Steigende Affenpocken-ZahlenRuft die WHO die gesundheitliche Notlage aus?

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Affenpocken DPA 210622

Bilder einer Affenpocken-Infektion aus Belgien.

Wie gefährlich sind die Affenpocken? Aus Sorge um die zunehmenden Nachweise des Virus weltweit hat der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, für diese Woche Donnerstag (23. Juni) einen Notfallausschuss einberufen. Dieser soll genau diese Frage klären. Das Gremium soll entscheiden, ob es sich bei dem neuen und untypischen Ausbruch um eine „gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite“ (PHEIC) handelt. Aber was bedeutet das konkret?

Was macht der WHO-Notfallausschuss?

Im Notfallausschuss kommen externe Experten und Expertinnen aus den WHO-Mitgliedsstaaten zusammen, die sich besonders gut mit den Affenpocken auskennen. Sie prüfen alle bislang aus verschiedenen Ländern übermittelten Informationen zum Ausbruch: beispielsweise Theorien zu den Gründen der vermehrt auftretenden Fälle, zur Zahl der Krankheits- und Todesfälle, zu Labor­ergebnissen und eingeleiteten Maßnahmen. Erst dann gibt das Komitee Empfehlungen ab, durch welche Maßnahmen die Gesund­heits­krise bewältigt werden könnte.

Das Notfallkomitee kann dabei auch empfehlen, eine „gesund­heit­liche Notlage von inter­nationaler Trag­weite“ auszurufen. Der General­direktor der WHO entscheidet dann, ob diese tatsächlich ausgerufen wird. Sind die Auswirkungen der Affenpocken auf die öffentliche Gesundheit ernst? Ist der Ausbruch unerwartet? Besteht ein erhebliches Risiko, dass sich das Virus international ausbreitet? Haben ähnliche Ereignisse in der Vergangenheit zu internationalen Handels- oder Reisebeschränkungen geführt? All das sind Fragen, welche die Experten und Expertinnen beurteilen müssen, um die Notlage auszurufen, wie aus einem WHO-Handbuch zur internationalen Gesundheitsregulation hervorgeht.

Affenpocken: Was würde das Ausrufen der Notlage bedeuten?

Die Erklärung so einer Notlage ist die höchste Alarmstufe, die die WHO verhängen kann. Eine solche Erklärung hätte keine direkten praktischen Folgen zum Umgang mit den Affenpocken. Sie soll aber die WHO-Mitgliedsländer wachrütteln und ihnen zu verstehen geben, dass die Infektionsdynamik und die Krankheit ernst zu nehmen sind.

Mahnende Worte, die Eindämmung gezielter zu verfolgen, gibt es schon jetzt. Etwa seitens des WHO-Regionalbüros Europa, das dringend gemeinsame Anstrengungen und eine gerechte Impfstoffverteilung anmahnt. Europa bleibe das Epizentrum des sich vergrößernden Ausbruchs – mit 25 Ländern, die mehr als 1500 Fälle gemeldet hätten, sagte Regionaldirektor Hans Henri Kluge Mitte Juni. Das seien etwa 85 Prozent der weltweiten Gesamtzahl. „Das Ausmaß dieses Ausbruchs stellt ein echtes Risiko dar; je länger das Virus zirkuliert, desto größer wird seine Reichweite und desto stärker wird die Krankheit in nicht-endemischen Ländern Fuß fassen.“ Damit meinte er Länder, in denen das Virus bis Mai dieses Jahres nicht oder nur selten aufgetreten war.

Die Empfehlungen der WHO bezüglich Maßnahmen zur Eindämmung der Affenpocken sind rechtlich aber nicht verbindlich. Sie dienen den nationalen Gesundheitsbehörden aber als fachliche Orientierung. Der Notfallausschuss aus internationalen Experten und Expertinnen würde auch nach dem Ausrufen der Notlage seine Arbeit fortführen, weiter Informationen rund um den Affenpockenausbruch zusammentragen und zu Maßnahmen beraten.

Wurde die Notlage schon einmal ausgerufen? Seit 2005 bewertet die WHO solche internationalen Gesundheitskrisen durch Notfallausschüsse. Tausende Ereignisse, bei denen sich Erreger in der Welt ausbreiten, wurden seitdem an die internationale Gesundheitsbehörde übermittelt. Allerdings wurde nur bei sechs die höchste Warnstufe, also eine „gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite“ ausgerufen. Dazu zählt die Influenza (2009), Poliomyelitis (2014), Ebola (2014 und 2019) und Zika (2016). Auch beim Coronavirus wurde die höchste Alarmstufe im Januar 2020 ausgerufen. Diese wurde bislang auch noch nicht für beendet erklärt.

Affenpocken: Wieso ist die WHO besorgt?

Die Zahl der Affenpockenfälle nimmt von Tag zu Tag weiter zu. Weltweit wurden inzwischen mehr als 1600 Fälle von Affenpocken und fast 1500 Verdachtsfälle aus 39 Ländern gemeldet. In 32 dieser Länder gab es vor Mai keine bekannten Fälle. Es sei das erste Mal, dass viele Affenpockenfälle und -cluster gleichzeitig in vielen Ländern in sehr unterschiedlichen geografischen Gebieten gemeldet werden, heißt es im aktuellen WHO-Situationsbericht von Mitte Juni. Es sei sehr wahrscheinlich, dass sich das Virus weiter ausbreitet.

Die Sterblichkeit bei dem aktuellen Ausbruch sei bislang aber niedrig geblieben. Das Risiko durch die Affenpocken für die Allgemeinbevölkerung stuft die WHO deshalb bislang als „gering“ ein. Auf globaler Ebene hingegen bereits als „moderat“: Denn sollten sich Affenpocken auf anfälligere Gruppen und innerhalb dieser ausbreiten, bestehe das Potenzial für größere gesundheitliche Auswirkungen.

Das Risiko, schwer zu erkranken oder zu sterben, sei insbesondere bei immungeschwächten Personen hoch. Obwohl eine Infektion mit Affenpocken während der Schwangerschaft nicht vollständig geklärt ist, deuteten begrenzte Daten zudem darauf hin, dass eine Infektion zu nachteiligen Folgen für ungeborene und neugeborene Kinder und für die Mutter führen kann, hält die WHO fest.

Wie bemerkt man eine Affenpockeninfektion?

Erkrankte berichten über Fieber, Kopf-, Muskel- und Rückenschmerzen und geschwollene Lymphknoten. Einige Tage nach dem Auftreten von Fieber entwickeln sich Hautveränderungen, welche die Stadien vom Fleck bis zur Pustel durchlaufen und letztlich verkrusten und abfallen. Der Ausschlag konzentriert sich in der Regel auf Gesicht, Handflächen und Fußsohlen. Die Haut- und Schleimhautveränderungen können auch auf dem Mund, den Genitalien und den Augen gefunden werden. Jeder, der oder die Symptome hat, die auf Affenpocken hindeuten, sollte enge körperliche Kontakte vermeiden und sich sofort von Arzt oder Ärztin beraten lassen – zunächst telefonisch. (RND)

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