Bestsellerautor über den KlimawandelT.C. Boyle im Interview: „Bleibt gesund. Esst mehr Republikaner“

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T. C. Boyle sitzt in einem Kinosaal mit roten Sesseln.

Der Schriftsteller T. C. Boyle nach einer Lesung. Sein neuer Roman „Blue Skies“ behandelt die Klimakatastrophen unserer Zeit.

Bestsellerautor T. C. Boyle spricht im Interview über sein neues Buch, den Klimawandel und die politische Situation in den USA.

Mr. Boyle, ich habe eine kleine Überraschungstüte mitgebracht. Kennen Sie das: „Crispy Grillen Snack“?

T.C Boyle: Ich ahne, was das ist.

Gewürzte getrocknete Grillen. Kann man so in Deutschland kaufen. Haben Sie schon mal Grillen probiert?

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Ja, schon aus Recherchegründen! In meinem neuen Roman will eine der Hauptfiguren helfen, die Erde zu retten, indem sie Insekten züchtet und isst.

Und, wie hat es Ihnen geschmeckt?

Ach, nicht schlecht und nicht toll. Aber ich bin ja Vegetarier. Da eignen sich Grillen oder auch – das kommt ebenfalls im Buch vor – im Labor gezüchtetes Fleisch wunderbar, den Proteinbedarf zu decken und trotzdem den eigenen CO2-Fußabdruck zu verringern. Im wahren Leben kenne ich aber kaum Leute, die sich für den Verzehr von Insekten interessieren und soweit ich weiß, gibts bei uns in Santa Barbara noch keine Restaurants auf Insektenbasis. Abgesehen von den Kakerlaken, die sich unter der Spüle tummeln.

Die EU hat gerade die Möglichkeiten erweitert, Insekten für Lebensmittel zu verarbeiten. Viele Leute sehen das skeptisch, nach dem Motto: Was sollen wir für den Klimaschutz noch alles machen?

Dazu kann ich sagen: Ich habe Grillen vor allem als Bestandteil von Mehl gegessen, aus dem Brot und Kekse gebacken waren. Kein Grund zur Aufregung, wir essen ja auch Shrimps und hier in Kalifornien, wo es einen starken Latino-Einfluss gibt, auch „Chapulines“: frittierte Heuschrecken.

Okay, akut haben wir Wlad, den verrückten Zwerg, der die Ukrainer tötet und uns mit Bomben droht
T. C. Boyle

Insekten gelten als billiges Superfood, mit dem man die Weltbevölkerung trotz Klimawandel durchfüttern kann. Von den vielen boshaften Wendungen in „Blue Skies“ kann ich diese ja verraten: Die Menschheit freut sich zu früh über diesen Fleisch-Ersatz, denn in Ihrer Vision sterben urplötzlich die Insekten aus. Sie recherchieren ja immer sehr emsig: Ist das ein realistisches Szenario?

Ich wurde dazu von deutschen Amateur-Insektenforschern inspiriert, die einen dramatischen Rückgang an Fluginsekten festgestellt haben. Ich fragte mich: Wo wäre ohne Insekten das untere Ende der Nahrungskette? Was würden wir essen, wenn erst Insekten, dann insektenfressende Vögel verschwinden – und irgendwann die Tiere, die wir essen? Das war eine Ausgangsidee für den Roman.

„Blue Skies“ ist nicht Ihr erstes Buch, für das Sie zum Biologen avanciert sind. Die Welt der Insekten und anderer Tiere beschreiben Sie immer mit viel Leidenschaft. Den Menschen spielen Sie dagegen übel mit. Mal ehrlich, was sorgt Sie mehr: Dass die Menschheit den Klimawandel nicht überlebt – oder dass wir die Umwelt ruinieren, so dass ganze Pflanzen- und Tierarten aussterben?

Das ist die Frage unserer Zeit! Okay, akut haben wir Wlad, den verrückten Zwerg, der die Ukrainer tötet und uns mit Bomben droht, die alles zerstören können. Aber auf lange Sicht wird uns höchstwahrscheinlich eher zerstören, dass wir die Umwelt ruinieren, die uns einst hervorgebracht hat. Die Umweltaktivisten rufen: „Rettet die Erde!“ Aber die Erde überlebt auch ohne uns. Unsere Spezies ist sehr jung, und so wie wir uns entwickeln, weiß ich nicht, ob sie viel älter wird. Für die Erde wäre das nicht so schlimm. Aber andersherum: Warum sollte es uns kümmern, wenn die Insekten verschwinden? Nun, in der Natur ist alles verwoben, so dass wir den kompletten Zusammenbruch der Natur auslösen könnten. Das ist es, was mich beunruhigt.

Und deshalb haben Sie nach „Ein Freund der Erde“, das Sie vor 23 Jahren im Jahr 2026 angesiedelt haben, nun noch eine Warnung in Roman-Form geschrieben?

Was stimmt: Ich wollte „Ein Freund der Erde“ fortsetzen, weil ich damals Überschwemmungen, Brände, sogar eine Pandemie vorhergesehen habe - aber erst für 2026! Nun erleben wir den Klimawandel schon heute als neue Normalität, also wollte ich den Alltag einer Durchschnittsfamilie darin nachzeichnen. Nur: Eine Warnung oder ein politisches Statement soll keiner meiner Romane sein. Ich sage Ihnen jederzeit und überall meine politische Meinung. Aber das ist nicht die Funktion der Kunst. Mit der Kunst will ich mich ausdrücken und die Dinge für mich sortieren. Wenn mir dadurch am Ende jemand zustimmt: Halleluja!

Der rechte Rand ist natürlich mit den Verschmutzern im Bunde. Die bezahlen ihnen die Rechnungen, und deshalb leugnen sie alle Zusammenhänge
T. C. Boyle

Wie würden Sie die amerikanische Debatte über Klimapolitik heute zusammenfassen?

Sie haben vielleicht mitbekommen, dass Amerika seit 2016 völlig zerrissen ist zwischen den Proto-Faschisten und den Demokraten. Der rechte Rand ist natürlich mit den Verschmutzern im Bunde. Die bezahlen ihnen die Rechnungen, und deshalb leugnen sie alle Zusammenhänge – selbst, wenn ihr eigenes Haus weggeblasen wird und sie aufs Meer hinausgefegt werden.

Und die breite Mitte? Hat Klimaschutz eine Mehrheit in den USA?

Schwer zu sagen. Aber insgesamt haben wir es inzwischen kapiert, hoffe ich, und bewegen uns Richtung klimaneutrale Zukunft. Sicher, es ist immer ein Ringen zwischen dem, was Präsident Biden versucht, und den Republikanern, die es im Senat gleich wieder kippen. Aber sein milliardenschweres Investitionspaket für Klima und Soziales hat Biden letztes Jahr durch den Senat bekommen. Also sind wir auf einem guten Weg. Schaffen wirs rechtzeitig, bevor die totale Katastrophe eintritt? Wir haben jetzt acht Milliarden Menschen auf der Welt, und das Wetter wird überall extremer. Insofern bin ich da skeptisch.

Sie waren gerade auf Lesereise durch Deutschland, als hier heftig über ein Gesetz zur Umstellung auf klimafreundliche Heizungen gestritten wurde. Gibt es solche Streitfragen auch in den USA?

Sie sind uns weit voraus, was den Konsens über eine grüne Zukunft angeht. In Deutschland kann man es den Gegnern sogar schon in einfachen wirtschaftlichen Begriffen erklären: Wir stehen gerade an einem Scheideweg zwischen der alten Industrie und einer grünen Wirtschaft. Die alten Jobs sterben, aber es gibt neue, grüne Arbeitsplätze. Strom muss nicht mit Kohle erzeugt werden, es gibt Photovoltaikzellen. Ist doch brillant. Ich hoffe, dahin wird es auch in den USA gehen.

Wir werden weitermachen, bis das letzte Weizenkorn verzehrt und der letzte Mensch tot ist
T. C. Boyle

In „Blue Skies“ lassen Sie Ihre von Dürre und Flut geplagten Helden nur noch kurz aufstöhnen, wenn die Natur schon wieder zurückschlägt – und dann machen alle weiter wie gehabt: Klimaanlage auf, Pool gefüllt, und wenn das Essen im Kühlschrank durch die ständigen Stromausfälle verdirbt, holen sie mit dem Auto Nachschub im Supermarkt. Ist das Ihre Prophezeiung, wie die Menschheit mit der Klimakrise umgehen wird?Werden wir die Katastrophen hinnehmen und weitermachen wie gehabt?

Sie sprechen da in der Zukunftsform, mein Lieber. Wir tun das aber schon jetzt. Genau das wollte ich im Buch beschreiben: Es passiert JETZT. Alles, was den Alltag meiner Protagonisten durcheinanderwirbelt, erleben wir bereits: die „Teufelswinde“, die alles in Brand setzen und darum die Hochzeitsfeier im Freien unmöglich machen; die Hitze, wenn die Klimaanlagen wegen Stromausfall stillstehen. Auch mit Insektenplagen, Dürre, Schlammlawinen haben wir längst zu tun. Und wie reagieren wir? Wir machen weiter. Wir werden weitermachen, bis das letzte Weizenkorn verzehrt und der letzte Mensch tot ist. Das ist unsere Natur.

Auch Sie selbst mussten Ihr einmaliges Holzhaus, das vor 100 Jahren von Architekturlegende Frank Lloyd Wright gebaut wurde, schon zweimal verlassen.

Ja, zuletzt wegen einer Schlammlawine, die unser Dorf überspülte und 23 meiner Nachbarn getötet hat. Und das andere Mal vor fünf Jahren, als riesige Waldbrände sich drei Wochen lang von Ventura zu uns an die Küste fraßen, bis die Polizei mich zwang, das Haus zu verlassen. Eine riesige schwarze Rauchwolke hing über allem, und ich dachte, dass ich mein Haus nie wiedersehe. Aber die Feuerwehr konnte den Brand eindämmen.

Ein Teil der Familie in „Blue Skies“ wohnt genau in diesem Kalifornien, wo Hitze und Trockenheit nicht enden. Der andere Teil erlebt in Florida das Gegenteil: Dauerregen und Flut.

Ja, ich wollte die Ironie beschreiben, dass die einen sich sehnlichst Regen wünschen, während die anderen an der Küste Floridas unter Wirbelstürmen leiden und durch den steigenden Meeresspiegel ihre Strandhäuser verlieren. Es gab erdgeschichtliche Phasen, da stand das heutige Florida unter Wasser. Wenn sich die Erderwärmung so fortsetzt und die Polkappen schmelzen, könnte es wieder so kommen.

Der „Sunshine State“ ist schon jetzt nicht mehr, was er war. Der Ozean ist viel zu warm, es grassiert die Algenpest – und dann werden auch noch Rechtsaußen-Politiker und Klimawandel-Leugner an die Macht gewählt. Und Gouverneur Ron DeSantis verwandelt Florida in ein Schaufenster für Trump-Politik. Wie konnte das passieren?

Ich bin kein Politikwissenschaftler. Ich bin nur ein Typ, der sich seine Gedanken macht, die Zeitung liest und schluchzt. Aber klar, ich habe Freunde in Florida und beobachte, was vor sich geht. Und ich sehe das Aufkommen dieses neuen Faschismus in Amerika – und auch Europa – als eine Antwort auf all das, worüber wir sprachen. Die Wohlhabenden rotten sich zusammen, nehmen die Ressourcen für sich allein, ziehen Mauern hoch und erschießen alle anderen. Zur Hölle mit der Menschlichkeit.

Ein sehr pessimistischer Ausblick.

Tut mir leid. Dabei bin ich im Grunde ein fröhlicher Typ. Aber Sie wissen ja, wie gespalten unsere Gesellschaft hier ist. Wir haben eine viel multikulturellere Gesellschaft als ihr, und es gibt Menschen, die das ablehnen. Es gibt Rassisten, und es gibt Wähler, die ein Amerika wollen, wie es vor 50 Jahren war. Als würden sie sich eine amerikanische Apartheid wünschen. Und im Grunde sehen wir die Ansätze dazu bereits: Wir sehen es am Obersten Gerichtshof, dessen rechte Mehrheit die Zeit zurückdrehen will. Wir sehen es, weil eine kleine Minderheit viel größeren Einfluss auf die Gesetzgebung hat. Auch im Wahlmännergremium und im Senat zählen die kleinen, ländlichen Bundesstaaten immer mehr als Kalifornien oder New York.

Lässt sich nichts davon reformieren?

Ich habe keine Lösung zu bieten – außer die aus meiner Lieblingsbar in Santa Barbara: Auf der Herrentoilette hängt über dem Pissoir eine Kreidetafel, auf die jeder was kritzeln kann. Als ich letztes Mal da war, hab ich draufgeschrieben: „Bleibt gesund. Esst mehr Republikaner.“ 


Tom Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, New York, geboren, ist Autor zahlreicher Romane und Erzählungen, die in dutzende Sprachen übersetzt wurden. Berühmt machten ihn seine Romane „Wassermusik“ (1982), „World's End“ (1987) und „América“ (1995), für die er mit renommierten Preisen ausgezeichnet wurde – aber auch seine jüngeren Werke sind Bestseller.

T.C. Boyles neuer Roman „Blue Skies“ ist im Hanser Verlag München erschienen (399 Seiten, gebunden, 28 Euro, E-Book: 20,99 Euro).

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