Trotz erwiesenem SchutzNeue Debatte um Maskenpflicht entfacht

Lesezeit 7 Minuten

An den ersten heißen Sommertagen genießen die Menschen das Wetter zumeist ohne Maske, auch auf Veranstaltungen ist sie kaum noch zu sehen. Doch erste Politiker warnen bereits vor dem Herbst und Winter. Bundesjustiz­minister Marco Buschmann sprach sich jetzt gegen eine erneute Maskenpflicht aus. Ihr Nutzen sei nicht wissenschaftlich erwiesen. Stimmt das?

Die Maskenpflicht, eben noch omnipräsent, ist dieser Tage beinahe vergessen. Nur noch in der Deutschen Bahn, im Nahverkehr und bei der Lufthansa muss Maske getragen werden.

Während Gesundheits­minister Karl Lauterbach (SPD) eine Maskenpflicht für das kältere Halbjahr bereits mit dem Aufziehen von Winterreifen vergleicht und so zur Normalität erklärt, hält Bundesjustiz­minister Marco Buschmann (FDP) dagegen. Der „Rheinischen Post“ sagte er: „Ich habe nichts gegen die Maske, meine Frau und ich tragen sie auch, wenn wir etwa in den Supermarkt gehen – aber eben freiwillig. Will der Staat Masken vorschreiben, etwa in Innenräumen, muss das evidenzbasiert und verhältnismäßig sein. Ob das der Fall ist, besprechen wir, wenn alle Gutachten vorliegen.“

Alles zum Thema Karl Lauterbach

Evidenzbasiert – heißt laut Definition „auf der Basis empirisch zusammengetragener und bewerteter wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgend“. Der Bundesjustiz­minister zweifelt in seinem Interview aber genau das an, wenn es um ein generelles Tragegebot von Schutzmasken geht. Steht er damit allein oder vertritt Buschmann eine gängige Position? Wir haben einige Einschätzungen aus Wissenschaft und Politik zum Thema Maskenpflicht zusammengetragen.

FFP2-Masken bieten hohen Schutz vor einer Infektion

Dass die Masken bei ordnungsgemäßem Gebrauch sehr wohl schützen, haben Forschende des Göttinger Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation mit einer eigenen Studie belegt. Danach bieten FFP2-Masken einen extrem hohen Schutz vor einer Corona-Infektion. Allerdings kommt es dabei auf die richtige Trageweise an, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Wenn sich ein infizierter und ein gesunder Mensch in einem Innenraum auf kurze Distanz begegnen, liegt die Ansteckungsgefahr demnach auch nach 20 Minuten bei gut einem Promille (0,1 Prozent). Voraussetzung sei der korrekte Sitz der FFP2- oder KN95-Maske, schreibt das Team um Institutsdirektor Eberhard Bodenschatz in den „Proceedings“ der US-amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“).

Bei schlecht sitzenden FFP2-Masken liege das Infektionsrisiko im gleichen Szenario dagegen bei rund 4 Prozent, berechnet das Team. Für optimalen Schutz muss der Nasenbügel demnach zu einem „abgerundeten W“ geformt werden, sodass er seitlich auf die Nasenflügel drückt. Bei OP-Masken reicht eine gute Passform noch, um die Infektionsgefahr auf maximal 10 Prozent zu senken.

„Die Maske ist das geringste Übel”

Der Aerosolforscher Eberhard Bodenschatz, der an dem Institut tätig ist, erläuterte im RND-Interview, warum das Maskentragen auch nach Ende der Tragepflicht sinnvoll sei. „Die Maske ist der beste Schutz vor einer Ansteckung – und das geringste Übel. Wer sich schützen will, sollte weiterhin die Maske tragen. Wer sie nicht trägt, kann sich und andere Menschen gefährden. Das ist so, als würde man seine Bremsen am Auto nicht reparieren und trotzdem fahren.“

Ohne Maske, so Bodenschatz, sehe die Lage ganz anders aus. „Ohne Maske habe ich das höchste Ansteckungsrisiko. Wir haben Berechnungen angestellt, wie lange ich dem Atem einer infektiösen Person ausgesetzt sein kann, die keine Maske trägt, bis ich eine potenziell ansteckende Viruslast eingeatmet habe. Wenn ich selbst eine Maske trage, vermindere ich das Infektionsrisiko erheblich. Durch das korrekte Tragen einer FFP2-Maske verlängert sich die Zeit, die ich dem Atem einer infektiösen Person ausgesetzt sein kann, ohne mich anzustecken, um den Faktor 100 – bei einer medizinischen Maske circa um den Faktor zehn.“

Schutz mit Maske vor Atem infektiöser Personen bis 100-mal höher

Bodenschatz ergänzt: „Sie können sich mit Maske also in der gleichen Situation zehn- bis hundertmal so lange aufhalten, bis die gleiche Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung erreicht ist. Das ist natürlich ein gewaltiger Schutz. Wenn beide Personen eine FFP2-Maske tragen, also die potenziell ansteckende und ich, dann liegt das Risiko im Promillebereich – ich könnte der Situation quasi tausendmal so lange ausgesetzt sein wie ohne Masken.“

Jüngst berichtete die „Welt am Sonntag“, ein Teil der Ampelkoalition plane, eine sogenannte O‑bis-O-Regel einzuführen. Die ist bisher bei Autofahrerinnen und ‑fahrern populär, indem sie auf die gängige Winterreifenzeit von Oktober bis Ostern verweist. Analog dazu gebe es Gedankenspiele, für denselben Zeitraum das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in Innenräumen vorzuschreiben.

„Wir brauchen einen Corona-Plan für den Herbst - und zwar jetzt”

Nach Auffassung von Ärztepräsident Klaus Reinhardt müsse bereits im Sommer gehandelt werden. „Wir brauchen einen klaren Corona-Plan für den Herbst – und zwar jetzt“, sagte der Präsident der Bundesärzte­kammer dem „Weser-Kurier“. Ein einfacher Lockdown oder eine Maskenpflicht in Innenräumen „werden nicht die geeigneten Mittel sein, um damit umzugehen“. Vielmehr müsse man sich „deutlich präziser auf die Gruppen konzentrieren, die ernsthaft gefährdet sind“, forderte Reinhardt. Denkbar seien beispielsweise tägliche PCR-Testungen bestimmter Bevölkerungs­gruppen. Ein weiterer Punkt seien die Sicherstellung und die Verfügbarkeit von Therapien, die es mittlerweile für Covid-19 gebe.

Die Hamburger Virologin Marylyn Addo rechnet damit, dass im Winter in Deutschland die Maskenpflicht wieder eingeführt werde. In der „Rheinischen Post“ sagte sie: „Ich gehe davon aus, dass Maßnahmen wie die Maskenpflicht im Winter zurückkommen – jedenfalls im öffentlichen Raum und in Innenräumen, wo Abstand halten schwierig ist.“

Masken schützen Vulnerable

Beim individuellen Abwägen, ob man sich und andere im Alltag schützen sollte, spielt auch das persönliche Risiko durch Covid-19 eine Rolle. Es gibt anfälligere Personen mit Risikofaktoren, bei denen die Impfung zum Beispiel kaum bis gar nicht anschlägt – etwa nach Organ­trans­plantationen oder bei einer Krebserkrankung. „Diese Menschen werden sich auch künftig in besonderem Maße schützen müssen“, sagt der Virologe Marco Binder vom Deutschen Krebsforschungs­zentrum in Heidelberg. FFP2-Masken und das Meiden von Menschenmengen blieben für sie wahrscheinlich auf lange Sicht notwendig, vor allem während der Erkältungssaison.

Masken tragen und Abstände einhalten, um die zu schützen, die besonders gefährdet sind, das befürwortet auch der Epidemiologe Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule Berlin. Bei aktuell stark zirkulierendem Virus sei das Maskentragen in Innenräumen, in Bus und Bahn immer noch sinnvoll, so Ulrichs.

Das Robert Koch-Institut rät auch weiterhin, die bewährten Abstands- und Schutzregeln im Zweifel einzuhalten. Das gelte besonders in diesem Sommer, in dem erstmals wieder die großen Musikfestivals stattfinden. Das bedeutet, wenn viele Menschen dicht gedrängt aufeinandertreffen, lieber wieder Maske tragen. Wer vor oder während des Festivalbesuchs einen Schnelltest macht, verringere zudem das Risiko, unwissentlich jemanden anzustecken.

Fußball-WM als Superspreading-Event?

Mit Blick auf die Fußball­welt­meisterschaft im Winter in Katar sorgt sich der Virologe Hendrik Streeck. „Dadurch kreieren wir gegebenenfalls auch wieder größere Ausbrüche, oder es kann auch zu einem Superspreading-Event kommen, und darauf muss man sich vorbereiten“, sagte Streeck dem „Nachtjournal“ des Fernsehsenders RTL. Grund dafür sei, dass das Public Viewing aufgrund der ungewöhnlichen Jahreszeit in Innenräumen und nicht, wie sonst üblich, draußen stattfinden wird.

Eine Hilfe könnte dann wieder das Tragen von Schutzmasken sein. „Wir wissen, dass die Maske funktioniert und dass die Maske einen Schutz gibt“, sagte der Leiter des Instituts für Virologie an der Universität Bonn. Aber vor allem müsse man die Risikogruppen in den Alten- und Pflegeheimen besser schützen. Dazu gehören gute Hygienekonzepte, aber auch eine vierte Impfung für die Risikogruppen. Jüngere bräuchten diese im Moment aber nicht, für sie reiche eine Dreifach­impfung.

Mit Masken allein lässt sich das Coronavirus aber nicht stoppen. Es braucht auch Abstands­regelungen, Hygiene­maßnahmen, regelmäßiges Lüften und die Impfungen. Selbst bei einer hohen Impfquote müssten die Mund-Nasen-Masken in Innenräumen vorerst weiter beibehalten werden, um gesellschaftliche und medizinische Kosten sowie Covid-19-bedingte Kranken­haus­aufenthalte und Todesfälle zu minimieren, heißt es in einer US-amerikanischen Studie, die im Fachmagazin „The Lancet Public Health“ erschienen ist.

Virusvarianten erhöhen Nutzen der Masken

Je länger es dauere, bis ein bestimmtes Impfniveau erreicht ist, desto größer sei der Nutzen der Masken, schrieben die Forschenden. Ein Beispiel: Erreichen die USA bis zum 1. Mai eine Durchimpfungsrate von 80 Prozent, würde das Beibehalten der Masken nach Berechnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund 7,66 Millionen Corona-Fälle verhindern. Würde diese Durchimpfungsrate erst zwei Monate später, am 1. Juli, erreicht werden, wären es rund 8,57 Millionen Infektionen, sowie 200.000 Krankenhaus­behandlungen und 23.200 Todesfälle.

„Die Virusübertragung hört nicht auf, sobald die Impfziele für die Bevölkerung erreicht sind, aber wenn die Maske noch einige Wochen nach Erreichen dieser Ziele verwendet wird, kann dies enorme wirtschaftliche und gesundheitliche Vorteile bringen“, sagte eine Autorin der Studie, Maria Elena Bottazzi von der National School of Tropical Medicine am Baylor College of Medicine. Das Auftreten der Omikron-Variante und die Aussicht auf weitere Virusvarianten, die möglicherweise übertragbarer sind und die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe weiter reduzieren, würden den Wert von Masken noch erhöhen, resümierten die Forschenden.

Aktuell beträgt die Durchimpfungsrate in den Vereinigten Staaten 67,4 Prozent.

KStA abonnieren