Forscherin Maja Göpel„Wir müssen anerkennen, dass es echt ernst wird“

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Maja Göpel

„Ich habe sowieso keinen Einfluss.“ „Es ist sowieso schon alles zu spät.“ „Ich fahre doch E-Auto!“ Es sind solche Haltungen, die uns oft bei Veränderungen im Weg stehen. Doch Maja Göpel sagt: „Wir können auch anders.“ Im Interview erklärt die Transformationsforscherin, warum wir alle einen Unterschied machen – und sie nach der Aufregung um erstes Sachbuch erst mal kein neues Buch schreibt.

Frau Göpel, mit „Wir können auch anders“ wollten Sie ein Buch schreiben, „bei dem die Hoffnung im Mittelpunkt“ steht. Wie passt das mit den enormen Herausforderungen, vor denen wir angesichts des Klimawandels stehen, zusammen?

Für mich liegt Hoffnung zwischen Pessimismus und Optimismus. Denn als Pessimistin deklariere ich die negativen Grenzen; als Optimistin bin ich dafür verantwortlich, dass es zu dem guten Ergebnis kommt, das ich mir wünsche. Der Hoffnungsgedanke dagegen fokussiert sich komplett auf unsere heutige Handlungsfähigkeit, auf den nächstmöglichen Schritt.

Ist das nicht naiv, mit Hoffnung an ein Problem heranzugehen, von dem wir wissen: Eigentlich sind wir schon viel zu spät?

Wenn ich einen Trend oder eine Datenlage als eher negativ oder nicht mehr aufzuhalten beobachte, stellt sich ja trotzdem die Frage: Was mache ich jetzt damit? Mein Buch ist aus der Perspektive evolutionärer Systeme geschrieben, und die zeigt: Die Zukunft ist ein offener Prozess. Alles verändert sich dynamisch. Wenn die Welt also nicht mehr das 1,5-Grad-Ziel schafft, ist es trotzdem besser, wenn wir bei 1,8 landen als bei drei Grad. Ich kann also nicht so tun, als sei das ein Kippschalter, der entweder an oder aus ist. Denn die Zukunft wird immer das Ergebnis unseres heutigen Handelns sein. Deshalb ist auch die Frage so wichtig: Wer wollen wir sein? Welche Person möchte ich in diesem aktuellen Prozess gewesen sein? Wie möchte ich gegenüber meinen Kindern oder auch mein Leben reflektierend einordnen, welche Strategie und welche Verantwortungsübernahme ich für unsere Zukunft gewählt habe?

Wenn man immer wieder zeigt, welche Handlungsmöglichkeiten es noch gibt, sorgt das nicht dafür, dass das Handeln immer weiter aufgeschoben wird? Sollte man nicht eher die Schreckens- und Horrorszenarien an die Wand werfen, um zu zeigen: So übel wird es, wenn wir nichts tun?

Das würde ich nicht so gegenüberstellen. Der erste Schritt ist eine ehrliche Bestandsaufnahme. Aber das verbieten wir uns ja aktuell sogar eher noch. Das ist ja das Verrückte, dass eine Politik nicht eingestehen will, wie nichtnachhaltig der Status quo aussieht. Aber anzuerkennen, dass es echt ernst ist, ist die Grundlage dafür, dass wir Lösungen finden, die wirklich an die Wurzel des Problems gehen und nicht vermeintliche Scheinlösungen sind.

Eine der Scheinlösungen, die Sie ausmachen, sind E-Autos.

Wenn noch mehr Autos herumfahren, dafür aber elektrisch, dann ist das nicht die Lösung. Das ist nicht die zukünftige Mobilität. Wir können zum Beispiel nicht unbegrenzt Metalle aus dem Boden holen.

Aber ist es nicht gut, zumindest einen ersten Schritt zu gehen? Lieber schon mal den Umstieg auf das E-Auto voranzutreiben, anstatt auf die große Mobilitätstransformation zu warten?

Das Wichtige dabei ist, dass man die klare Vision nicht aus den Augen lässt. Also nicht sagt: E-Autos reichen. Sondern eigentlich brauchen wir eine komplett neue Mobilität, bei der die Bedürfnisse an die Mobilität die Ausgangsfrage sind: Was möchten Menschen mit ihrer Fortbewegung erreichen? Einkaufen, arbeiten, Familie treffen, Urlaub machen – und wie wirkt sich das auf die Stadtgestaltung aus, auf neue Quartiere, auf modulare Verkehrsplanung, die unterschiedliche Transportmittel kombiniert? Zur Umsetzung sind dann viele kleine Schritte nötig, aber ohne das große Bild aus den Augen zu verlieren. Lagerbildung hat extrem zugenommen, die Grauzone ist ja fast verboten.

Dazu muss man sich aber einig darüber sein, wie dieses große Bild überhaupt aussehen soll. Verlieren wir – verstärkt durch Krisen wie Corona und Energie – diese gemeinsame Wirklichkeit?

Das ist aus meiner Sicht einer der größten prekären Trends gerade. Vor allem, weil das bewusst forciert wird. Deshalb habe ich in einem Kapitel ja auch die Rolle von sozialen Medien und Algorithmisierung dahingehend beleuchtet, wie sie negative Emotionen und die Bereitwilligkeit, andere Menschen konfrontativ anzugehen, vergrößern. Oft wird schon ohne Blick hinter die Überschrift oder in den Kontext geurteilt und beschimpft. Das sind natürlich Diskursräume, die nicht dabei helfen, das Verbindende zu entdecken. Ich habe aber auch den Eindruck, dass wir kulturell in diese Richtung laufen. Die Unsicherheit löst den Wunsch nach einfachen Erklärungen aus. Lagerbildung hat extrem zugenommen, die Grauzone ist ja fast verboten. Nur, die meisten Lösungen sind ein Sowohl-als-auch. Es sind nicht nur der Markt oder nur der Staat oder nur der Verzicht oder nur die Technik. In der Realität wird es eine Mischung sein. Und auch als Einzelperson kann ich sagen: Ich möchte trotzdem noch Auto fahren, weil ich es momentan nicht anders schaffe, mich fortzubewegen – und trotzdem möchte ich starke Klimapolitik, die mich mittelfristig von der Autoabhängigkeit befreit.

Wie kriegen wir das wieder repariert?

Für mich ist das Allerwichtigste, zu fragen: Wie können wir uns trauen, wieder mehr in partnerschaftliche Beziehungen einzutreten, in denen man sich als Menschen begegnet und nicht als Verteidiger einer bestimmten Position? Ich glaube, das hat viel mit persönlichen Begegnungen zu tun. Und ich hoffe, dass wir diese Räume wieder orchestrieren können. Wenn wir es schaffen, wieder auf der tieferen Ebene der Bedürfnisse miteinander zu sprechen, dann merken wir auch, dass wir uns eigentlich gar nicht so ungleich sind. Denn wenn Sie Menschen fragen, was ihnen ganz zentral wichtig ist in ihrem Leben, dann hören Sie ähnliche Sachen. Vieles hat mit Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Wertschätzung und Gesehen-Werden zu tun. Wir wirken auf die anderen – ob wir wollen oder nicht.

Sie greifen in Ihrem Buch das Beispiel MacKenzie Scott auf. Die Ex-Frau von Amazon-Gründer Jeff Bezos hat Milliarden für wohltätige Zwecke gespendet. Warum müssen wir nicht alle so reich wie MacKenzie Scott sein, um einen Unterschied zu machen?

Es geht darum, das Muster zu erkennen. Und dann kann ich mit einem ähnlichen Verhalten durchaus auch in meinem Alltag agieren. Derzeit ist es ja so, dass wir die Menschen abfeiern, die es im System nach oben geschafft haben – ohne dass wir darauf achten, was die Art, wie sie sich da hochgespielt haben, mit dem Rest des Systems gemacht hat. MacKenzie Scott sagt: Ich habe ganz viel Geld, aber das System, das dieses Geld zu mir gespült hat, ist hochgradig ungerecht. Das Verhalten, das Scott nun zeigt, ist heruntergebrochen: Ich setze mich dafür ein, dass das System eines ist, das für alle funktioniert und das erklärten Zielen der Gesellschaft dient. Dafür unterstütze ich mit meinem Geld diejenigen, die wegweisend dafür arbeiten – ohne ihnen zu sagen, wie sie das machen sollen. Das können wir doch jeden Tag leben, in unseren Organisationen, in unserer Familie.

Sie verwenden dafür einen bestimmten Begriff, „zum Wirk werden“.

Ja, weil wir mit unserem Handeln, egal ob wir den Eindruck haben, dass wir alles wie immer machen, jeden Tag Veränderungen in Gang setzen. Weil wir für andere Menschen ein Beispiel sind. Weil wir etwas sagen oder nicht sagen. Wir wirken auf die anderen – ob wir wollen oder nicht.

Kürzlich ist ein Artikel in der „Zeit“ erschienen, darin wird Ihnen vorgeworfen, dass Sie bei Ihrem ersten Sachbuch die Zusammenarbeit mit einem Journalisten nicht kenntlich gemacht haben. Waren Sie von den Reaktionen darauf überrascht?

Es war eben kein „Stillschweigepakt“. Was für eine üble Formulierung. Ich konnte die Zusammenarbeit nicht kenntlich machen, weil Marcus Jauer, der mitarbeitende Journalist, es nicht wollte. Vertraglich hatte er das Recht, so zu entscheiden. Meine Versuche, ihn trotzdem zur Nennung zu überreden, waren nicht erfolgreich. Ob diese Verträge für Sachbücher bei Wissenschaftler:innen überhaupt so angeboten werden sollten, darüber lässt sich sicher eine Debatte führen. Verlage und Agenturen stehen bei: „Das ist gängige Praxis.“ Und in Reaktionen anderer Zeitungen auf die „Zeit“ war das auch zu lesen. Auf der anderen Seite zeigt Twitter einige empörte Professorinnen und Professoren, die ein Sachbuch nicht von einer wissenschaftlichen Publikation unterscheiden wollen. In den Leserbriefen auf den „Zeit“-Artikel zeigt sich, wie wichtig der Stil und die Wortwahl für die Bewertung eines Sachverhaltes sind und die haben mich sehr erschreckt. Auch die Darstellung meiner jahrzehntelangen Tätigkeit in diesem Feld bis dahin, dass Auszeichnungen für diese Tätigkeit wie Preise allein für das Buch erscheinen. Die juristische Auseinandersetzung über handfeste Falschbehauptungen läuft noch. In Gesprächen zeigen sich auch diejenigen irritiert über den Artikel, die sich wünschen, ich wäre aus dem Vertrag ausgestiegen, als ich Marcus Jauer nicht umstimmen konnte. Aber die nächsten sieben bis zehn Jahre sind alle sicher vor mir.

Wie ist es denn zu der Entscheidung gekommen?

Im Prinzip basieren beide deutschen Sachbücher auf „The Great Mindshift“ meinem wissenschaftlichen Buch von 2016, in dem ich die politische Ökonomie und die Transformationsforschung zusammenbringe. Nach einem Auftritt für die Scientists for Future bei der Bundespresskonferenz 2019 traten verschiedene Verlage an mich heran mit dem Vorschlag, mal ein Buch so zu schreiben, wie ich rede. Das wäre so gut zu verstehen. Ohne Unterstützung war das nicht möglich. Ich hatte ja einen Vollzeitjob und zwei kleine Kinder. Daraufhin hat eine Agentur eine passende Person für die Zusammenarbeit gesucht.

Zur Person

Prof. Dr. Maja Göpel ist Politökonomin, Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung, Autorin des Bestsellers „Unsere Welt neu denken“ und des im September 2022 erscheinenden Sachbuchs „Wir können auch anders“, Hochschullehrerin und Mitbegründerin der Scientists for Future.

Möchten Sie denn jetzt wirklich „nie wieder ein Buch schreiben“?

Ich habe gerade kein Buch mehr in mir. Ich orientiere meine Arbeit nicht an festen Produkten, sondern danach, was ich verstehen möchte, welche Fragen im Raum stehen oder was nachgefragt zu sein scheint. Wissenschaftskommunikation ist ja ein weites Feld und durch die beiden Bücher habe ich erst einmal die Grundlage gelegt, auf der ich mit kleineren Bausteinen, mit kürzeren Projekten, mit neuen Formaten in familienkompatibler Form super arbeiten kann. Denn zumindest für mich ist Bücherschreiben mit kleinen Kindern keine so gute Idee. Ich werde zum Gedankenweltzombie, wenn ich anderthalb Jahre lang die große Welt systematisch auf Papier zu bannen versuche. Das schaltet sich ja nicht aus, wenn ich schlafen gehen möchte, und dann kommt die Schreibphase bis vier Uhr morgens, und um 6.30 Uhr sagen die Kinder: Moin, Mama! Deshalb habe ich ihnen versprochen, kein Buch mehr zu schreiben.

Und wenn noch mal ein Buch in Ihnen wächst?

Klar, ganz ausschließen kann man das nicht. Aber die nächsten sieben bis zehn Jahre sind alle sicher vor mir.

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