Seine Wahl im Bundestag hat Friedrich Merz krachend unterschätzt. Nach dem zweiten Wahlgang zieht er beschädigt ins Kanzleramt ein.
Polit-ChaosNach diesem dramatischen Tag ist Friedrich Merz angeschlagen


Lars Klingbeil (SPD, 2.v.r), designierter Bundesminister der Finanzen und designierter Vizekanzler, gratuliert dem neugewählten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, 2.v.l) nach dessen Wahl im zweiten Wahlgang.
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Nun könnte man sagen: Friedrich Merz hat es mit einem blauen Auge ins Kanzleramt geschafft. Dass der 69-Jährige nicht bei der ersten Abstimmung die notwendige Mehrheit erreicht hat, ist aber bedeutend schlimmer als ein Veilchen, das von Tag zu Tag blasser wird.
Das Polit-Chaos, das Union und SPD an diesem 6. Mai im Bundestag aufgeführt haben, ist ein herber Dämpfer für ein Land, das dringend Reformen und Aufbruch braucht. Es ist nicht zuletzt ein schwerer Schlag zuerst für Friedrich Merz und auch für Lars Klingbeil. Die beiden Parteichefs haben handwerkliche Fehler gemacht. Entgegen ihrer vollmundigen Ansagen haben sie es nicht vermocht, genügend Leute mitzunehmen. Mit dem Hinweis auf demokratische Abläufe kann man dieses Desaster nicht erklären.
Die zentrale Frage aber lautet: Wie können Bundestagsabgeordnete von Union und/oder SPD auf die Idee kommen, dass es wichtiger ist, ihr Mütchen zu kühlen, als dafür zu sorgen, dass Deutschland mit einer stabilen Regierung wieder handlungsfähig wird? In dieser Wirtschaftslage. In dieser internationalen Lage. Am Ende waren es wohl auch nicht Merz und Klingbeil, die für die nötigen Stimmen gesorgt haben, sondern die Appelle für Stabilität in Zeiten von Ukraine-Krieg, einer brüchigen deutsch-amerikanischen Freundschaft und einer AfD, die in Umfragen gerade stärkste Partei ist.
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Friedrich Merz hat die Gefahr nicht gesehen
Wie wenig der zunächst gescheiterte Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Gefahr gesehen hat, lässt sich daran bemessen, dass er bereits am Montag den Fraktionsvorsitz an Jens Spahn abgegeben hat. Solange er nicht zum Kanzler gewählt ist, hätte er diese Machtbasis besser als Trumpf in der Hand halten sollen.
Der Koalitionsvertrag hat fürwahr Schwächen. Die Union hat im Januar mit der AfD gestimmt und nach der Wahl Versprechen gebrochen. Bei den Sozialdemokraten wiederum gibt es großen Unmut über die robuste Machtausübung durch Parteichef Klingbeil. Es gibt also viele Abgeordnete, die einen Grund haben können, den eigenen Leuten einen Denkzettel zu verpassen. Allein: Deutschland braucht keine Denkzettel. Deutschland braucht eine stabile Regierung.
Der im zweiten Anlauf gewählte Kanzler Merz wird sein Amt aus der Defensive heraus antreten. Nach diesem dramatischen Tag ist er angeschlagen. Das macht die Umsetzung der Versprechen von Aufbruch, Politikwechsel und neuer Funktionsfähigkeit des Staats umso schwieriger. Es bleibt die Hoffnung, dass das 100-Tage-Programm der Regierung zündet.
Auch auf internationalem Parkett wird Merz Zweifel begegnen, ob er als Regierungschef wirklich fest im Sattel sitzt. Und die Opposition im Bundestag wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit austesten, ob die Regierung eine eigene Mehrheit zustande bringt. Merz wird um seine Autorität kämpfen müssen.