Seit Ende Juni ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft. Es verpflichtet dazu, digitale Angebote barrierefrei zu gestalten.
BarrierefreiheitBlinde Menschen im Rhein-Sieg-Kreis stoßen trotz Gesetz auf viele Hindernisse

Am 28. Juni ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft getreten, die Übergangsfrist ist aber 15 Jahre lang. Matthias Klaus ist Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Bonn/Rhein-Sieg.
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Matthias Klaus ist blind, seit er im Jahr 1964 zur Welt kam. „Blindsein ist lästig“, sagt er. Aber: „Man kann damit klarkommen.“ Bessere Gesetze könnten sein Leben wie das anderer blinder oder stark sehbehinderter Menschen deutlich erleichtern. „Ich muss oft um Hilfe bitten“, erklärt Klaus, „das will ich nicht noch öfter tun.“
Private Dienstleister müssen aktiv werden
Seit 2022 gibt es ein Gesetz, das viele digitale Hürden beseitigen soll, seit dem 28. Juni ist es in Kraft: das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Zum ersten Mal verpflichtet das Gesetz mit dem langen Namen auch private Dienstleister – „die mussten bislang gar nix“ –, ihre Angebote entsprechend anzupassen: Das gelte für Shoppingseiten im Internet, für Bankdienstleistungen oder auch Apps im ÖPNV, erklärt Matthias Klaus. Ebenso müssen Geräte wie E-Reader oder Fernseher nun auch für blinde Menschen bedienbar sein.

Ein Anschluss für Kopfhörer an einem Geldautomaten – neue Geräte der VR-Bank Bonn/Rhein-Sieg verfügen seit einigen Jahren darüber.
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„Das ist technisch möglich“, sagt Matthias Klaus: an Geldautomaten zum Beispiel über einen Anschluss für einen Kopfhörer. Oder über eine Sprachausgabe, die Bedienungsanleitungen vorliest und die Programmwahl am Fernseher ermöglicht. „In England werden Fernseher ohne Sprachausgabe gar nicht mehr verkauft“, weiß Klaus, der seit 34 Jahren als Redakteur für die Deutsche Welle arbeitet. Auch in den USA sei man weiter, dort gebe es schon lange den persönlichen Anspruch darauf, dass Internetseiten barrierefrei seien.
Seit 2002 definiert in Deutschland ein Gesetz die Barrierefreiheit
Was Barrierefreiheit bedeutet, definiert seit 2002 auch das deutsche Behindertengleichstellungsgesetz: Barrierefrei sind demnach Gebäude, Verkehrsmittel, technische Geräte oder IT, „wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind“.

Am 28. Juni ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft getreten, die Übergangsfrist ist aber 15 Jahre lang. Matthias Klaus ist Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Bonn/Rhein-Sieg.
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„Wenn vor dem Gebäude eine Rampe ist, gilt das als barrierefrei“, übersetzt das Matthias Klaus, der Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Bonn/Rhein-Sieg ist. Nicht aber, wenn der Mensch im Rollstuhl an der Rückseite des Gebäudes nach einem Pförtner läuten muss, um hineinzukommen.
Wir brauchen Bestimmungen, die jetzt gelten
Im Digitalen seien einige der Anbieter sehr gut, andere aber hätten in den vergangenen Jahren die Hände in den Schoß gelegt. Dafür macht Matthias Klaus vor allem zwei Gründe aus. Da sind zum einen die langen Übergangsfristen von bis zu 15 Jahren für die Umsetzung. „Wir brauchen Bestimmungen, die jetzt gelten“, zum Beispiel für Fahrkartenautomaten an Bahnhöfen.
An vielen kleineren Stationen gebe es kein Personal, die Automaten seien für blinde Menschen nicht nutzbar. Dabei sind sie besonders auf den ÖPNV angewiesen, da sie nicht Auto fahren können. „Eine Katastrophe“ sind für Klaus auch die Packstationen der Post: „Das Ding spricht nicht“ – das aber ist zwingend notwendig für Menschen ohne oder mit nur sehr schwachem Sehvermögen.
Vereinsvorsitzender kritisiert zu niedrige Bußgelder
Zum anderen seien die Bußgelder mit höchstens 100.000 Euro für große Unternehmen viel zu gering. „Da ist man sehr gnädig“, sagt der Vereinsvorsitzende. Völlig ausgenommen von den neuen Bestimmungen sind, so Klaus, Arztpraxen. „In der Behindertenrechtskonvention steht das Paradies“, aber: „Man kann das nicht einklagen.“
Dennoch hoffen Matthias Klaus und die derzeit etwa 300 Vereinsmitglieder, „dass diese Dinge für uns langsam mal aus dem Quark kommen“. Auch Aufklärung sei dafür wichtig: Viele Menschen könnten sich nicht vorstellen, dass er – und andere Blinde – ein Smartphone nutzen. Mit eingebauten Funktionen surft er im Internet, navigiert, macht Fotos.
Teilhabe ist, wenn Sie nicht zu Hause bleiben
Musste er früher jeden Brief vorlesen lassen, erledigt das heute sein Handy. „Weil viele das nicht wissen, fragen sie sich: Warum soll ich da was machen?“ Die Sprachausgabe im Internet beispielsweise funktioniert aber nur, wenn die Seiten vorher entsprechend programmiert wurden.
Ob es heute mehr blinde oder stark sehbehinderte Menschen gibt? Das glaubt Matthias Klaus eher nicht, der allerdings genaue Zahlen nicht kennt. Tatsächlich aber würden immer mehr Menschen sehr alt und könnten immer schlechter sehen. Anders als in seinem Geburtsjahr, als manchen Eltern ihre blinden Kinder noch peinlich waren, verstecke sich auch heute niemand mehr: „Teilhabe ist, wenn Sie nicht zu Hause bleiben.“