Interview mit Gründerin„Arbeitsmarkt ist nicht für Mütter gemacht“

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„Alleinerziehend zu sein ist immer noch kein vom Staat anerkanntes Familienmodell“, sagt, „Solomütter“-Gründerin Sara Buschmann im Interview. (Symbolbild)

„Alleinerziehend zu sein ist immer noch kein vom Staat anerkanntes Familienmodell“, sagt, „Solomütter“-Gründerin Sara Buschmann im Interview. (Symbolbild)

Christian Lindner hat behauptet, die Erwerbswilligkeit der Alleinerziehenden sei gesunken. „Solomütter“-Gründerin Sara Buschmann erklärt, warum der Finanzminister falsch liegt und wie Elternteile unterstützt werden können.

Frau Buschmann, Sie haben sich mit weiteren Alleinerziehendenverbänden zusammengetan und einen offenen Brief veröffentlicht, überschrieben mit den Worten „Jetzt reicht’s“. Was verärgert Sie so?

Sara Buschmann: Wir sind unheimlich verärgert darüber, wie despektierlich und schlicht falsch sich Christian Linder bei der Pressekonferenz zur Kindergrundsicherung über Alleinerziehende geäußert hat. Der Finanzminister behauptete, die Berufstätigkeit und die Erwerbswilligkeit von Alleinerziehenden sei in den letzten zehn Jahren gesunken und man wolle Anreize für den Arbeitsmarkt schaffen, statt mit staatlichen Geldern das Zuhausebleiben zu unterstützen. Das ist nicht das Bild, das wir von den Menschen in unseren Communitys haben. Und die Zahlen vom Statistischen Bundesamt belegen, dass die Aussage auch einfach faktisch falsch ist.

Was sagen die Zahlen?

Sie sagen, dass die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Nur 2020 bis 2022 gab es einen kleinen Einbruch.

Wie erklären Sie sich das?

Dazu haben wir bislang keine offizielle Erklärung. Es wird eine Kombination aus Pandemie, Erschöpfung danach, und an der Carekrise liegen. 2022 kam dann noch der Krieg in der Ukraine hinzu: Geflüchtete Mütter und Kinder, die hierhergekommen sind, sind auch alleinerziehend und arbeiten im Zweifel noch nicht. Das heißt, es gab diesen kleinen Einbruch, aber ansonsten eine Steigerung seit 2004. Die Zahlen zeigen auch, dass alleinerziehende Mütter häufiger und mehr arbeiten als Mütter in Paarbeziehungen. Tatsächlich sind es 46 Prozent der Alleinerziehenden, die Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten. Zu sagen, man müsse Anreize schaffen, um uns ans Arbeiten zu bringen, ärgert uns auch deshalb, weil dahinter ein bestimmtes Narrativ steckt.

Wir wollen als Familienform von der Gesellschaft und von der Politik mitgedacht werden.
„Solomütter“-Gründerin Sara Buschmann

Welches denn?

Wir sehen darin ein Vorurteil: Alleinerziehende ruhen sich auf Staatskosten aus, leben vom Kindergeld und Unterhalt. Das ist ein Narrativ, das nicht stimmt, denn nur 25 Prozent aller Kinder bekommen den Mindestunterhalt, 70 Prozent der Alleinerziehenden haben Probleme, Unterhaltsforderungen durchzusetzen.

Was vermuten Sie als Ursache für diesen Blick auf Alleinerziehende?

Ich denke, es ist zum einen ein patriarchal geprägter Blick auf Frauen. Alleinerziehend zu sein ist immer noch kein vom Staat anerkanntes Familienmodell. Das sehen wir am Ehegattensplitting: Wer verheiratet ist, hat einen Steuervorteil, egal, ob er steuerlich relevante Kinder hat oder nicht. Es ist bei uns gesellschaftlich geprägt, dass die heteronormative Familie mit Vater, Mutter, Kind das Idealbild ist. Hinzu kommt: Mit 88 Prozent sind die meisten Alleinerziehenden nun einmal Frauen. Man sieht es aber nicht gern, dass Frauen allein zurechtkommen.

Was ist falsch daran, Anreize setzen zu wollen, um auch Frauen in den Arbeitsmarkt zu bekommen?

Der Grundsatz „Frauen in Arbeit bekommen“ impliziert, dass sie nicht arbeiten möchten und der Staat die Frauen motivieren muss. Dabei zeigt die Erwerbsquote Alleinerziehender, dass Frauen arbeiten möchten. Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass alleinerziehende Mütter zum Teil noch mehr arbeiten wollen. Als Verbände sehen wir aber auch, wie schwierig es heutzutage noch ist, als alleinerziehende Mutter im Berufsleben Fuß zu fassen. Die Problematik liegt nicht bei den Müttern, sondern in den Strukturen.

Wo liegen die Schwierigkeiten für Alleinerziehende am Arbeitsmarkt?

Der Arbeitsmarkt ist nicht für Mütter gemacht, besonders nicht für alleinerziehende. Sie haben nun mal bestimmte Voraussetzungen, die sie benötigen, um die Arbeit mit einem Kind leisten zu können.

Welche Voraussetzungen sind das?

Zum Beispiel muss die Arbeit in den Betreuungszeiten stattfinden. Es muss eine zuverlässige Betreuung gegeben sein. Außerdem arbeiten viele Frauen im Niedriglohnsektor. Das sind häufig Berufe mit Schichtsystemen, etwa in der Kranken- oder Altenpflege. Wobei das Schichtsystem zum Beispiel auch für Ärztinnen schwierig ist. Auch auf sie wird als alleinerziehende Mütter in Krankenhäusern keine Rücksicht genommen.

Was sind die Hürden im Alltag?

Es fehlen fast 400.000 Kita-Plätze. Selbst wenn ich einen Platz habe, brauche ich, je nach Beruf, eine Kita, die ab 7 Uhr die Kinder nimmt und bis 17 Uhr betreut. Viele Einrichtungen haben gar nicht so lange geöffnet. Damit ist eine Vollzeitberufstätigkeit nicht möglich. Hinzu kommt: Wenn man zum Beispiel mit einem Baby arbeitslos ist, bekommt man kein Arbeitslosengeld, weil man dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht. Man bekommt aber auch keinen Kita-Platz, weil man keinen Arbeitsplatz hat.

Lenkt die Debatte um Anreize also ab von den strukturellen Problemen?

Die FDP ist eine Partei, die sich stark mit Männerthemen auseinandersetzt, auch in der Partei selbst sind Frauen unterrepräsentiert. Daher glaube ich zum einen, dass unsere Familienform etwas ist, das der FDP nicht gefällt. Zum anderen glaube ich, dass Christian Lindner für familiäre Themen das Geld nicht ausgeben möchte und das versucht zu rechtfertigen, indem er strukturelle Probleme wieder einmal ins Private schiebt.

Es ist nicht nur der Finanzminister, über den Sie sich ärgern.

Enttäuscht hat uns auch die Familienministerin, die selbst einen Alleinerziehendenhintergrund hat. Sie hat Christian Lindner diese Aussagen tätigen lassen und uns alleinerziehende Mütter nicht geschützt. Darum haben wir uns an sie mit der Bitte gewandt, die Zahlen zu korrigieren. Bislang ist das nicht passiert.

Sie haben über das frauenfeindliche Narrativ gesprochen. Was für ein Bild von Alleinerziehenden würden Sie sich wünschen?

Was in der Gesellschaft ankommen sollte, ist, dass Alleinerziehende mit ihren Kindern eine Familienform von vielen sind. Jede fünfte Familie in Deutschland ist eine Einelternfamilie. Wir wollen als Familienform von der Gesellschaft und von der Politik mitgedacht werden. Das fängt bei Kleinigkeiten an. (RND)

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