DB-Regio-Chefin Palla„Das Deutschlandticket ist ein großer Erfolg“

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DB-Regio-Chefin Evelyn Palla

DB-Regio-Chefin Evelyn Palla spricht im Interview über ihre Zukunftvision für die Bahn.

DB-Regio-Chefin Evelyn Palla Chefin über das 49-Euro-Ticket – und was ihr früherer Arbeitgeber ÖBB besser gemacht hat.

Seit einem Jahr ist Evelyn Palla Vorstandsvorsitzende der DB Regio AG und damit zuständig für Nahverkehrszüge und Busse der Deutschen Bahn. Die 50-Jährige stammt aus Südtirol. Von 2011 bis 2019 arbeitete sie für die österreichische ÖBB und saß im Vorstand der ÖBB Personenverkehr AG. 2019 wechselte sie zur Deutschen Bahn. Sie empfängt zum Gespräch in ihrem Berliner Büro, mit Blick auf die Philharmonie und die Sommerschauer über dem Tiergarten.

Drei Monate gilt jetzt das Deutschlandticket – wie fällt Ihre erste Bilanz aus? Sind die Züge voller? Wo gibt es den größten Ansturm?

Wir sind sehr froh über das Deutschlandticket. Es ist einfach, kostengünstig, ökologisch sinnvoll und digital. Das ist die neue Mobilität im öffentlichen Nahverkehr. Im Juni sind 25 Prozent mehr Menschen mit unseren Zügen gefahren als noch im April. Und nicht nur das: Sie haben auch deutlich längere Strecken im öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt. Damit ist das Deutschlandticket jetzt bereits ein großer Erfolg.

Wo sind die Zuwächse am größten, wo die Züge am vollsten?

Der Ausflugsverkehr an den Wochenenden hat besonders deutlich zugenommen. Von Berlin an die Ostsee, von Hamburg nach Kiel, im Westen in die Pfalz und in Bayern Richtung Alpen. Das sind klassische Ausflugsverbindungen, auf denen wir einen deutlichen Anstieg spüren. Die Menschen wollen sich treffen, wollen die Natur erleben, wollen Städte bereisen. Und nun ist das endlich leistbar und ohne Umweltverschmutzung machbar. In manchen Regionen sind die Menschen so viel unterwegs wie im 9-Euro-Sommer.

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Wenn mehr Menschen fahren, müssten auch mehr Züge auf die Schiene, doch den Nahverkehr bestellen die Bundesländer. Sind Sie bereits in Gesprächen? Wo können mehr Züge fahren?

Ja, natürlich sind wir dran, mehr Züge auf die Schiene zu bringen. Die Leute nehmen das Ticket sehr gut an, also brauchen wir auch mehr Angebot. Hier spielen die Bundesländer eine entscheidende Rolle. Wir fahren im öffentlichen Nahverkehr das, was die Bundesländer bei uns bestellen. Die knapp drei Monate, in denen wir das Deutschlandticket nun haben, reichen aber noch nicht aus, um ein genaues Bild zu zeichnen. Die Nachfrage nach dem Ticket läuft noch hoch. Dass die Züge im Mai und im Juni voller waren als noch im April, liegt auch an den Feiertagen und der Ferienzeit. Wir müssen zuerst genau verstehen, wo wirklich Bedarf zur Nachsteuerung des Angebots besteht, um dann gemeinsam mit den Ländern zu reagieren.

Der Verband der Verkehrsunternehmen bemängelt, dass die Finanzierung für 2024 noch nicht steht. Zudem ist unklar, ob der Preis gehalten werden kann. Was erwarten Sie?

Das Ticket ist für 2023 finanziert, das hat die Politik super hingekriegt. Für 2024 steht das noch an. Bund und Länder werden das im Herbst gemeinsam verhandeln. Ich bin sehr optimistisch, dass es wieder eine gute Lösung geben wird. Mit dem Deutschlandticket ist der Politik Großes gelungen, ein wirklicher Gamechanger. Eine gute Idee, gut gemacht, von den Menschen gut angenommen. Das Deutschlandticket bleibt, davon bin ich überzeugt!

Bei einem stabilen Preis?

Das Deutschlandticket soll ja weiter attraktiv sein, also wünschen wir uns, dass der Preis weiterhin leistbar bleibt und vielen Menschen Zugang zu täglicher Mobilität ermöglicht. Aber den Preis legt nicht die Bahn fest, das machen Bund und Länder.

Der Fernverkehr leidet sehr stark unter den Baustellen, die Pünktlichkeit ist unterirdisch. Wie weit leidet der Regionalverkehr mit? Und wie weit wird er auch mitleiden bei den Umleitungen und Ersatzverkehren, die durch die Generalsanierung in den nächsten Jahren zu erwarten sind?

Die Baustellen nerven mich genauso wie Sie. Im Regionalverkehr leiden wir genauso wie der Fernverkehr. Da haben wir aber immerhin eine Pünktlichkeit von deutlich über 90 Prozent. Aber jeder Zug, der verspätet ist, ist mein Thema. Ich will, dass alle Züge pünktlich ankommen. Aber wir sitzen nun mal alle miteinander auf einem veralteten, störanfälligen Schienennetz. Und das müssen wir jetzt in Ordnung bringen. Und das machen wir ja auch. Das heißt aber auch, wir werden in den kommenden Jahren weiterhin viele Baustellen im Netz sehen. So ehrlich müssen wir sein. Um bei der Sanierung des Schienennetzes schnell vorwärtszukommen, verfolgen wir im Schulterschluss mit der Politik ein komplett neues Sanierungskonzept. Ein Kernstück dabei ist die Sanierung der Hochleistungskorridore. Dafür sperren wir eine Strecke einmal für mehrere Monate komplett, machen alles neu und haben dann aber viele Jahre weitestgehend Baufreiheit auf dieser Strecke. Und ja, der Schienenverkehr muss während dieser Streckensperrungen umgeleitet werden. Insbesondere im Nahverkehr werden wir dabei leider auch viel Schienenersatzverkehr fahren. Ich weiß, das ist echt eine Zumutung. Deshalb erarbeiten wir gerade ein komplett neues und kundenfreundliches Konzept. Das bringen wir nächstes Jahr bei der Sanierung der Riedbahn zum ersten Mal zum Einsatz. Es ist unglaublich wichtig, dass wir während der langen Streckensperrungen unseren Kunden attraktive Alternativen anbieten, damit sie nach der Sperrung rasch wieder in unsere Züge zurückkehren. Da setzen wir unsere besten Leute dran.

Oft fielen gerade in den vergangenen Monaten Züge wegen Personalmangels aus – kann die Bahn nicht mehr genug Leute finden?

Seit Jahren gelingt es uns bei der Bahn, weit über 20.000 neue Mitarbeitende jährlich einzustellen. Das ist ja nicht nichts. Und natürlich spüren auch wir den Fachkräftemangel. Aber wir sind halt auch ein attraktiver Arbeitgeber, deshalb kommen die Leute gerne zur Deutschen Bahn. Doch wir alle müssen das Thema Arbeit neu denken: Die Fachkräfte, die unsere Volkswirtschaft braucht und die auch die Bahn braucht, sind in Deutschland schlichtweg nicht geboren. Die Demografie ist da ganz klar. Deshalb werben wir Busfahrerinnen und Busfahrer bereits im Ausland an. Das wird aber nicht reichen. Wir müssen auch ganz viele Abläufe automatisieren und digitalisieren. Bürokratie abbauen. Dinge einfacher machen. Das Deutschlandticket ist dafür übrigens ein guter Beleg.

Also setzen Sie auf autonom fahrende Züge?

Natürlich beschäftigen wir uns auch mit autonom fahrenden Zügen. Dazu haben wir zum Beispiel ein Pilotprojekt bei der S-Bahn Hamburg. Wir beschäftigen uns aber auch mit autonom fahrenden Shuttles und Autobussen oder mit der Digitalisierung unserer Instandhaltung, des Schienennetzes und der Stellwerke. Das geht alles nicht von heute auf morgen und braucht Zeit. Aber darin liegt viel Zukunft. Qualifizierte Mitarbeitende werden wir aber immer brauchen.

Hilft das auch bei der Erschließung des ländlichen Raums?

Wir müssen Alltagsmobilität neu denken. Und zwar integriert von Tür zu Tür. Ich sehe darin ein großes Potenzial, den Menschen abseits der großen Städte, die eh schon gute Mobilität haben, ein viel besseres Angebot zu machen. Sind große Busse, die nach einem starren Fahrplan fahren, wirklich zeitgemäß? Oder sind nicht eher kleine Shuttles, die die Menschen nahe ihrer Haustür bei Bedarf abholen und dann zu einem Bahnhof bringen, eine bessere Lösung? Und das noch elektrisch, CO₂-neutral? Ideal aufeinander abgestimmt? Die Technologien, über die wir heute verfügen, geben da ganz neue Konzepte her. Ich lebe selbst in der Stadt, aber ich bin auf dem Land aufgewachsen. Ich möchte, dass alle Menschen Zugang zu Mobilität haben, egal wo sie wohnen. Und das geht.

Sie haben auch für die österreichische ÖBB gearbeitet – was kann die DB von Ihrem früheren Arbeitgeber lernen? Wenn ich in Österreich Bahn fahre, sind selbst an den kleinen Bahnhöfen die Anzeigen in Ordnung, die Fahrstühle funktionieren, es ist sauber und die Züge fahren auch meist pünktlich. Wie machen die das nur?

Auch wenn das Bahnfahren für die Reisenden überall gleich aussieht, gibt es dafür in den einzelnen Ländern oft sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen. Das macht einen Vergleich immer schwierig. Österreich hat im Vergleich zu Deutschland ein viel kleineres Schienennetz mit einer deutlich geringeren Komplexität. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass Österreich wie auch die Schweiz über viele Jahre konsequent hohe Summen in das System Eisenbahn und vor allem in die Infrastruktur investiert hat. Es war einfach mehr Geld da, dieses System zu entwickeln, es instand zu halten und auszubauen. Das Resultat sehen wir jetzt.

Gerade auf den Nebenlinien in Deutschland, wo Ihre Züge halten, sieht man das sehr gut. Vergammelte Bahnhofsgebäude, winzige Wartehäuschen und eine veraltete Anzeige. Wird das jetzt alles besser mit der neuen, gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft? Wie wird das 49-Euro-Ticket wirklich zum Deutschlandticket, also überall im Land attraktiv?

Wenn wir unsere Hochleistungskorridore sanieren, dann entwickeln und modernisieren wir Netz und Bahnhöfe aus einem Guss. Der Sanierungsplan der Bahn enthält auch die Modernisierung der Bahnhöfe in Deutschland. Die kriegen zum Beispiel WLAN, Fahrradstellplätze und E-Ladestationen. Bahnhöfe sollen zu attraktiven Begegnungsorten als positives Eingangstor zur Bahn werden. Schauen Sie mal, wie super die sanierten Großbahnhöfe geworden sind. Das sind moderne Mobilitätspunkte mit wichtiger Infrastruktur für unser modernes Leben. Und das machen wir jetzt auch für die kleinen Bahnhöfe. Der Bahnhof wird zu einem kundenfreundlichen Mobilitätshub, an dem wir einfach und komfortabel von einem Verkehrsträger auf den anderen umsteigen können. Mobilität muss Freude machen, Menschen zusammenbringen.

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