WashingtonKleiderstreit: Kurze Hosen im Kongress

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US-Senator John Fetterman erscheint mit kurzer Hose im Senat – kurz bevor dort der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj redet.

US-Senator John Fetterman erscheint mit kurzer Hose im Senat – kurz bevor dort der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj redet.

In Washington gibt es zurzeit nur ein Aufregerthema: die Lockerung des Dresscodes im ehrwürdigen Senat. Der Demokraten-Politiker John Fetterman genießt demonstrativ die neue Freiheit zum Schlabberlook. Nicht nur die Republikaner sind hingegen empört.

 Bei genauem Hinschauen sieht man an der einen oder anderen Stelle den Putz abblättern. Auch klingen einige Säulen beim Klopfen hohl, und das Gold an den Bilderrahmen ist nicht immer echt. Gleichwohl wird das Dekorum großgeschrieben in den ehrwürdigen Hallen des amerikanischen Kongresses und seiner Herzkammer, dem Senat.

Insofern war es auffällig, dass am Donnerstag ein hünenhafter Mann mit einem unförmig übergroßen kurzärmeligen Hemd und schwarzen Basketball-Shorts aus dem Büro des Mehrheitsführers trat und durch den Ohio Clock Corridor zur zweihundert Jahre alten Old Senate Chamber schlurfte, kurz bevor dort der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj redete. Der 2,03 Meter große Glatzkopf hatte sich nicht verirrt. Es war John Fetterman, ein Senator aus Pennsylvania.

Einige Kollegen zeigten sich befremdet. Überrascht waren sie nicht. Seit Mehrheitsführer Chuck Schumer Anfang der Woche die Bekleidungsvorschriften gelockert und den informellen Dresscode für den Senat aufgehoben hat, gibt es kein größeres Aufregerthema in Washington.

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In Detroit mögen die Autoarbeiter streiken, in der Hauptstadt ein Shutdown drohen - der Kulturkampf um die Klamotten erregt derzeit mit Abstand die meisten Gemüter. Eine Schande sei das, meinen die eine und drohen wie Susan Collins, die 70-jährige republikanische Senatorin aus Maine, demnächst aus Protest im Bikini zu erscheinen. Die Rechten wollten mit gespielter Empörung vom Chaos in den eigenen Reihen ablenken, glauben die anderen - allen voran Fetterman.

John Fetterman winkt Journalisten zu.

John Fetterman winkt Journalisten zu.

Der 54-jährige demokratische Politiker aus Pennsylvania dürfte den Anstoß zum jüngsten Sittenverfall im Kapitol gegeben haben. Schon immer kleidete er sich demonstrativ lässig mit schwarzem Hoodie - wohl auch, um die Nähe zur Arbeiterschaft seines Wahlbezirkes zu betonen. Nach der Genesung von einem Schlaganfall im vergangenen Jahr weigert sich der Koloss nun endgültig, seinen massigen Körper in einen Anzug zu zwängen. Schumers Lockerung des Dresscodes, der bislang einen Anzug mit Krawatte für Männer und ein Kleid oder einen Hosenanzug für Frauen vorsah, scheint vor allem auf Fetterman zugeschnitten.

Frauen im Kongress: Hosen tragen erst seit 1993

Nun ist es grundsätzlich nicht ungewöhnlich, dass selbst strukturell konservative Institutionen wie der Senat gelegentlich ihre Etikette modernisieren. Erst seit 1993 dürfen die weiblichen Kongressmitglieder Hosen tragen. 2017 wurde ihnen dann Blusen ohne Ärmel erlaubt. Aber der Sprung vom amerikanischen „Business Attire“, das auf Einladungskarten zu offiziellen Anlässen oftmals verlangt wird, zur schlabbrigen kurzen Turnhose ist doch ziemlich weit. Nicht nur viele Republikaner, sondern auch die Washington Post fragt sich, wo die Liberalisierung enden soll. Es dürfte nicht lange dauern, bis Politiker mit politischen Parolen auf dem T-Shirt im Parlament erscheinen.

In einem Brief haben sich daher 46 republikanische Senatoren an Schumer gewandt. Sie fordern eine Revision der Entscheidung, „um die Ehre dieses Parlaments um jeden Preis zu schützen“. Auch drei demokratische Senatoren haben sich ähnlich geäußert. In der 100-köpfigen Kammer fehlen also nur noch zwei Stimmen für eine Revolte. Als Argument führen die Kritiker auch die nun geltenden doppelten Standards auf: Nur Senatoren dürfen ihre Kleidung selbst wählen. Für die unzähligen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gilt weiter die alte Anzugs- oder Kleidervorschrift.

Senator J.D. Vance: Seltsamer Spagat

Noch bigotter aber wirkt es umgekehrt, dass sich ausgerechnet die ultrarechten Republikaner am lautesten über den vermeintlichen Sittenfall erregen, die den gewalttätigen Sturm der heiligen Hallen der Demokratie durch den rechten Mob nach den Wahlen unterstützten. „Die Menschen sind frustriert von diesem Gebäude, aber sie respektieren es. Das sollte die Kleidung widerspiegeln“, bemüht sich der trumpistische Senator J.D. Vance um einen seltsamen Spagat.

Die rechtsextreme Abgeordnete Marjorie Taylor Greene nennt Fettermans Outfit schlicht „beschämend“. Ein Büffelhorn mit Fellmütze, wie es der legendäre „Schamane“ am 6. Januar 2021 trug, würde ihr sicher besser gefallen. (RND)

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