Land im KatastrophenmodusSo könnte sich die Dürre zukünftig auf Deutschland auswirken

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Die trockene Witterung bereitet Landwirten große Probleme (Symbolbild).

Deutschland verliert immer mehr Wasser. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat ausgemalt, welche weitreichenden Auswirkungen eine langanhaltende Dürre haben könnte. Es ist das Bild eines Landes im Katastrophenmodus.

In Italien liegt der längste Fluss des Landes nahezu trocken. Mehr als hundert Gemeinden stellen den Bürgerinnen und Bürgern nachts das Wasser ab. Und Landwirtinnen und Landwirte haben zahlreiche Felder aufgegeben. Die extreme Dürre südlich der Alpen gibt einen Ausblick darauf, was auch Deutschland so ähnlich bald drohen könnte.

Die Warnungen sind deutlich, nicht nur durch die Situation in Italien. 2018 veröffentlichte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eine Risikoanalyse, in der Expertinnen und Experten die Folgen einer langanhaltenden Dürre in Deutschland abschätzen sollten. Die Risikoanalysen der Behörde beschäftigen sich im Wechsel jährlich mit verschiedenen Katastrophen. 2012 wurden die Folgen einer Pandemie, ausgelöst durch ein Sars-Virus, betrachtet. Das Papier fand wenig Beachtung, bis es acht Jahre später aus der Schublade geholt wurde, weil sich tatsächlich eine Katastrophe anbahnte. Im Falle der Dürre ging das noch schneller.

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2018 war ungewöhnlich trocken

Ende 2017 habe das BBK mit unterstützenden Behörden wie dem Deutschen Wetterdienst (DWD) und der Bundesanstalt für Gewässerkunde erste Gespräche zu dem Papier geführt, berichtet Alexander Esser im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er arbeitet beim BBK im für die Risikoanalyse zuständigen Referat. „Die Expertinnen und Experten haben da schon angedeutet, dass der kommende Sommer möglicherweise tatsächlich ein dürrer sein werde. Und so kam es dann, dass wir 2018 in Deutschland mit extremer Trockenheit zu kämpfen hatten, während wir an einem Dürreszenario gearbeitet haben.“

2018 war seit Beginn der DWD-Reihe 1881 das vierttrockenste Jahr. 586 Millimeter Niederschlag sind in Deutschland im Schnitt gefallen – regional waren es noch deutlich weniger. „Wenn in einer Region in Deutschland weniger als 500 Millimeter Niederschlag im Jahr fallen, hat sie ein Problem“, sagt Markus Disse, Professor für Hydrologie und Flussgebietsmanagement an der TU München, dem RND. Im Mittel sind es in Deutschland bislang noch rund 800 Millimeter pro Jahr.

Er hat mit Kolleginnen und Kollegen erörtert, warum Deutschland anfällig für Trockenheit ist. Zwei Erklärungen haben sie dafür: Zum einen gibt es Klimaeinflüsse. Die Großwetterlagen ändern sich, was häufiger zu „geblockten“ Wetterlagen in Mitteleuropa mit langanhaltenden Trockenperioden und Niederschlagsfeldern führt, die sich kaum bewegen. Zum anderen gibt es einen direkten menschlichen Einfluss auf den Wasserkreislauf. Die Forst- und Landwirtschaft leitet in Deutschland viel Wasser ab, es wird kaum Wasser in der Fläche zurückgehalten. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Flüsse begradigt und Auen vom Fluss abgetrennt. Gleichzeitig ist der Wasserverbrauch hoch, an erster Stelle in der Landwirtschaft, gefolgt von der Industrie.

Einmal den Bodensee verloren

All das führt dazu, dass Deutschland in den vergangenen 20 Jahren so viel Grundwasser verloren hat wie der Bodensee enthält. „Die Entwicklung wird sich mindestens in den kommenden zehn bis 20 Jahren fortsetzen“, prognostiziert Hydrologe Disse. Wenn es durch den Klimawandel immer wärmer wird, verdunstet auch mehr Wasser. Das fällt immer häufiger in Form von Starkregen zu Boden. „Der Boden kann bei den hohen Intensitäten des Niederschlags das Wasser aber gar nicht aufnehmen“, erklärt er.

Dürre wird also wahrscheinlicher, aber welche Auswirkungen hat sie? Alexander Esser mit seinen Kolleginnen und Kollegen vom BBK sowie externe Expertinnen und Experten haben das in ihrer Analyse von 2018 genau beschrieben. Das Szenario, das ihren Überlegungen zugrunde liegt, sieht folgendermaßen aus: Es wird angenommen, dass eine Dürreperiode sechs Jahre lang anhält. Als Referenz wurde in Deutschland die bislang extremste längere Trockenperiode von 1971 bis 1976 herangezogen. Um den Extremfall zu simulieren, wurde die Niederschlagsmenge um ein Viertel reduziert und eine erhöhte Durchschnittstemperatur angenommen.

Ein Land, das an seine Grenzen kommt

Esser nennt das den „reasonable worst case“, also einen Extremfall, der aber durchaus denkbar ist. 2018 sowie die Periode in den 70er-Jahren zeigen, dass das Szenario plausibel ist – und durch den Klimawandel noch wahrscheinlicher wird. Die Autorinnen und Autoren deklinieren für jeden Bereich durch, welchen Schaden eine Dürre anrichten würde: für Menschen, die Umwelt, die Wirtschaft und für immaterielle Güter. Die Risikoanalyse zeichnet das Bild eines Landes, das unter der extremen Trockenheit an seine Grenzen kommt.

Unter anderem zum Duschen, Geschirrspülen, Wäschewaschen und für den Garten verbrauchen die Deutschen im Schnitt 127 Liter Trinkwasser pro Tag – unter normalen Umständen. Im Szenario sind sie zum Wassersparen aufgerufen, weil in der Dürreperiode der Grundwasserspiegel sinkt. Die Gewinnung von Trinkwasser ist dann erschwert. Gärten dürfen nur noch eingeschränkt bewässert werden, die Autowäsche zu Hause wird verboten, private Pools müssen leer bleiben. So glimpflich kommen nicht alle Regionen davon: Lokal wird kein Trinkwasser mehr aus der Leitung kommen, die Versorgung wird durch Tankwagen gewährleistet.

In der Landwirtschaft haben die Betriebe ihr Getreide und Gemüse ausgesät, die Pflanzen wachsen wegen ausbleibenden Regens aber nur dürftig. Weil das Bewässern der Pflanzen kostbares Wasser aus anderen wichtigen Bereichen abziehen würde, ist es untersagt. Im sechsten Jahr der Dürre werden bis zu 60 Prozent der Ernten in Deutschland ausfallen. In der Tierhaltung fällt es schwer, den Schweinen und Rindern ausreichend Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Die Tiere leiden unter Hitzestress, dadurch sinkt der Ertrag. Bei der Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte fehlt ebenfalls Wasser.

Stromausfälle und Hitzetote

Landwirtschaftliche Produkte wie Getreide, aber auch andere Güter kommen nicht an ihren Zielorten an. Der Transport auf Wasserstraßen wie dem Rhein ist eingeschränkt, weil die Wasserpegel Tiefststände erreichen. Mehr als 10 Millionen Tonnen Güter können nicht auf anderen Wegen, wie zum Beispiel mit dem Zug, transportiert werden. Aber auch dort, wo eine Ausweichmöglichkeit besteht, gibt es keine Sicherheit: Im Schienenverkehr schränken ausgefallene Klimaanlagen und verformte Gleise den Verkehr ein. Hitze und Trockenheit beschädigen Startbahnen von Flughäfen, Rauch von Waldbränden kann die Sicht in der Luft beeinträchtigen.

Elektrizität, die aus Kohle gewonnen wird, ist davon abhängig, ob diese auf einem Transportweg ihren Weg in ein Kraftwerk findet. Kohle- und Atomkraftwerke haben außerdem Probleme, ihre Anlagen zu kühlen. Das Flusswasser, das sie normalerweise verwenden, dürfen sie nur noch eingeschränkt entnehmen. Denn durch das abfließende warme Kühlwasser leiden Lebewesen in den Flüssen. Die Wetterlagen, die während der Dürre auftreten, bringen wenig Wind und viel Hitze mit. Windräder liefern weniger Strom, Solaranlagen sind bei extremer Hitze weniger leistungsfähig. Stromausfälle sind möglich, bis hin zu einem flächendeckenden Blackout.

Die Gesundheit der Menschen leidet unter der Hitze, die parallel zur Trockenheit auftritt. Im sechsten Dürrejahr kommt es zu einer Hitzewelle, ähnlich wie 2003. Insbesondere bei älteren Menschen kommt es vermehrt zu Lungen- und Herzversagen, die Statistik zeigt eine Übersterblichkeit. Arztpraxen und Krankenhäuser verzeichnen ein erhöhtes Aufkommen, das sie vor große Herausforderungen stellt.

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„Dürren beginnen schleichend“

Die Autorinnen und Autoren der Risikoanalyse kommen zum Schluss, dass Dürren zu den „schadensträchtigsten Naturkatastrophen“ zählen. Das liegt an der großen betroffenen Fläche – zum Beispiel im Vergleich zu regional beschränkten Hochwassern –, aber auch daran, wie sie beginnen. Als 2018 die Dürre ausgebrochen war, stellten viele Expertinnen und Experten fest, dass die Trockenheit sich eigentlich schon seit 2015 angedeutet hatte, berichtet Alexander Esser vom BBK. „Das ist tückisch an Dürren, sie beginnen sehr schleichend. Und wenn man sie bemerkt, ist man schon mittendrin.“ Zudem treten sie seltener auf als Hochwasser, es fehlt daher die Erfahrung im Umgang mit ihnen, wie es in der Risikoanalyse heißt.

Um das extreme, aber plausible Szenario zu vermeiden, empfiehlt Hydrologe Markus Disse in erster Linie Altbekanntes: „Die langfristige Prävention gegen Dürre ist das Bremsen des Klimawandels. Das wird aber für die nächsten Jahre keinen direkten Effekt auf die Hydrologie haben.“ Aus der Wissenschaft hat Disse einen Ansatz, der auf landschaftliche Strukturmaßnahmen abzielt und damit unmittelbar die Wasserressourcen schont. So müssten beispielsweise in der Landwirtschaft Flächen mit Hecken bepflanzt und andere struktur- und bodenfördernde Maßnahmen umgesetzt werden, sodass die Feuchtigkeit bei starkem Regen besser gehalten werden kann. Außerdem müssten Flussbegradigungen wieder zurückgenommen und die alten Überflutungsflächen wieder an den Fluss angebunden werden. Das erfordere aber ein radikales Umdenken: „In den vergangenen 50 Jahren sind wir genau in die umgekehrte Richtung gegangen“, sagt Disse.

Noch könne Deutschland das Lenkrad rumreißen, glaubt er. „Aber auch bei der Trockenheit gibt es so etwas wie Kipppunkte, ab denen die Entwicklung nicht mehr rückgängig zu machen ist“, warnt der Hydrologe. Zu beobachten sei das etwa auf dem Balkan, wo im Mittelalter für den Bau zahlreiche Wälder gerodet wurden. Bis heute habe sich die Natur davon nicht erholt, denn es gelte aufgrund der fehlenden Verdunstung: „Auf trockenen Boden fällt auch kein Regen mehr.“ In den abgeholzten Regenwaldgebieten Brasiliens sei das schon zu beobachten.

Das Szenario hat aufgerüttelt

In der Politik wurde das Dürreszenario bemerkt. Unter Svenja Schulze, Umweltministerin der vergangenen Bundesregierung, wurde eine „Nationale Wasserstrategie“ entworfen. Doch darin beschriebene Wasserversorgungskonzepte sollen erst ab 2030 umgesetzt werden. Anja Weisgerber, umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, fordert schon jetzt eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bundesregierung und Ländern, „andernfalls drohen wichtige Maßnahmen nicht umgesetzt zu werden“.

„Es darf jetzt keine Zeit verloren werden. Es müssen bereits heute Konzepte erstellt werden, wie in Gebieten mit Wasserknappheit die Versorgung mit Trinkwasser sichergestellt werden kann“, sagt Weisgerber. Sie will unter anderem Regenwasser auffangen und reinigen, die Landwirtschaft soll auf effizientere Tröpfchenbewässerung umsteigen. Große Unternehmen, die viel Wasser verbrauchen – wie im viel diskutierten Fall der Brandenburger Tesla-Fabrik – will Weisgerber aber nicht in ihrem Verbrauch einschränken. Stattdessen appelliert sie an die „unternehmerische Verantwortung, Wasser im Produktionsprozess einzusparen“.

Alexander Esser, der die Risikoanalyse zur Dürre beim BBK mitbetreut, will Folgen einer Dürre nicht mit anderen Katastrophen wie der Corona-Pandemie vergleichen. „Eine Dürre werden wir anders wahrnehmen, die weitgehenden Freiheitseinschränkungen wie bei Corona wird es nicht geben.“ Besser eingestellt als auf die Pandemiefolgen ist man aber wohl: „Ich habe den Eindruck, dass unsere Risikoanalyse aufgerüttelt hat. Bei den Ländern und Kommunen, die in erster Linie zuständig sind, macht man sich schon seine Gedanken zur Dürre.“

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