Neue Verschwörungs-ErzählungDie Angstmache mit dem „Great Reset“

Lesezeit 7 Minuten
Schild Stuttgart

Ein Schild auf einer „Querdenker“-Demo in Stuttgart

  • Auch im beginnenden Bundestagswahlkampf wird der zum Schreckbild verzerrte „Great Reset“ eine Rolle spielen.
  • Er ist anschlussfähig, weit über die Corona-Debatte hinaus. Gegner der Klimaschutz-Politik führen den Kampf gegen ihn ebenso im Mund wie antisemitische Hetzer.
  • Warum ist diese Verschwörungserzählung so gefährlich?

Dafür, dass sie sich in einer „Corona-Diktatur“ wähnen, konnten die Gegner der Pandemie-Bekämpfung im vergangenen Jahr recht häufig ungehindert am Brandenburger Tor in Berlin demonstrieren. Auch am Ostermontag sind sie wieder da. Ein paar Hundert Menschen sind gekommen, auf einer kleinen Bühne vor ihnen steht einer, der sich rühmt, den geschichtsvergessenen Begriff von der „Corona-Diktatur“ mitgeprägt zu haben. Jürgen Elsässer ist Chefredakteur des rechtsextremen „Compact-Magazins“ und will die versammelten Demonstranten warnen. Nicht vor dem Virus, an dessen Gefahr er offenbar nicht glaubt, sondern vor einer neuen Weltverschwörung.

Lockdown-Regeln und andere Corona-Schutzmaßnahmen würden nicht von deutschen Politikern beschlossen, behauptet Elsässer, sondern von „Raubtierkapitalisten“, die die Weltbevölkerung „versklaven und beherrschen“ wollten. Eine kleine Geldelite habe nur im Sinn, „uns auszubeuten und zu entmenschen“, erklärt er. Bill Gates, George Soros, Mark Zuckerberg – die üblichen Verdächtigen der Verschwörungsgläubigen. „Alles, was jetzt abläuft, folgt dem Plan dieser Leute“ sagt Elsässer.

Und er führt aus, was für einen Plan er meint: Den „Great Reset“, den „Großen Neustart“. Am Brandenburger Tor wie auch auch dem aktuellen Cover seines Magazins verbreitet Elsässer eine der erfolgreichsten Verschwörungserzählungen dieses Jahres. Erst zwei Tage zuvor erwähnte auch Michael Ballweg, Initiator der Querdenken-Protestbewegung, den „Great Reset“ auf einer von ihm organisierten Demonstration mit Tausenden Teilnehmern in Stuttgart.

Alles zum Thema Angela Merkel

Die Bewegung schart sich um einen neuen Begriff. Und er wirkt längst über die Zirkel der Corona-Protestierenden hinaus. Auch im beginnenden Bundestagswahlkampf wird der zum Schreckbild verzerrte „Great Reset“ eine Rolle spielen. Er ist anschlussfähig, weit über die Corona-Debatte hinaus. Gegner der Klimaschutz-Politik führen den Kampf gegen ihn ebenso im Mund wie antisemitische Hetzer. Und das macht die Konjunktur dieser Erzählung so gefährlich.

Der „Great Reset“ war etwas ganz anderes

Eigentlich sollte der „Great Reset“ eine Initiative des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos sein, um die globale Wirtschaft nach der Corona-Pandemie umzugestalten, nachhaltiger und gerechter zu machen. „Wir haben nur einen Planeten, und wir wissen, dass der Klimawandel die nächste globale Katastrophe mit noch dramatischeren Folgen für die Menschheit sein könnte“, sagte der WEF-Gründer Klaus Schwab im Juni 2020 laut einer Pressemitteilung des Weltwirtschaftsforums. Gemeinsam mit dem Ökonomen Thierry Malleret hatte er seine Analysen, Prognosen und Ideen zuvor in Buchform niedergeschrieben.

Den Kapitalismus grüner und gerechter machen, das schreibt sich das WEF schon seit Jahren auf die Fahnen. 2019 lud das Forum die Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg für eine Rede ein. Das prestigeträchtige Forum der Reichen und Mächtigen wolle seinen Ruf als Club der neoliberalen Privatjet-Besitzer verbessern, kritisieren manche. Die Ideen vom „Great Reset“ stechen da eigentlich kaum heraus.

Doch sie fallen in eine Zeit, in der sich neben der Corona-Pandemie auch eine „Infodemie“ über den Globus ausbreitet. In Deutschland gingen bereits seit März 2020 regelmäßig Verschwörungsideologen auf die Straße, die die Pandemie leugneten oder für eine Geheimwaffe finsterer Mächte hielten. Weltweit verbreitete sich eine Vielzahl abwegiger Erzählungen über die Pandemie. Der „Great Reset“ schien wie dazu gemacht, instrumentalisiert zu werden.

Eine Erzählung, in die alles andere gestopft wird

„Die Verschwörungserzählung vom „Great Reset„ wird von großen Teilen der Szene geteilt. Das liegt auch daran, dass es eine Art Über-Verschwörungserzählung ist, in der man ganz viele andere Verschwörungserzählungen unterbringen kann“, sagt Josef Holnburger, Politikwissenschaftler und Geschäftsführer des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das zu Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus forscht. Gefährliche Mythen über Impfungen, über Bill Gates, der der Weltbevölkerung heimlich Computer-Chips einpflanzen wolle, oder über Politiker, die angeblich längst eine Diktatur eingeführt hätten: All das findet in der Verschwörungserzählung vom vom „Großen Neustart“ Platz.

Holnburger beobachtet die Verschwörungs-Szene vor allem in der Messenger-App Telegram. Seit dem vergangenen Oktober werde die Erzählung vom „Great Reset“ dort besonders oft verbreitet. „Da wird behauptet, dass Corona nur ein globaler Plan sei, um die Wirtschaft zu vernichten und anschließend ein neues Wirtschaftssystem aufzubauen“, erklärt Holnburger. Ganz ähnliche Verschwörungserzählungen habe es zuvor bereits unter anderen Namen gegeben. Tatsächlich lässt sich in der Corona-Pandemie beobachten, wie nicht nur das Virus mutiert, sondern auch die vielen Verschwörungsmythen sich beständig wandeln.

„Verschwörungserzählungen bedienen auf der einen Seite immer wieder die gleichen Narrative. Auf der anderen Seite sind sie aber extrem wandelbar und anpassungsfähig“, sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty, die das Cemas gemeinsam mit Holnburger leitet. „Eben das macht sie so gefährlich.“ Schon die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ wurden im zaristischen Russland und anschließend von den Nationalsozialisten und anderen Antisemiten genutzt, um das Schreckgespenst einer „jüdischen Weltverschwörung“ zu zeichnen. In den vergangenen Jahren waren es dann Mythen einer geheimen Elite, die eine „Neue Weltordnung“ errichte, oder die US-amerikanische QAnon-Verschwörungserzählung, die besonders einflussreich waren. Die Verschwörungserzählung vom lange geplanten „Great Reset“ schließt sich da nahtlos an.

Welches Potential für eine gewalttätige Radikalisierung solche Erzählungen bergen, zeigt Jürgen Elsässer am Ostermontag in Berlin. Dort endet er seine Rede mit einem Gewaltaufruf: „Dieser Great Reset wird kommen, ohne jeden Zweifel, wenn denen, die ihn in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“ Nur wenige Minuten später zeigt der ehemalige baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner auf derselben Bühne den Hitlergruß.

In Fiechtners ehemaliger Partei hat die Warnung vor einem „Great Reset“ ebenfalls Konjunktur. Im Entwurf für das Wahlprogramm der AfD, das am Wochenende auf dem Parteitag in Dresden beschlossen werden soll, heißt es im Kapitel „Dem Klimawandel positiv begegnen“: „Das Ziel der Bundesregierung, die CO2-Emissionen auf faktisch Null zu senken, führt zu einem radikalen Umbau der Gesellschaft (“Große Transformation“/ „Great Reset“) und bedroht unsere Freiheit immer mehr. Die AfD lehnt dieses Ziel und einen Gesellschaftsumbau ab.“ Der Stuttgarter AfD-Kreisverband veröffentlichte Anfang April eine Fotomontage zum „Great Reset“ auf Facebook, die den WEF-Gründer Schwab als Puppenspieler und die Politikerinnen und Politiker Angela Merkel, Jens Spahn, Markus Söder und Karl Lauterbach, sowie den Virologen Christian Drosten, als Marionetten zeigt.

Das Onlineportal „Deutsche Wirtschafts-Nachrichten“ (DWN) veröffentlicht bereits seit mehreren Monaten immer wieder reißerische Artikel zum „Great Reset“, warnt vor der Einführung eines „Konzern-Sozialismus“, oder vor einer „faschistischen Agenda“ des WEF. Der „Great Reset“ sei bereits seit 100 Jahren in Vorbereitung und das Coronavirus diene „lediglich dazu, die Vorstellungen der globalen Eliten schneller in die Realität umzusetzen“, heißt in einem Artikel vom Dezember. Die DWN gehören neben seriösen Verlagen wie Ullstein, Piper und Cornelsen zur schwedischen Bonnier-Verlagsgruppe.

Auch Hans-Georg Maaßen leugnet Fakten

Auch der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, Bewerber um die CDU-Direktkandidatur im thüringischen Wahlkreis 196, wettert seit Monaten in Vorträgen und Interviews mit so genannten „alternativen Medien“ gegen einen angeblichen „Great Reset“. In einer Diskussionsveranstaltung der „Werteunion“ Ende 2020 sagte Maaßen: „Der Great Reset kann als Kriegserklärung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstanden werden. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist wichtiger als der Klimaschutz.“ Maaßen bezeichnete wissenschaftliche Fakten über den Klimawandel, den Beitrag des Menschen und der Co2-Emissionen als „Glaubenssätze“. Wer diese „Glaubenssätze“ nicht akzeptiere, werde „der Lächerlichkeit preisgegeben“.

Maaßens Fazit: „Wir brauchen einen Great Reset, aber nicht so, wie ihn sich die Leute vom Weltwirtschaftsforum und im CDU-Präsidium vorstellen. Wir brauchen einen Great Reset in der CDU.“ Und das wäre nach Maaßens Vorstellungen nicht weniger als die Übernahme der Partei durch die Splittergruppe Werteunion.

Hans-Georg Maaßen behauptet anders als Rechtsextreme wie Jürgen Elsässer nicht, hinter Corona-Pandemie und Lockdown-Maßnahmen stecke der Plan einer „Geldelite“. Er sagt aber: Beim „Great Reset“ würden sich die „Kapitalisten aus Davos mit den Leninisten“ zusammentun, „nämlich in der gemeinsamen Verachtung des einfachen, des gewöhnlichen Menschen“.

Durch den CDU-Mann Maaßen und die AfD erhalten die Verschwörungserzählungen vom „Great Reset“ eine größere Reichweite, erreichen ganz andere Zielgruppen als die obskuren Kanäle bei Telegram. Das birgt Gefahren. „Verschwörungsglaube ist ein Radikalisierungsbeschleuniger, weil er Feindbilder erschafft“, erklärt Pia Lamberty. Wer an eine Weltverschwörung glaubt, wähnt sich selbst schnell im Kampf gegen das absolut Böse.

„Wir beobachten in der Szene in Deutschland eine zunehmende Radikalisierung“, sagt die Psychologin, „sie wird immer gewalttätiger.“ Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gebe es permanent Angriffe auf die Presse. „Im digitalen Raum liest man immer häufiger, dass Demonstrationen nicht mehr ausreichten und man sich mit kriegerischen Mitteln wehren müsse.“ Lamberty hält das für mehr als bloßen Verbalradikalismus. Die Vergangenheit habe vielmehr gezeigt, „dass solche Aufrufe auch zu Taten führen können.“

KStA abonnieren