Invasion der Ukraine10 schlechte Nachrichten für Wladimir Putin

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Wladimir Putin bei einer Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten in Moskau.

Wladimir Putin bei einer Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten in Moskau.

Putins Vormarsch läuft nicht wie gedacht Putin wollte in der Ukraine einen Blitzkrieg vorführen: Einmarsch plus Umsturz binnen 48 Stunden. Bis heute spricht sein Staatsfernsehen von einer „begrenzten Militäraktion in der Ukraine“. Das Wort „Krieg“ darf offiziell gar nicht erwähnt werden. >>Alle Nachrichten, Informationen und Entwicklungen in der Ukraine im Liveblog. Tatsächlich aber gibt es einen Krieg, und in diesem Krieg haben sich die Invasoren auf eine für sie sehr unelegante Art festgefahren: in Kiew, in Charkiw, in Mariupol.

Die Ukrainer kämpfen aus einer technologisch unterlegenen Position, aber mit überlegener Moral. Und sie attackieren inzwischen auch Herzen und Hirne in Russland, etwa durch die Bitte ans Internationale Komitee vom Roten Kreuz, beim Rücktransport der Leichen junger russischer Männer in ihre Heimat behilflich zu sein.

Der Botschafter der Ukraine bei den Vereinten Nationen, Sergiy Kyslytsa, schrieb: „Eltern in Russland sollten die Möglichkeit haben, sie würdevoll zu beerdigen.“ Und er fügte hinzu: „Lassen Sie Putin das Ausmaß der Tragödie nicht verbergen.“

Das Problem für Putin liegt jetzt nicht allein in der Kollision seiner Truppen mit denen der Ukraine. Das Problem liegt in seiner eigenen Kollision mit der Wahrheit.

Putins Atomwaffen helfen ihm nicht

Putin versteckt seine Wut, man kennt das inzwischen, hinter einer Miene, die halb gelangweilt wirkt, halb säuerlich – auch in den für ihn schlimmsten Stunden.

Mit diesem Gesichtsausdruck verkündete er am Sonntag im russischen Staatsfernsehen, er habe die sogenannten Abschreckungskräfte seines Landes in Alarmbereitschaft versetzt. Dazu gehören auch Atomraketen. Putin begründete den Schritt mit „aggressiven Erklärungen“ aus den Nato-Staaten und deren „unfreundlichen Maßnahmen gegen unser Land“.

Putins Auftritt markiert eine weitere seltsame Umdrehung in Richtung Realitätsverlust. Will er jetzt die westlichen Wirtschaftssanktionen durch eine nukleare Attacke kontern?

Sein Problem ist: Seine Atombomben, auf die er immer so stolz war, helfen ihm nicht – weder im Wirtschaftskrieg mit dem Westen noch im sich gerade entfaltenden unübersichtlichen „Urban-Warfare“-Szenario in der Ukraine.

Putin schafft Unruhe im eigenen Land

Schon in den allerersten Kriegstagen gingen Russen, vorwiegend junge Leute, auf die Straße, um gegen Putins Krieg zu demonstrieren. Das verdient Respekt. Denn jeder, der in Russland öffentlich das Wort „Frieden“ auch nur ausspricht, muss damit rechnen, als Provokateur verhaftet und in einen der großen Gefangenenbusse der Omon-Spezialkräfte gestoßen zu werden.

Protest St Petersburg

Protest auch in Russland gegen die Invasion: Die Polizei greift wie hier in Sankt Petersburg hart durch.

Putin hatte vom ersten Tag an die Weisung gegeben, knallhart einzuschreiten. Doch er konnte nicht verhindern, dass die Protestwelle mächtig anwuchs: Am Sonntag gab es Proteste gegen Putins Krieg in 48 russischen Städten. Verhaftet wurden 2500 Menschen.

Putin vereint Europäer und Amerikaner

Die EU-Staaten sind dank Putin in beeindruckender Weise zusammengerückt. Ein Teil der Sanktionen wurde in der 27-Staaten-Gemeinschaft unter der in dieser Sache sehr engagierten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sogar schneller definiert als in den USA.

Nato und EU sind neuerdings informell so eng verzahnt wie nie. Von der Leyen war mal Verteidigungsministerin und kennt die Vokabeln. Auch zwischen Brüssel und Joe Bidens Weißem Haus gibt es jetzt ungewöhnlich kurze Drähte.

Nach Jahrzehnten, in denen Putin EU und USA auseinandertreiben wollte, hat er jetzt exakt das Gegenteil erreicht. Man sollte deshalb endlich aufhören, von einem kühlen Strategen im Kreml zu reden oder gar von einem Genie.

Putin hat neue Probleme im Pazifik

Die Sanktionspolitik der freien Welt ist keine rein amerikanisch-europäische Veranstaltung mehr. Mit Südkorea kam am Wochenende ein neuer Partner aus Asien hinzu, der sich nach anfänglichem Zögern am gemeinsamen Druck auf Russland beteiligen will. Zuvor hatte schon Japan zugesagt, an den Swift-Sanktionen gegen Russlands Finanzsektor mitzuwirken. Tokio lässt der Regierung der Ukraine zudem 100 Millionen Dollar als „humanitäre Soforthilfe“ zukommen.

TSMC Taiwan

Der taiwanesische Chiphersteller TSMC

Taiwan wird Lieferungen fortschrittlicher Mikrochips nach Russland stoppen. Betroffen sind Produkte der Firma TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company), des größten Chipherstellers der Erde.

Australien hatte der Ukraine zunächst, wie Deutschland, nur die Lieferung von „nicht tödlichem Militärmaterial“ zugesagt – schwenkte aber ebenfalls am Wochenende um und liefert nun Waffen aller Art. In der australischen Zeitung Sydney Morning Herald wurde darauf verwiesen, dass allein ein kleines europäisches Land wie Belgien der Ukraine 2000 Maschinengewehre liefere.

Putin bringt Scholz auf neuen Kurs

Putin hat bewirkt, dass ausgerechnet eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung jetzt ihre Außen- und Sicherheitspolitik neu ausrichtet. Die Ampel-Koalition sagt plötzlich ja zu Waffenlieferungen und ja zu LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel, um mehr Flüssiggas als Alternative zu russischem Gas importieren zu können. Berlin will auch die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr steigern, mit dem größten Rüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik.

Pech für Putin: Die von Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag verkündeten Weichenstellungen sind keine Ansagen für den Augenblick, sondern definieren die deutsche Politik auf Jahre hinaus. Ob Moskau hinter der nächsten Kurve wieder mit Verhandlungen winkt oder irgendeinen neuen Trick anwendet, ist egal. Für Scholz, den Putin glaubte belügen und vorführen zu können, ist ein point of no return überschritten.

Putin verliert das Herz der Deutschen

Mehr als in anderen europäischen Ländern waren die Deutschen immer noch bereit, auf Putin einzugehen. Der Zweite Weltkrieg hat hierzulande den bei vielen Menschen tief sitzenden Wunsch bewirkt, mit Russland und den Russen ein gutes Verhältnis hinzubekommen.

Putin aber, die Demonstrationen in Deutschland beweisen es, macht das jetzt unmöglich. Sein Überfall auf die Ukraine überfordert auch langjährige Russland-Versteher, etwa unter den Ostdeutschen, die aus guten Gründen dem früheren russischen Präsidenten und Maueröffner Michail Gorbatschow dankbar sind und dankbar bleiben.

Berlin Demo

Rund eine halbe Million Menschen kamen zur Friedensdemo nach Berlin

Doch derzeit passiert noch mehr: Endlich wandert ein frecher, ungnädiger Blick der Jungen zur Abwechslung auch mal nach Moskau.

Zögernd räumen jetzt viele ein: Man nahm es allzu lange achselzuckend hin, dass in Russland jemand herrscht, der immer schon die Freiheit mit Füßen trat, der die LGBTQ-Community verhöhnt, der kein freies Internet zulässt, der so viel Macht wie möglich in seinen Händen vereint, der völkisch argumentiert. Erst jetzt wird entdeckt: Zum Engagement gegen Rechts gehört eigentlich auch ein Engagement gegen Putin.

Putin eckt bei Tech-Szene an

Der russische Präsident hat es jetzt in Kreisen vergeigt, die normalerweise eine Einmischung ins Politische lieber vermeiden: in der weltweiten IT-Szene. Bei Nerds und Techies unterschiedlicher Herkunft gibt es eine gemeinsame Attitüde: Der Typ stört. Und dann folgt eine freche Frage: Was könnte man gegen ihn tun?

Dass das Hackerkollektiv „Anonymous“ Putin den „Cyberkrieg“ erklärt, kann man als Randerscheinung dieser Tage beiseite wischen. Vielleicht ist es aber auch eine schlechte Nachricht für Putin – der selbst mit Hackern und ganzen Trollfabriken das Internet zu durchdringen versucht. Was, wenn nun Putins neue Gegner zum Beispiel Moskaus Social-Media-Manipulationen entschlüsseln und dokumentieren?

Ein weiteres Phänomen, mit dem Putin wohl kaum gerechnet hat: Der Milliardär Elon Musk, als Eigentümer von Space X Gebieter über 2000 Satelliten, hilft jetzt mal eben, in der Ukraine Internetverbindungen wieder herzustellen, wo sie durch den russischen Einmarsch ausgefallen waren.

Für Putin sind mobile, weltraumbasierte Internetsysteme wie Weihwasser für den Teufel: Jahrelang hat er sich bemüht, Russlands Internet komplett kontrollierbar zu machen. Was, wenn künftig Leute im wahrsten Sinne des Wortes dazwischenfunken?

Putin ist immer mehr Russen peinlich

Russische Airlines dürfen nicht mehr in die EU fliegen, egal ob zum Businesstreffen oder an den Strand. Russen werden ab heute Mühe haben, mit ApplePay oder GooglePay zu bezahlen. Vielleicht gibt es Probleme beim Geldabheben von der russischen Bank. Russen dürfen keine Fußballspiele mehr auf europäischem Boden austragen. Sie dürfen nicht mal mehr mit Europäern singen: Auch beim European Song Contest sind sie offiziell ausgeladen. Alles wegen Putins Krieg.

Wie wird sich das alles auswirken? Die arroganten Meinungsmacher von Russia Today trommeln: Wem es jetzt peinlich sei, ein Russe zu sein, der sei in Wirklichkeit gar kein Russe – also müsse sich niemand Sorgen machen.

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In Wahrheit ist es komplizierter. Denn von Tag zu Tag gibt es mehr Russen, denen es zwar nicht peinlich ist, Russe zu sein – denen aber Putin peinlich ist. Und das kann auf lange Sicht Folgen haben für die Tektonik der russischen Gesellschaft. Einem Staatschef, der sein Land in weltweite Ächtung führt, applaudiert früher oder später nur noch ein sehr kleiner Kreis von ewig gestrigen Provinzlern. Die modernen Bürger Moskaus oder St. Petersburgs aber könnten versucht sein, ihr Land auf einen anderen Kurs zu bugsieren, mit einer anderen Führung.

Auch Putins Oligarchen wackeln

Im Beisein Putins machen sie, wie aus Moskau berichtet wird, noch nicht den Mund auf. Dennoch: In Kreisen russischer Milliardäre hat bereits ein Umdenken eingesetzt. Oleg Deripaska, Gründer des russischen Aluminiumgiganten Rusal, forderte am Wochenende „Friedensverhandlungen, so schnell wie möglich“. Denn, schrieb der Milliardär auf Telegram, „Frieden ist sehr wichtig.“

Offenbar treibt den Mann auch die Sorge um die eigene Zukunft: Wegen enger Verbindungen zu Putin steht Deripaska auf den Sanktionslisten von EU und USA.

Ähnlich wie Deripaska äußerte sich Mikhail Fridman, Gründer des Industrie- und Finanzkonzerns Alfa Group. Der Krieg, warnte Fridman in einem Schreiben, das auch an seine Angestellten in London ging, werde unzählige Leben kosten und großen Schaden anrichten für „zwei Nationen, die doch Brüder gewesen sind über Hunderte von Jahren“.

Ein weiterer Milliardär, der namentlich nicht genannt werden wollte, sagte der Nachrichtenagentur Reuters: „Es wird in jeder Hinsicht katastrophal: für die Wirtschaft, für die Beziehungen zum Rest der Welt, für die politische Situation.“ (RND/mit dpa)

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