Annalena Baerbock im PorträtKlar und deutlich statt sanft und gefällig

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Baerbock mit Helm

Annalena Baerbock Anfang Februar in der Ostukraine 

Als es losging, ist sie erstmal nach hinten gerutscht. Die Spitzenvertreter von SPD, Grünen und FDP trafen sich zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrags im Futurium, einem Ausstellungsraum zu Zukunftsthemen am Ufer der Spree. Auf der Bühne standen in der Mitte Olaf Scholz, Christian Linder und Robert Habeck, der künftige Kanzler und seine künftigen Stellvertreter, in der Hand je ein Exemplar des Vertrags. Annalena Baerbocks Platz war etwas weiter hinten rechts, zweite oder dritte Reihe. Sie war als Kanzlerkandidatin gescheitert, hatte danach ihrem Grünen-Co-Chef Habeck die Vize-Kanzler-Rolle überlassen. Die Chefs der Koalition waren andere. Baerbock strahlte dennoch, die Grünen waren in der Regierung - immerhin.

Einen Tag nach der Koalitionsvertrags-Unterzeichnung stand Baerbock im holzgetäfelten Weltsaal des Auswärtigen Amtes. 12.000 Mitarbeiter, 230 Auslandsvertretungen, ein Dienstsitz mit 62.500 Quadratmetern. Baerbock war die neue Chefin, die erste Frau auf diesem Posten und mit 40 Jahren die jüngste obendrein.

Baerbock zitierte die Tochter und keine Ex-Politiker

Sie hielt ihre Antrittsrede und schlug einen eigenen Ton an: Man habe ihr geraten, mit Zitaten von wichtigen Politikern Eindruck zu schinden, sagte Baerbock. Sie aber wolle lieber ihre ältere Tochter zitieren, ein Grundschulkind. Sie habe der Tochter erklärt, dass „ich jetzt in den nächsten Jahren Deutschland in der Welt vertreten und repräsentieren werde“. Die Tochter habe geantwortet: „In der Welt? Oh weh.“ Baerbock sagte, ihre Tochter wisse offenkundig, dass „sehr, sehr viel und nicht immer einfache Arbeit“ auf die Mutter zukomme.

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Nach wenigen Wochen war klar, wie untertrieben diese Formulierung war. Und wie sehr „oh weh“ es besser getroffen hat. Russland hat die Ukraine angegriffen. Es gibt einen Krieg mitten in Europa, der sich ausweiten könnte. Die Bundesregierung, die damit umgehen muss, ist seit drei Monaten im Amt. Im Wahlkampf hatten Baerbocks Gegner gerne wissen lassen, mit dieser jungen Frau ohne Regierungs- und Verwaltungserfahrung könne eine Regierung nicht funktionieren.

Nun ist die Außenministerin eine der sichtbarsten Minister in dieser schweren Krise und sie wirkt ziemlich stabil.

Das liegt an ihrer Funktion, aber auch daran, wie sie sie wahrnimmt. Kanzler Olaf Scholz hält sich außenpolitisch zurück in den ersten Wochen des Jahres, als es noch aussieht, als ließe sich vermitteln. Er lässt seine Berater verhandeln – und überlässt Baerbock einen großen Teil der Bühne. Das hat einen strategischen Grund: Wenn Gespräche von Präsidenten oder Regierungschefs scheitern, geht schließlich nicht mehr viel. Aber Scholz muss auch aufpassen, dass seine außenpolitisch zerrissene SPD nicht auseinanderfliegt.

Antrittsbesuche mischen sich mit Krisendiplomatie

Baerbock also reist in die USA, für ein paar Stunden nur Anfang Januar. Sie reist nach Kiew. Sie reist nach Moskau und versucht es bei ihrem Amtskollegen Sergej Lawrow gar nicht erst mit Freundlichkeit. Antrittsbesuche mischen sich mit Krisendiplomatie, immer geht es um die Ukraine. Baerbock hat die Aufmerksamkeit, Scholz hält es für nötig zu betonen, er habe die Ministerin geschickt.

Die gibt derweil wie vorgesehen den Grünen-Vorsitz ab, Partei- und Regierungsamt – das passt bei den Grünen nicht zusammen. Im Wahlkampf ist sie ins Straucheln geraten über Lebenslauf und fehlende Fußnoten in einem Buch. Nun zimmert sie sich sehr planvoll ihr Ministerium zusammen: Sie holt den früheren Politischen Direktor des Auswärtigen Amtes, Andreas Michaelis, zurück von seinem Botschafterposten in London. Der einstige Sprecher von Joschka Fischer, dem letzten Außenminister der Grünen, wird ihr Staatsekretär.

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Annalena Baerbock im Januar in Warschau.

Mit einer Besetzung macht Baerbock Schlagzeilen: Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan wird Staatsekretärin für Klimapolitik – der neue Geschäftsbereich, den Baerbock sich aus dem Umweltministerium gesichert hat, bekommt eine prominente Spitze. Es ist eine klare Ansage, auch an andere Minister: Baerbock will beim Thema Klimapolitik das Sagen haben. Sie wird Deutschland künftig auch auf den internationalen Klimakonferenzen vertreten.

Bei den Diplomaten kommt die Neue ganz gut an: „Es weht ein frischer Wind“, sagt einer. Es sei gut, wenn die Chefin des Hauses Lust auf ihr Thema habe und Ideen. Baerbocks Vorgänger Heiko Maas agierte zurückhaltend, zugeknöpft, er vermied allzu viele Gespräche. Baerbock beginnt ihre Auslandsreisen mit einem Rundgang durchs Flugzeug und der Begrüßung aller Mitreisenden, bei Mitarbeitern ist sie schnell beim vertrauten „Du“.

Krieg, Frieden, Waffenlieferungen – das ist ein Thema, über das sich auch und vor allem die Grünen immer wieder zerlegt haben. Dem damaligen Außenminister Joschka Fischer flog 1999 bei einem Parteitag zur Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg ein Farbbeutel an den Kopf und beschädigte sein Trommelfell. Es könnte also schwierig werden.

Aber die neuen Grünen-Chefs, der Außenpolitiker Omid Nouripour und die frühere Grüne-Jugend-Chefin Ricarda Lang, kommen ihr nicht in die Quere. Vor einem Jahr hat es noch einen Aufschrei in der Partei gegeben, als Robert Habeck, damals Co-Grünen-Vorsitzender Baerbocks, die Lieferung von Defensiv-Waffen an die Ukraine befürwortete. Baerbock lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine bis zum Angriff als 180-Grad-Wende ab, nach dem Angriff stimmt sie zu, auch der Aufrüstung der Bundeswehr.

Baerbocks Worte nehmen ihre Partei mit

Aber es ist Ruhe bei den Grünen, abgesehen von etwas Kritik der Grünen Jugend. Der Krieg vor der Haustür schockiert ganz offenkundig. Und Baerbock scheint Worte zu finden, die auch ihre Partei mitnehmen. Den Satz des südafrikanischen Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu etwa: „Wenn man neutral ist in Situationen der Unterdrückung, stellt sich auf die Seite des Unterdrückers.“

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Dabei ist Baerbock alles andere als sanft und gefällig. Sie nutzt eindrucksvolle Bilder, sie formuliert klar und drastisch: Russland arbeite mit Drohungen, schleudert sie Lawrow in Moskau entgegen, als der Angriff noch bevorsteht. Als Russlands Truppen einmarschieren, fliegt sie zu einer Krisensitzung der Uno-Generalversammlung und wirft Putin Lügen vor: „Ihre Panzer bringen kein Wasser, ihre Panzer bringen keine Babynahrung, ihre Panzer bringen keinen Frieden. Ihre Panzer bringen Zerstörung“, sagt sie. Man müsse dafür sorgen, dass der Krieg „nicht zu einem dritten Weltkrieg führt“, sagt Baerbock in einem ARD-Interview.

Sie übernimmt militärische Ausdrücke wie die „Ostflanke der Nato“, wenn sie von Polen spricht, sie zieht sich eine Schutzweste an und fährt ins ukrainische Separatistengebiet.

Und dann ist da noch der Blick: Baerbock lächelt nicht, wenn sie auf schwierige Gesprächspartner trifft. Kein freundliches Werben ist da im Blick, keine mildernen Umstände für harte Worte. Schmale Lippen gibt es also für Lawrow an dessen Verhandlungstisch. Ein unbarmherziges Starren von der Seite für Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) als der auf einer gemeinsamen Pressekonferenz vor ein paar Tagen zu „Maß und Mitte“ im Umgang mit Russland aufruft.

Baerbock verbreite kein Heile-Welt-Gefühl, heißt es in anderen Parteien anerkennend. Auch von der Union gibt es Lob für die Außenministerin. Kissinger hat Baerbock in ihrer Antrittsrede dann übrigens doch zitiert, mit dem scherzhaften Satz: „Nächste Woche darf es keine Krise geben, mein Terminkalender ist schon voll.“

Baerbock fügte hinzu, wenn es eine Krise gebe, werde sie ihr Team brauchen.

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