„Führen Sie keine Waffen mit“Polizei verteilt Flyer mit Verhaltensregeln für Feiern

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Flyer

Eine junge Frau betrachtet einen Flyer der nordrhein-westfälischen Polizei mit Verhaltensregeln für Hochzeitsgesellschaften.

Düsseldorf – Die Polizisten glaubten erst an einen Unfall, als vor ihrem Streifenwagen mehrere Luxusautos mit Warnblinkanlage den Verkehr auf der A3 bei Ratingen (NRW) ausbremsten. Die Beamten fuhren näher ran - und trauten ihren Augen kaum: Vor der Autoblockade brannte ein Ford Mustang-Cabrio mit quietschenden Reifen eine kreisrunde Bremsspur in die Fahrbahn. Im geöffneten Verdeck stand der Beifahrer und machte Fotos und Videos.

„Die Blumendekorationen auf und an Fahrzeugen sowie die Äußerungen und Kleidung der Beteiligten sprachen dafür, dass es sich um eine Hochzeitsgesellschaft handelte“, berichtete Innenminister Herbert Reul (CDU) wenige Wochen später im Düsseldorfer Landtag. Heute, rund zweieinhalb Monate nach der A3-Blockade, nennen Ermittler die Aktion intern die „Mutter aller Hochzeits-Korsos“. Denn danach gab es für die Feiernden anscheinend kein Halten mehr: Jedes Wochenende rückte die Polizei zu Dutzenden Einsätzen aus. Anrufer meldeten weitere Straßenblockaden, außerdem 36 Mal Schüsse, immer wieder Bengalos, lange Korsos und einmal auch 50 Autos, die in Köln hintereinander in zweiter Reihe parkten.

Flyer werden verteilt

Innenminister Reul ließ ein Lagebild erstellen. Die Düsseldorfer Polizei stürmte - samt Spezialeinsatzkommando - die Wohnungen der A3-Blockierer, um die Hochzeitsfotos von der Autobahn zu sichern.

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Den Hintergrund des Phänomens hat das Innenministerium in seinem Lagebild recht nüchtern analysiert: „In Deutschland lebende türkische Staatsangehörige sowie Personen mit entsprechendem Migrationshintergrund haben seit Generationen die Bräuche und Sitten tradiert. Aus diesem Grund wird das Hochzeitsfest oftmals traditionell begangen. Zu den Bräuchen am Hochzeitstag zählt insbesondere die Abholzeremonie.“

Damit eine solche nicht weiter eskaliert, verteilt die NRW-Polizei seit dieser Woche auch noch Broschüren an Moscheen, in türkischen Brautmodeläden und Festsälen. Motto: Alles Gute zur Hochzeit, aber benehmen Sie sich!

„Provozieren Sie keine Staus“, „Führen Sie keine Waffen mit“, heißt es unter anderem in dem Papier. Ansonsten drohe das „Durchsuchen von Hochzeitsgästen und Fahrzeugen“, sowie Bußgelder und sogar Freiheitsstrafen. Anlass für die Verteilaktion: Das Ende des Ramadan. Während des Fastenmonats gingen die Vorkommnisse laut Polizei fast auf Null zurück - da kaum muslimische Hochzeiten gefeiert wurden. Jetzt könnte es wieder los gehen. Die Ermittler fürchten, dass der Sommer noch mehr Feiernde auf die Straßen lockt.

„Verderben Sie sich nicht den besonderen Tag“

Ausufernde Hochzeits-Fahrten gibt es nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Die Polizei in Bremen verteilt bereits seit 2018 Handzettel in deutscher und türkischer Sprache, um Hochzeitsgesellschaften vor der Eskalation zu warnen („Verderben Sie sich nicht den besonderen Tag“). Bebildert ist der Flyer stilecht mit einer Stretch-Limousine. Anlass waren Hochzeits-Korsos, die bereits 2017 eskaliert waren. Tülay Koca (51) hat einen Verdacht, warum auch die Polizei in NRW plötzlich so häufig wegen Hochzeitsgesellschaften ausrücken muss: „Das liegt sicherlich an den Sozialen Medien. Diese Auto-Korsos werden ja alle gefilmt und verteilt. Und dann will jeder noch cooler sein als der andere“, sagt die Türkin, die in Essen den populären „Prenses Palace“ führt. In dem Festsaal für 500 Personen werden jeden Freitag, Samstag und Sonntag Hochzeiten gefeiert. „Nur im Ramadan und in den Ferien ist es ruhiger“, so Koca.

Seit 15 Jahren organisiert sie Hochzeiten - eine Zuspitzung wie in den letzten Monaten kannte Koca bisher nicht. Den Flyer der Polizei will sie auf jeden Fall verteilen, am besten „gleich dem Vertrag beilegen“. Denn Verständnis hat sie für Schüsse und Sperren nicht: „Eigentlich soll es darum gehen, auszudrücken, dass man seine Freude mit dem Brautpaar teilt. Ein Stau oder Waffen haben damit nichts zu tun.“

So rückten nun ein „paar Bekloppte“ türkische Hochzeiten generell in ein schlechtes Bild. „Wobei die Beteiligten ja oftmals nicht mal Türken sind“, betont Koca. Da hat sie recht: Bei der Blockade auf der A3 sollen laut Innenministerium auch ein Deutsch-Marokkaner, ein Deutsch-Pole, ein Deutsch-Kosovare und ein Tunesier dabei gewesen sein. Schlechtes Benehmen kennt keine Grenzen. Dass ein schwer bewaffnetes Spezialeinsatzkommando bei den Razzien gegen die Autobahn-Blockierer beteiligt war, macht auf viele Feiernde vielleicht mehr Eindruck als ein Flugblatt. Aber Innenminister Reul geht noch weiter: So soll jetzt auch die Polizeifliegerstaffel eingesetzt werden, um Hochzeits-Korsos zu verfolgen.

So könne die Strafverfolgung „beweissicherer“ gemacht werden, teilte Reul seinen Polizeidienststellen mit. Hintergrund: In etlichen Fällen hatten die Feiernden sich mit ihren Autos schon aus dem Staub gemacht, wenn die Polizei eintraf. Was bleibt, sind dann Polizeinotizen wie vom 14. April in Essen: „Hinweise auf Pkw-Konvoi und Schussabgabe mit einer Schreckschusswaffe. Sicherstellung von zwei Patronenhülsen. Fahndung negativ.“ (dpa) 

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