Die mit dem Putin tanztÖsterreichs Ex-Außenministerin lebt jetzt in Sankt Petersburg

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Ex-Außenministerin Karin Kneissl tanzt mit Wladimir Putin

Die österreichische Ex-Außenministerin Karin Kneissl tanzt mit Wladimir Putin. (Archivbild)

In Westeuropa fühlt sie sich verfolgt. Über die Verwandlung einer Kosmopolitin mit beeindruckender Vita zur Putin-Versteherin.

Moskau – Ein Tanz in der österreichischen Provinz sollte den Anfang einer gründlichen Metamorphose markieren: Als Karin Kneissl im August 2018 als damalige Außenministerin Österreichs ihre Heirat mit dem Unternehmer Wolfgang Meilinger im Landgasthof Tscheppe an der südsteirischen Weinstraße feierte, gesellte sich Wladimir Putin hinzu. Russlands Präsident gewährte der Braut einen walzerartigen Schwof, bei dem sie sich am Schluss mit einem Knicks vor dem Kremlherrscher bedankte.

Die Fotos von Putin mit der devoten Frau im cremefarbenen Dirndl gingen um die Welt – und das nicht nur zum Vorteil der damals 53-Jährigen. Als Gäste waren seinerzeit auch Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Christian Strache sowie etliche weitere österreichische Honoratioren zugegen, was Oppositionspolitiker sowie führende Vertreter der Ukraine zu scharfer Kritik veranlasste. Sie äußerten die Befürchtung, dass die Anwesenheit des russischen Präsidenten der österreichischen Außenpolitik zu einem Zeitpunkt schaden könnte, an dem Österreich den EU-Ratsvorsitz innehatte.

Der EU-Parlamentarier Andreas Schieder von der SPÖ twitterte: „Vermischung von Privatangelegenheiten mit offiziellen Agenden ist keine gute Idee! Wie soll der #EU-Ratsvorsitz dem Anspruch, Brücken zu bauen und als ehrlicher Makler zu agieren, genügen, wenn Außenministerin und Bundeskanzler so offensichtlich auf einer Seite stehen? #Kneissl.“ In den sozialen Netzwerken wurde Kneissls Verbeugung, lange vor dem Überfall auf die Ukraine, als Reverenz an eine Staatsmacht ausgelegt, für die Menschenrechte und Demokratie nur nachrangige Bedeutung haben.

Und Putins kurzer Aufenthalt im Landgasthof Tscheppe – der russische Präsident blieb eine Stunde und 20 Minuten – zog weitere Irritationen nach sich. Denn der Kremlchef hatte nicht nur einen Kosakenchor und einen Samowar mitgebracht, sondern auch Saphirohrringe als Hochzeitsgeschenk, die später vom Auktionshaus Dorotheum mit einem Wert von 50.000 Euro veranschlagt wurden.

Kneissl empfing das Präsent zunächst nassforsch, musste dann aber zur Kenntnis nehmen, dass Geschenke von ausländischen Amtsträgern an österreichische Minister der Republik gehören. Sie handelte einen Leihvertrag aus, demzufolge sie den Schmuck bis an ihr Lebensende hätte tragen dürfen. Allerdings wären die teuren Stücke von ihr noch zu versichern gewesen, was sie dann doch vom Leihvertrag zurücktreten ließ. Seither liegt Putins Geschenk in einem Tresor im österreichischen Außenministerium am Wiener Minoritenplatz.

Impertinenz als Prinzip

Acht Monate später platzte in Wien die Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ wegen der Ibiza-Affäre, und auch da fiel Karin Kneissl mit einer gewissen Impertinenz auf. Denn im Gegensatz zu den Ministern der FPÖ trat sie zunächst nicht zurück. Sie war zwar auf dem Ticket der rechtspopulistischen Partei ins Amt gekommen, aber als Parteilose. Deswegen betonte sie Ende Mai 2019 in einer schriftlichen Erklärung, in der sie auf ihrem Posten beharrte, gleich dreimal ihren Status als „unabhängige Expertin“. Sehr lange hielt sie auch diese Position nicht durch: Mit dem Misstrauensvotum gegen Kanzler Sebastian Kurz war am 3. Juni 2019 ihre eineinhalbjährige Amtszeit als österreichische Außenministerin Geschichte – und ihr Verhältnis zur FPÖ zerrüttet.

PR mit Putin, nicht zustehende Geschenke leihweise behalten wollen oder der trotzige Verbleib auf verlorenem Posten: Es sind solche Begebenheiten, die den Eindruck vermitteln, dass sich Kneissl wenig darum schert, wie ihr Handeln nach außen wirkt.

Aktuell sorgt sie nun wieder für Schlagzeilen, nachdem das russische Investigativportal „The Insider“ am 12. September meldete, dass die russische Luftwaffe zwei Shetlandponys der als Tierliebhaberin bekannten Ex-Ministerin von einem Militärstützpunkt im syrischen Hmeimim mit einem Transportflugzeug vom Typ Iljuschin Il-76 an ihren neuen Wohnort Sankt Petersburg ausgeflogen habe. Kneissl bestätigte das einen Tag später auf ihrem Kanal beim russischen Instant-Messaging-Dienst Telegram.

In einem weiteren Bericht zwei Tage später taxierte „The Insider“ die Kosten für einen Frachtflug dieser Art auf der Strecke Syrien–Sankt Petersburg auf 15 Millionen Rubel (circa 150.000 Euro).

Dass ein solcher Transport in der unabhängigen Presse Russlands und im Westen als berichtenswert empfunden wird, weil er die Nähe Kneissls zur russischen Staatsführung vermuten lässt und über ein Land abläuft, in dem Moskau dem Diktator Baschar al-Assad bei seiner gnadenlosen Kriegsführung hilft, kann die 58-Jährige allerdings nicht nachempfinden: „Da offenbar in Österreich und Deutschland jenseits Wirtschaftskrise nichts los ist, wird meine Übersiedlung zum Politikum“, schreibt sie auf Telegram. Die Beförderung ihrer Ponys per Iljuschin begründet sie auf Telegram als unvermeidbar: „Wäre die Sicherheitslage in Syrien eine andere, hätte ich einen Landtransporter engagiert. Aufgrund der Sanktionen weder Flüge noch DHL. Ich hatte daher die Option, einen russischen Transportflug auf dem Rückweg aus Syrien nach Russland zu begleiten, wofür ich sehr dankbar bin.“

Beim russischen Militär löste die ungewöhnliche Fracht allerdings offensichtlich Irritationen aus: Der russische Telegram-Kanal „Fighterbomber“ wunderte sich am 7. September, dass auf Russlands Luftwaffenstützpunkt in Syrien „statt einer Heldenstaffel Ponys aufgeladen“ werden sollen. Der Kanal bat um weitere Informationen, um wessen Pferde es sich handele, da der Transport von Truppenangehörigen doch zu priorisieren sei. Zwei Tage später meldete „Fighterbomber“ den Abflug der Sondermaschine mit den Tieren. Wem sie gehörten, sei verheimlicht worden. Offensichtlich solle die Eigentümerin oder der Eigentümer nicht in Verruf gebracht werden. Es seien ganz offensichtlich VIP-Ponys, die von der Besatzung hätten transportiert werden müssen. „Machtlos“ sei man in solchen Fällen – gemeint ist, dass die Order von oben kam.

„Hass aus Österreich“

Kurze Zeit später schrieb der Reitsportklub Tlatschenko Alena im Leningrader Oblast auf seiner Seite auf dem russischen Facebook-Pendant VKontakte, am Petersburger Flughafen Pulkowo „zwei bezaubernde Ponys empfangen“ zu haben. Der Klub löschte diesen Eintrag später.

Kurz nach der Ankunft ihrer Ponys in Sankt Petersburg sagte Kneissl der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass, dass sie in die Stadt an der Newa gezogen sei, um dort die Leitung der russischen Denkfabrik Gorki zu übernehmen, die sie im März 2023 an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg gegründet habe. An dem Institut sollen die geopolitischen Interessen Russlands erforscht werden.

Damit endet für Kneissl vorläufig eine dreijährige Odyssee. 2020 hatte sie bekannt gegeben, nach Frankreich zu ziehen. Auf ihrer Website bezeichnet sie den Schritt als unfreiwillig und gibt als Grund dafür anhaltende Morddrohungen und ein de facto geltendes Arbeitsverbot in Österreich an. In Frankreich habe sie nach langer Suche einen kleinen Hof gefunden, um mit ihren Tieren einen Neuanfang zu machen. Zwei Jahre später zog sie wieder um, dieses Mal nach Beirut, wo sie sich als studierte Arabistin wohl schnell akklimatisieren konnte. Auf Telegram schreibt sie zu dem Schritt jetzt: „Grund war die Ausweisung aus Frankreich. Der Libanon war eine Zwischenlösung, um zu überleben.“ Auf ihrer Website weicht die Begründung für den Umzug in den Zedernstaat allerdings etwas ab von dieser Darstellung. Die mediale Hetze aus Österreich habe sie auch in Frankreich erreicht und sie habe sich deswegen neuerlich gezwungen gesehen überzusiedeln. Nachdem sie jetzt in Russland ist, wiederholt sie auf Telegram den Vorwurf: „Der Hass, der aus Österreich herausdringt, erstaunt nicht nur mich – und dies seit Jahren.“

Tatsächlich war 2020 – zum Teil durchaus gehässig – über das rasche Scheitern der Ehe berichtet worden, deren Beginn so viel internationale Aufmerksamkeit bekommen hatte. Der sich anschließende Rosenkrieg bescherte der Boulevardpresse deftige Schlagzeilen: Kneissl warf ihrem Mann häusliche Gewalt vor, er beschuldigte sie, einen Hund, den aus dem Tierheim geholten Boxer Niklas, aus „Rache“ getötet zu haben. Sie hatte den Hund einschläfern lassen. Nach einer Anzeige wegen „Tierquälerei“ durch das Tierheim, das – fälschlicherweise, wie sich später ergab – eine Erkrankung des Tieres infrage stellte, wurde der Hund sogar exhumiert.

Doch Kneissl trug auch selbst dazu bei, Kritik auf sich zu ziehen. Der Eindruck, den der Tanz mit ihrem berühmt-berüchtigten Hochzeitsgast hinterlassen hatte, bestätigte sich, als sie im Mai 2020 beim russischen Propaganda-Auslandssender RT als Gastautorin anheuerte. Ein Jahr später rückte sie in den Aufsichtsrat des staatlichen Ölkonzerns Rosneft ein, dessen Vorsitzender Gerhard Schröder für die Bekleidung dieser Funktion in der Öffentlichkeit schon damals scharf kritisiert wurde. Es kursierten damals Angaben der russischen Tageszeitung „Wedomosti“, wonach Rosneft seinen Aufsichtsräten ein Jahressalär von mindestens 500?000 Dollar zahle.

Vorher hatten Gerüchte über Geldsorgen der Ex-Außenministerin nach dem Ausscheiden aus der Politik und der Trennung vom Ehemann die Runde gemacht. Denn Österreich hat seine einst üppigen Politikerpensionen inzwischen stark gekürzt, und während der Corona-Krise konnte Kneissl keine Einnahmen aus ihrer bis dahin regen Vortragstätigkeit in Österreich erzielen.

Lobbyistin des Kremls

Den lukrativen Aufsichtsratsposten bei Rosneft musste die Ex-Politikerin nach dem Beginn des russischen Feldzugs gegen die Ukraine wegen ihrer EU-Staatsbürgerschaft im Mai 2022 auf Geheiß Moskaus niederlegen. Doch da hielt sie schon regelmäßig Vorträge in Russland, und diesen Sommer verbrachte sie in dem Dorf Petruschowo, 300 Kilometer südöstlich von Moskau. Als Direktorin einer Denkfabrik in Sankt Petersburg führt Kneissl nun wieder das Leben einer Prominenten auf Wirtschaftsforen, wie zuletzt in Wladiwostok und auf politischen Konferenzen. Nicht mehr in Österreich, dafür in Russland.

Bei ihren öffentlichen Aussagen kritisiert sie die Haltung des Westens gegenüber dem neuen Heimatland – auch in Bezug auf die militärische Konfrontation in der Ukraine. In ihrem Podcast „Unipolar – Multipolar“ schließt sie etwa nicht aus, dass der Drohnenangriff auf den russischen Fliegerhorst in Pskow Ende August vom nahe gelegenen Nato-Staat Estland geflogen wurde.

Es ist eine bemerkenswerte Verwandlung, die durch den Tanz mit Putin ausgelöst worden zu sein scheint: von einer kosmopolitischen Arabistin und Völkerrechtlerin mit Ausbildungsstationen an den Universitäten von Wien, Jerusalem, Amman und Washington, D. C., die im Alter von nur 25 Jahren in den diplomatischen Dienst ihres Landes eintrat, später im Print- und Fernsehjournalismus arbeitete und als Dozentin an Militärakademien und Universitäten unterrichtete, Bücher schrieb und es schließlich zur Spitzendiplomatin Österreichs brachte.

Doch wenn sie jetzt auf das womöglich geringe Interesse der Weltgemeinschaft auf Olaf Scholz’ Rede vor den Vereinten Nationen hinweist, dann handelt sie wohl weniger als Diplomatin, sondern eher als Lobbyistin des Kremls. Man kann davon ausgehen, dass in dieser Funktion gut um sie gesorgt werden wird. (rnd)

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