Kommentar zur gescheiterten ImpfpflichtAm Ende war es nur noch eine Machtfrage

Lesezeit 2 Minuten

Berlin – Debatten und Abstimmungen im Bundestag, bei denen es um ethische Themen geht, gelten als Sternstunden des Parlamentes. Politiker verschiedenen Parteien finden sich zusammen, um jenseits der Trennlinie zwischen Regierung und Opposition gemeinsam Gesetzentwürfe zu erarbeiten. Das wird von vielen Abgeordneten als extrem bereichernd empfunden und ist daher letztlich ein Gewinn für die Demokratie. So war es zum Beispiel bei den Entscheidungen über die Sterbehilfe 2015 oder die Organspende 2020. Die Auseinandersetzung über eine Impfpflicht reiht sich hier nicht ein. Sie ist ein Tiefpunkt für die Demokratie.

Von Anfang an ging es nur um Machtkämpfe und parteipolitische Taktiererei. Das Ergebnis ist das denkbar schlechteste: Obwohl zu erwarten ist, dass im Herbst die nächste Corona-Welle auf uns zurollt, passiert: nichts. Die Union hat mit ihrer Verweigerungshaltung ihren Anteil daran, aber die Hauptschuld trägt die Ampelkoalition.

Deckmantel Gewissensentscheidung

Sie hat der Impfpflicht zur Tarnung eigener Differenzen die Gewissensentscheidung als Deckmantel umgehängt. Denn eine Impfpflicht hätte wegen des Widerstandes in der FDP die Ampel schon kurz nach ihrer Bildung gesprengt.

Die Impfpflicht war und ist jedoch keine ethische Frage. Entweder sie ist erforderlich, geeignet und verhältnismäßig, um endlich aus der Dauerschleife der Pandemie zu kommen, oder sie ist es nicht. Das ist eine politische Entscheidung, die auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und juristischer Einschätzungen getroffen werden muss.

Das könnte Sie auch interessieren:

So lief es bei der Einführung der Masernimpfpflicht 2019, als die damalige große Koalition einen gut begründeten Gesetzentwurf vorlegte, der im Bundestag auch viele Stimmen der Opposition bekam. Kanzler Scholz hat hingegen nicht einmal den Versuch unternommen, innerhalb der Ampel eine mehrheitsfähige Lösung zu finden, die aus der Dauerschleife der Pandemie führt.

Selbstschutz kann der Staat nicht verordnen

Weil die Debatte zur Machtfrage verkommen war, fehlte im Übrigen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine Impfpflicht in der gegenwärtigen Situation überhaupt verfassungsgemäß gewesen wäre. Denn anders als bei einer Masern-Immunisierung verhindert eine Corona-Impfung nicht, dass das Virus weitergetragen wird. Sie dient also nur dem Selbstschutz, den der Staat nicht verordnen kann. Ein Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit ist daher unverhältnismäßig, weshalb die Impfpflicht höchstwahrscheinlich vom Verfassungsgericht gekippt worden wäre.

Spätestens jetzt muss es darum gehen, welche anderen, rechtlich zulässigen Druckmittel es für Impfunwillige gibt, etwa höhere Krankenkassenbeiträge oder eine Beteiligung an den Kosten für eine Corona-Behandlung auf einer Intensivstation. Das wäre nicht nur gerecht, sondern als tiefer Griff ins Portemonnaie auch effektiv. Weitere Aufklärungskampagnen oder Appelle werden dagegen nichts mehr bringen.

KStA abonnieren