GKV-Chefin Pfeiffer„Die Krankenkassen haben ein massives Finanzproblem“

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Doris Pfeiffer ist Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen. Die 62-Jährige führt den Verband seit 2007. Er ist die oberste Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen. Der Spitzenverband verhandelt für alle Kassen beispielsweise Verträge mit Ärzten und Kliniken.

Frau Pfeiffer, Was werden Sie bei Ihrem ersten Treffen mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach ansprechen?

Natürlich ist es vordringlich, sich jetzt um alle Fragen rund um die Bekämpfung der Pandemie zu kümmern. Aber deshalb dürfen die von den Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag vereinbarten Reformen im Bereich Gesundheit nicht liegen bleiben. Die gesetzliche Krankenversicherung hat insbesondere durch teure Reformen der vergangenen Jahre ein massives Finanzproblem. Das duldet keinen Aufschub. Für 2022 haben die Kassen jedoch noch genug Geld.

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Aber nur deshalb, weil der Bund seinen jährlichen Steuerzuschuss von normalerweise 14,5 Milliarden Euro einmalig fast verdoppelt hat. Wird nichts unternommen, müssen die Beiträge Anfang 2023 um fast einen Prozentpunkt steigen. Das wäre bei einem Monatseinkommen von 3500 Euro immerhin eine Mehrbelastung von 35 Euro, die sich Versicherte und Arbeitgeber teilen würden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand in der Politik das möchte.

Was fordern Sie konkret?

Die Koalition hat sich auf unser langjähriges Drängen darauf geeinigt, das Problem der zu geringen Krankenkassen-Beiträge, die der Bund für die Hartz-IV-Empfänger zahlt, anzugehen. Dabei geht es um Milliardenbeträge, die spätestens ab 2023 fließen müssen. Der Koalitionsvertrag spricht allerdings nicht mehr von einem vollständigen Ausgleich, sondern nur noch von höheren Beiträgen.

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Das ist hochproblematisch. Es ist schlichtweg nicht die Aufgabe der Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung, Aufgaben des Staates zu finanzieren. Wir erwarten von der neuen Bundesregierung, dass der gesetzlichen Krankenversicherung die tatsächlich entstehenden Kosten erstattet werden, also insgesamt zehn Milliarden Euro mehr als bisher.

Das ist die Seite der Einnahmen. Gibt es auch Sparmöglichkeiten? War Lauterbach voreilig, als er Leistungskürzungen für die Versicherten ausgeschlossen hat?

Nein, denn Leistungskürzungen wären die schlechteste Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Wir haben im Gesundheitswesen nicht das Problem, dass der Katalog der Leistungen, die für die Versicherten übernommen werden, zu umfangreich ist. Wir haben vielmehr das Problem, dass zum Beispiel zu viele Hüften und Bandscheiben operiert werden, weil es für die Kliniken falsche Anreize gibt. Wichtig ist, dass Qualität und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand gehen. So würde niemand die Leistung „Röntgen“ infrage stellen. Aber die Frage, ob jede Röntgenaufnahme notwendig ist, muss man schon stellen.

Lassen Sie uns zu Corona zurückkommen: Die Intensivstationen sind stark belastet, das Personal ist am Limit. Ist die Forderung unter anderem der Krankenhausgesellschaft nach Aussetzung der Pflegepersonaluntergrenzen nicht nachvollziehbar?

Wir können nur eindringlich davor warnen. Die Untergrenzen sollen nicht nur eine Überlastung des Pflegepersonals verhindern, sondern sie dienen auch dem Schutz der Patientinnen und Patienten vor schlechter Versorgung. Die Untergrenzen können Patientengefährdung verhindern – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Es sei betont, dass die Sanktionen bei der Nichteinhaltung sogar ausgesetzt sind. Doch mehr Mittel haben wir derzeit nicht. Nötig ist eine Personalbemessung, die jederzeit eine angemessene medizinische Versorgung gewährleistet. Die Pläne der Ampel-Koalition dazu sind allerdings ein Problem.

Warum?

Im Koalitionsvertrag ist als jahrelange Übergangslösung ein System geplant, das nur sehr allgemein den Personalbedarf über die Honorierung der Kliniken steuern soll. Wie viele Pflegekräfte dann konkret pro Schicht am Bett arbeiten, bleibt jedoch völlig offen. Das wäre in etwa so, als würde man höhere Verkaufspreise für Autos festlegen, um mehr Arbeitsplätze in den Fabriken zu erreichen. Das kann nicht funktionieren, schützt weder Patienten und Patientinnen noch Personal, zumal die Forderung besteht, dann die Untergrenzen wieder ganz abzuschaffen. Viele Jahre lang haben die Kliniken auf Kosten des Pflegepersonals gespart. Dazu darf es im Interesse sowohl der Patientinnen und Patienten als auch der Pflegekräfte keinesfalls wieder kommen.

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