine Dance-Moves liegen irgendwo zwischen Aerobic und fahrlässiger Körperverletzung. Der DJ spielt „Mr. Vain“ und „Rhythm Of The Night“. „Bis hierhin könnte es auch eine 90er-Party sein“, merkt Fritz an. Nun ja, wir waren da gerade geboren, andere hier im Saal drückten da schon Stempel auf Handrücken oder positionierten sich unrasiert vor Türstehern.

Eigentlich ist es gar nicht schlimm, 30 zu werden, habe ich vor knapp zwei Jahren festgestellt. Das Problem ist nur, dass auch alle anderen 30 werden. Alle haben einen Job, ich habe Langeweile, keiner hat mehr Bock auf kiffen, saufen, feiern. Wie zum Beweis holt Fritz sein Handy hervor, zeigt den Chatverlauf in einer WhatsApp-Gruppe. „Das sind alles Freunde, die jetzt Kinder haben. Da fragt man, wer Zeit für ein Bier hat und niemand meldet sich“, sagt er, während er durch die Kehrseite des Familienglücks scrollt.

In so einer Chatgruppe bin ich auch, deswegen zeige ich ihm mein Handy mit den Absagen kinderloser, aber verheirateter oder liierter Enddreißiger. „Immerhin antworten sie dir noch“, sagt Fritz aufmunternd.

Mit Kölsch-Cola in der Schlagerparty versinken

Wie ist das eigentlich mit Dating über 30? Die Dekade mit der 3 vorn ist nicht nur die der ersten Hochzeiten, sondern auch die der ersten Scheidungen. Ich ging früher nicht gern tanzen, ging es in Clubs doch bloß immer ums Abschleppen und abgeschleppt werden. Klappte bei mir eher selten. Trophäen ohne Glanz.

Ich könnte einen der Hagestolze fragen, wie das mit dem Weggehen im fortgeschrittenen Alter denn so ist, aber die schwofen gerade beseelt zum Pur-Hitmix über die Tanzfläche. Ich nehme mein halbleeres – nicht halbvolles – Glas Kölsch-Cola und versinke in der Schlagerparty.

Gute Stimmung herrscht bei der Ü30-Party in der Stadthalle Troisdorf.

Gute Stimmung herrscht bei der Ü30-Party in der Stadthalle Troisdorf.

Die Musik ist eine Art Kompass, der mal nach gestern, mal nach morgen zeigt. Vertraute Bewegungen, ein Lächeln, das längst in alten Fotoalben lebt. Zwischen all dem bewegt sich der Zauber der Freiheit, nichts mehr beweisen zu müssen. Und wenn sich zwei Menschen finden – für ein Gespräch, einen Tanz, einen flüchtigen Moment des Wiedererkennens – dann glimmt etwas auf, das man nur schwer benennen kann. Vielleicht die Erkenntnis, dass Lebensfreude kein Verfallsdatum besitzt, als wäre Alter eine Zahl, die man an der Garderobe abgegeben hat. Möchte ich jemals wieder 21 sein, frage ich mich, unsicher, hochmütig.

Meine Freunde genießen den Abend sichtlich, die anderen Gäste auch – als hätte jemand die Zeit in funkelnde Konfetti geschnitten und über sie gestreut. Der DJ spielt ein paar Rocksongs. „Das war unser Abi-Song“, schreit mir Clara ins Ohr, als „Kompliment“ läuft und die Schaumkrone der Woge der Begeisterung durch die Stadthalle wogt. 2013 fühlt sich auf einmal an wie vorgestern, als seien seitdem nicht so viele Tränen geflossen, Träume zerplatzt oder Herzen gebrochen. Das Tanzparkett ist mittlerweile, weit nach Mitternacht, deutlich leerer. Die Bardame blickt mit dem Kinn auf die Hand gestützt in die Lücken der Mattigkeit. Durchmachen, bis die Sonne aufgeht, ist ab 30 irgendwie auch nicht mehr.

Auch Clara und Fritz verabschieden sich, die Kinder kommen ja morgen früh von den Großeltern zurück. „Vielleicht“, sagt Clara noch, „geht es bei der Ü30-Party gar nicht darum, die Jungen auszuschließen, sondern die Älteren zu motivieren.“ Ich bleibe noch ein bisschen, als die beiden in den Bus steigen, ich mag die Stimmung gerade, das kollektive Herzschlagen. Und der DJ spielt „Forever Young“.