Weidel und ChrupallaWo die Welt für die AfD noch in Ordnung ist

Lesezeit 3 Minuten
Chrupalla und Weidel

Alice Weidel (l.) und Tino Chrupalla in Görlitz 

In Görlitz ist die Welt der AfD noch in Ordnung. Hier hat sie vor vier Jahren ihren größten Sieg errungen – ein bis dahin unbekannter Malermeister nahm dem profilierten CDU-Wahlkreisabgeordneten das Direktmandat ab. Tino Chrupalla spülte dieser Sieg bis an die Spitze der Partei, Michael Kretschmer wurde Ministerpräsident und Lieblingsgegner der AfD. Als AfD-Spitzenkandidat muss Chrupalla das Direktmandat nun verteidigen und die Partei bei der Bundestagswahl stabil halten. In Sachsen ist das einfacher als anderswo. Hier steht die Rechtspartei, die vor vier Jahren ganz knapp stärkste Kraft im Land wurde, ganz oben auf dem Wahlzettel.

Die Görlitzer Getreuen kommen in Scharen, wenn Chrupalla mit seiner Co-Spitzenkandidatin Alice Weidel auf dem Marienplatz auftritt. Gut 500 Menschen drängen sich dicht an dicht, Maske trägt keiner.

Für die anderen Parteien taugte das Thema Corona-Maßnahmen im Wahlkampf nicht zur Profilierung. Die AfD geht voll drauf. Hier hat sie ein Thema gefunden in einer Kampagne, die an ihrer Beliebigkeit krankte. Der Kampagnenslogan „Deutschland, aber normal“ verfing nur bei den Stammwählern. In Görlitz schwillt der Applaus für Weidel an. „Nie wieder Lockdown“, ruft sie, „keine Impfpflicht“ und schließlich „Hände weg von unseren Kindern“. Chrupalla spricht unter wütendem Applaus von einer „multimedialen Angstindustrie“.

„Wer AfD wählt, hat kein Herz“

Der Gegenprotest besteht hier aus zwei Dutzend jungen Leuten mit Regenbogenfahnen und FFP2-Masken. Polizisten achten grimmig darauf, dass sie nicht zu laut sind. „Wer AfD wählt, hat kein Herz“, ruft einer kurz.

Es ist der einzige gemeinsame Auftritt des Spitzenduos im Herzland der Partei. Weidel kommt im Wahlkampf nur dieses eine Mal nach Sachsen. In der Partei grummelte es hörbar darüber, wie rar die Spitzenfrau ihre Termine sät. Der Missmut wuchs in einem Wahlkampfsommer, in dem die AfD kaum vorkam. Vom beispiellosen Absturz der Union profitiert sie in den Umfragen nicht. Sie behält ihre Basis knapp unterhalb des Niveaus von 2017. Ein „solides Ergebnis“ erwartet die Parteispitze – und hofft auf den Osten. Eine gerupfte, verunsicherte Union könnte die AfD bald als Machtoption in den Ost-Ländern annehmen, hoffen viele. Und im Bund schauen die Strategen bereits auf 2025.

Das könnte Sie auch interessieren:

Diese Wahl ist bereits abgehakt und eingetütet. Die Partei hat sich in ihrer Nische gefestigt. Parteigrößen sehen das als Erfolg und befürchten dennoch neue Unruhe direkt nach der Wahl. Chrupalla und Weidel haben zwar als Spitzenkandidaten den ersten Zugriff auf den Fraktionsvorsitz, bei einem mäßigen Ergebnis müssen sie aber mit Gegenkandidaten rechnen.

Der Verfassungsschutz wird die AfD höchstwahrscheinlich in Kürze zum Verdachtsfall erklären – das könnte einige neu gewählte Abgeordnete dazu bewegen, die Schmuddelecke verlassen zu wollen. Auf dem Parteitag im Dezember wird die Bundesspitze neu gewählt. Ob der angeschlagene Co-Parteichef Jörg Meuthen noch einmal antritt, ist ungewiss, wer ihn herausfordert, ebenso.

Wenn Chrupalla sein Direktmandat gegen den sächsischen Chef der Jungen Union, Florian Oest, verteidigt, sitzt er fest im Sattel in der Partei. In Görlitz lehnt er sich weit aus dem Fenster: „Wir werden wieder einen triumphalen Sieg einfahren“, ruft er. „Die Leute im Westen schauen auf uns, für sie sind wir die Hoffnung!“ Auf der kleinen Gegendemo sieht man das anders. „Görlitz hat einen großen Standortnachteil“, sagt ein junger Mann, „und das ist die AfD“.

KStA abonnieren