CDU-Chef in BerlinFriedrich Merz leistet sich Eklat bei Wahlkampf in Neukölln

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Friedrich Merz, Bundesvorsitzender der CDU, lächelt bei einem Wahlkampf-Bürgertreffen im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt im Bezirk Neukölln.

Friedrich Merz, Bundesvorsitzender der CDU

Der CDU-Chef kommt nach populistischen Aussagen über junge Migranten zum Wahlkampf nach Neukölln. Dort leistet sich Merz einen Eklat.

Es kommt selten vor, dass eine Regierungschefin eines Bundeslandes schon im Vorfeld einen Wahlkampfauftritt der politischen Konkurrenz scharf kritisiert. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat das am Freitag getan. Sie nannte einen Termin von CDU-Chef Friedrich Merz und Berlins CDU-Spitzenkandidaten Kai Wegner „populistisch und durchschaubar“. Auf Twitter schrieb sie, diese „Masche“ sei bekannt: Erst spalten und hetzen, dann wieder relativieren. Mit diesem Muster mache die CDU „die Positionen der Rechten salonfähig“.

Sie sei sich sicher, „dass die Neuköllner den Besuch der Herren Merz und Wegner entsprechend einordnen werden“. Das hat aus dem Mund der früheren Bezirksbürgermeisterin schon starke Kiezverbot-Vibes.

Giffey muss sich in Berlin am 12. Februar einer Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus stellen. Die CDU liegt nach jüngsten Umfragen deutlich vor der SPD.

Bei der CDU kommen die Tweets so an: Giffey ist dünnhäutig geworden. Die SPD fürchte den Machtverlust.

Am Freitagnachmittag vor dem Gemeinschaftshaus Gropiusstadt sieht es dann kaum nach Kiezverbot aus, sondern nur nach Hochhausviertel im Januar-Nieselregen. Zwei Polizeitransporter sind aufgefahren, von einer kleinen Linkspartei-Kundgebung wird die CDU als rechtspopulistisch beschimpft, das SPD-Wahlkreisbüro hat eine lange Liste an Vornamen unterschiedlichster Kulturkreise ins Fenster gehängt. Der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir nennt das einen stillen Protest gegen Merz und den Berliner Spitzenkandidaten Kai Wegner.

Parteichef Merz nannte Jungs mit Migrationshintergrund, die in der Schule Probleme machten, „kleine Paschas“, Wegners Berlin-CDU wollte als Teil eines langen Fragenkatalogs die Vornamen der Festgenommenen der Neujahrsnacht abfragen – genau wie die AfD.

Im Gemeinschaftshaus im tiefsten Süden Neuköllns spricht Friedrich Merz vor einem zugewandten Publikum, die Junge Union ist stark vertreten, sonst ist vorherrschende Haarfarbe Grau. Seine Berlin-Kritik kommt routiniert: Die Stadt habe eine „miserable Führung“, sagt Merz. „Die Leute nehmen wahr, dass Berlin nicht in der Lage ist, einen Flughafen zu bauen, eine Wahl zu organisieren, aber Polizei und Feuerwehr werden hier wie Abschaum behandelt.“

Einen Aussetzer leistet sich Merz, als er nach einem Bericht von der Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag mit Blick auf den deutschen Umgang mit den NS-Verbrechen sagte: „Wenn man das hört, ist man stolz auf Deutschland.“ Ein Zuhörer rief: „So eine rassistische Scheiße höre ich mir nicht an“, mehrere verließen lautstark den Saal. Merz rief ihnen nach, es sei gut, dass sie gingen.

Von seiner „Pascha“-Aussage rückt Merz nicht ab

Von seiner „Pascha“-Aussage rückt Merz nicht ab, aber er setzt einen anderen Schwerpunkt: „Wir brauchen einen gesellschaftlichen Zusammenhalt, der wird nicht ausschließlich mit Biodeutschen zu ermöglichen sein“, tastet er sich heran. „Diejenigen, die seit Jahrzehnten zu uns kommen, müssen Teil dieses Zusammengehörigkeitsgefühls sein.“ Die Silvesterrandalierer hätten das zerstört.

Merz dankte den Gastronomen von der Neuköllner Sonnenallee, die am Anfang der Woche Einsatzkräften Menüs für einen Euro angeboten hatten. Das sei eine vorbildliche Aktion gewesen.

Wann er denn endlich aufhöre, zwischen „Deutschen“ und „Deutschen mit Migrationshintergrund“ zu unterscheiden, wird Merz von zwei Streetworkern gefragt. „Das tun wir ab jetzt. Ab sofort“, antwortet Merz knapp. Es gibt warmen Applaus für diese Selbstverständlichkeit.

Die „Brandmauer“ zur AfD, wiederholt Merz, stehe weiter fest, daraus werde „kein einziger Stein herausgebrochen“. Tosender Applaus.

Wegner formuliert seine Punkte schärfer: „In Berlin werden Probleme nicht benannt, und deswegen werden sie immer schlimmer.“ Er verteidigt die Vornamen-Abfrage der Silvester-Tatverdächtigen: „Wir müssen den Hintergrund kennen, um Straftäter richtig anzusprechen.“

„Das übergreifende Problem ist Männlichkeit“

Die beiden Straßensozialarbeiter, Micky und Kubilay vom Verein Gangway, sind nach der Veranstaltung wenig überzeugt: „Das übergreifende Problem ist Männlichkeit, dazu kommen soziale Probleme“, sagen sie. „Die CDU sagt einerseits auf unsere Frage, dass der Migrationshintergrund keinen Unterschied mehr mache. Dann aber besteht sie dennoch darauf, dass Migration das Problem sei.“

Hinter dem Gemeinschaftshaus befindet sich eine Stadtteilbibliothek, sie ist fast der einzige öffentliche Raum für Jugendliche im Viertel. Sie ist geschlossen, seit Dezember schon und noch bis zum 19. Februar. „Aufgrund von Wahlvorbereitungen“ steht auf einem Zettel am Fenster. So trägt die Berliner Wahlwiederholung auch noch dazu bei, dass Jugendlichen die letzten Räume genommen werden.

Für Merz wäre das eigentlich ein gefundenes Fressen gewesen, an diesem Beispiel die Unfähigkeit der Berliner Verwaltung zu kritisieren – und sich gleichzeitig auf die Seite der Jugendlichen im Kiez zu stellen. Aber so gut kennt er sich in Neukölln dann doch nicht aus. (rnd)

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