Nach der Frankreich-WahlPutins fünfte Kolonne in Europa im Aufwind

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Wladimir Putin 110422

Putin-freundliche Politiker versuchen in Europa an Einfluss zu gewinnen.

Brüssel/Berlin – US-Präsident Joe Biden hat die Welt, wie sie gerade ist, als einen Ort bezeichnet, auf dem eine Schlacht zwischen „Demokratie und Autokratie“ bezeichnet. Das militärische Schlachtfeld ist die Ukraine, wo Wladimir Putin einen brutalen Angriffskrieg führt.

Europa kennt in diesen Tagen viele Schlachtfelder

Doch Europa kennt in diesen Tagen viele Schlachtfelder. Es sind politische Schlachtfelder. Auf ihnen versuchen Putin-freundliche Politiker, an Macht und Einfluss zu gewinnen. Nach außen hin verdammen sie den Krieg, aber nach innen kopieren sie Putins rechtsnationalistischen Kurs.

„Ob Marine Le Pen, Matteo Salvini, die AfD oder Viktor Orbán: Wladimir Putin hat sich in Europa ein ganzes Netzwerk an rechten Cheerleadern aufgebaut. Sie alle eint, dass sie die EU torpedieren und europäische Zusammenarbeit ablehnen“, sagt Daniel Freund im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

„Hass und Falschnachrichten“ werden verbreitet

Freund ist Europaabgeordneter der Grünen, arbeitete bei Transparency International und geht seit Jahren politisch gegen die Allianz der Rechtspopulisten in Europa vor. Seine Beobachtungen sind düster. Quer durch die EU verbreiteten Putins Kumpanen „den Hass und die Falschnachrichten aus dem Kreml in ihren Netzwerken“, sagt Freund.

Zwei von ihnen haben damit in den letzten Wochen schon Erfolge bei Wahlen gehabt. Viktor Orbán baute seine Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament sogar noch aus. Putin gehörte zu den ersten Gratulanten.

Marine Le Pen kommt Putins Propagandamaschinerie gelegen

Orbán ist jetzt Putins bester Mann in Europa – dicht gefolgt von Aleksandar Vucic. Der serbische Präsident brauchte ebenfalls keine großen Mühen aufzuwenden, um sich wiederwählen zu lassen. Marine Le Pen in Frankreich wird es schwerer haben, ihren Buddies Orbán und Vucic zu folgen. Und dennoch: Nur vier Prozent Rückstand auf Amtsinhaber Emmanuel Macron und 1,5 Prozent vor dem Linken Jean-Luc Mélenchon - ebenfalls einem Putin-Verehrer brachten sie komfortabel in die Stichwahl.

Ihre Nähe zum obersten russischen Kriegsverbrecher spielte im Wahlkampf bisher kaum eine Rolle. Dabei sind die beiden mindestens Verbündete, wenn nicht sogar Freunde. Russische Banken haben Le Pens Wahlkampf im Jahr 2017 mit mehr als neun Millionen Euro finanziert. Putins Propagandamaschinerie kam die Rechtsauslegerin aus Frankreich gerade recht. Sie war gegen die EU, also war sie auf Putins Seite, so die kühle Analyse aus dem Kreml. Le Pen bedankte sich in einem Fernsehinterview 2017 mit dem Satz: „Die Politik, die ich vertrete, ist die Politik, die von Herrn Putin vertreten wird.“

Le Pen wollte Frankreich vor Ukrainekrieg aus der Nato führen

Noch wenige Tage vor der russischen Invasion in die Ukraine versprach die rechtsradikale Politikerin, sie werde Frankreich im Falle eines Wahlsiegs aus der Nato führen. Doch dann kam die Invasion, und Le Pen fürchtete, für ihre Nähe zu Putin bestraft zu werden.

Schnell stampfte ihre Partei, der Rassemblement National, eine Wahlbroschüre ein, die Le Pen zeigt, wie sie Putin die Hand schüttelt. Als schließlich der erste Wahlgang in Frankreich näher rückte, gab sich Le Pen nach außen gemäßigter. Es wäre besser, sagte, mit dem Nato-Austritt zu warten, bis der Krieg beendet sei.

AfD hofft auf Themen, die von Nähe zu Putin ablenken

Aus der deutschen AfD kamen wohlwollende Worte nach dem Einzug in die Stichwahl: „Der Erfolg von Marine Le Pen stimmt uns zuversichtlich“, sagte Bundestags-Fraktionsvize Norbert Kleinwächter dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die AfD stimme zwar nicht in allen Punkten mit ihrer Politik überein, „aber Le Pen will ebenso wie wir in Deutschland die Interessen ihres Landes und den Willen seiner Bürger in den Mittelpunkt stellen.“

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Auch die AfD hofft darauf, dass bei den kommenden Landtagswahlen die Angst vor Energieausfällen und Inflation eine größere Rolle spielt als die Nähe von Teilen der Partei zum Kreml. Zurzeit geht ein Riss mitten durch die Reihen der Rechten. Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla traf Ende 2020 in Moskau Außenminister Sergej Lawrow. Interne Gegner höhnen, Chrupalla sehe den Tag als „Schoßhündchen Lawrows“ als den Höhepunkt seiner bisherigen politischen Laufbahn.

Auf dem Landesparteitag der Brandenburger AfD am vergangenen Wochenenden forderte Chrupalla, alle Lieferverträge für russische Energie einzuhalten. Sanktionen schadeten Deutschland. Er vermied es, Russland als Aggressor zu bezeichnen. In seinem Landesverband sprechen einige noch nicht einmal von Krieg.

Orbán agiert auf einem anderen Level als die AfD

Jörg Dornau, Landratskandidat aus Grimma, schreibt auf Facebook stets von einer „Militäroperation“ und nennt eine Friedensaktion an einer Schule „Gehirnwäsche“. Der sächsischen AfD schadet diese Linie nicht: Sie ist nach einer jüngsten Umfrage stärkste Partei im Land.

Doch gewählt wird im Mai in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo mit Putin-Appeasement nur ein äußerst kleiner Blumentopf zu gewinnen ist.

Bis zur strategischen Meisterschaft eines Viktor Orbán ist es bei der AfD noch ein langer Weg. Ungarns Premier erklärte nach den Krisengipfeln von EU und Nato Ende März, dass seine Regierung niemals Waffenlieferungen an die Ukraine über ungarisches Territorium zulassen werde. Auch EU-Importstopps von russischem Gas und russischem Öl werde er nicht mittragen, sagte Orbán. Punkt.

Orbán weiß wie der EU-Betrieb funktioniert

Das mag sich noch ändern, wenn es im Kreise der EU-Staats- und Regierungschefs zum Schwur kommt. Sanktionen gegen einen Drittstaat müssen im EU-Betrieb einstimmig beschlossen werden.

Doch Orbán hat in den vergangenen zwölf Jahren gelernt, wie der EU-Betrieb funktioniert. Er weiß, dass er Geld aus Brüssel braucht. Er weiß aber auch, dass Brüssel nur wenige Instrumente hat, um ihn aufzuhalten. Und wenn die Instrumente tatsächlich eingesetzt werden, dann dauert es in der Regel Jahre, bis das Geld aufhört zu fließen. Orbán hat Zeit. In Ungarns Nachbarland Serbien hat sich Aleksandar Vucic nach seinem Wahlsieg ebenfalls wieder auf Putin-Kurs begeben.

Kreml will mehr Einfluss auf Serbien

Aus dem Kreml heißt es, Putin und Vucic hätten über eine erweitere wirtschaftliche Zusammenarbeit gesprochen, unter anderem im Energiesektor. Das Ziel des Kremls ist klar: Der Einfluss auf Serbien soll steigen. Das Land ist zwar weder EU-, noch Nato-Mitglied. Doch Serbien pflegt aber dennoch seit vielen Jahren enge politische und wirtschaftliche Kontakte zu Moskau – und ist EU-Beitrittskandidat.

Serbien wiederum hat Einfluss auf die bosnischen Serben, deren politischer Anführer Milorad Dodik nicht viel von dem labilen Staat Bosnien-Herzegowina hält. Orbán schließlich ist auch dicke mit Dodik, will ihm Geld schicken und vergrößert damit das Dilemma der EU. Die Staatengemeinschaft will die Länder auf dem westlichen Balkan so schnell wie möglich an sich binden – möglichst über eine Mitgliedschaft. Doch würde sie sich – Stand heute – damit noch mehr Probleme an Land ziehen.

In Brüssel halten viele Politiker, Diplomaten und Bürokraten Le Pen für eine Wölfin im Schafspelz. Sie will zwar inzwischen nicht mehr die EU verlassen und den Euro behalten. Doch eine „neue Weltordnung“, wie sie offenbar Putin anstrebt – dagegen hätte Le Pen wahrscheinlich nicht viel einzuwenden.

Steht ein schlimmeres „dunkles, depressives Wochenende“ bevor?

Daniel Freund, der Grünen-Europaabgeordnete, warnt vor einer Allianz der Rechtsnationalisten in der EU. „So richtig gefährlich wird das vor allem dann, wenn Putins Verbündete, wie im Fall von Viktor Orbán, im Europäischen Rat sitzen und europäische Politik mitbestimmen oder sogar geheime EU- und Nato-Dokumente weitergeben“, sagt er.

Freund spielt auf eine Geschichte der ungarischen Rechercheplattform „Direct36″ an, wonach russische Hacker Einblick in interne Dokumente des ungarischen Außenministeriums erhalten haben. Die ungarische Diplomatie sei für Moskau ein „offenes Buch“, heißt es in dem Text. Die Russen könnten vorab erfahren, was das ungarische Außenministerium plane. In Kriegszeiten wäre so etwas noch schlimmer als in Friedenszeiten.

Ein „dunkles, depressives Wochenende“ hat der britische Historiker Timothy Garton Ash das Wochenende der Ungarn-Wahl genannt. Sollte Marine Le Pen am 24. April tatsächlich Präsidentin der französischen Republik werden, dann wird sich Garton Ash einen noch düsteren Begriff einfallen lassen müssen.

Das wäre, sagen EU-Diplomaten in Brüssel, vielleicht nicht das Ende der EU. Es wäre aber ein gewaltiges Krisenknäuel. Im Vergleich dazu seien die Eurokrise, die Flüchtlingskrise, ja selbst die Covid-Krise und der Brexit ziemlich einfach zu bewältigen gewesen. (rnd)

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