Wahlkampf in PolenNeues Fischsterben droht – Kampf der Interessen an deutschem Grenzfluss

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Die Oder im polnischen Krajnik Dolny am 15. August 2022: Tote Fische schwimmen an der Wasseroberfläche des deutsch-polnischen Grenzflusses.

Die Oder im polnischen Krajnik Dolny am 15. August 2022: Tote Fische schwimmen an der Wasseroberfläche des deutsch-polnischen Grenzflusses.

In der Oder starben 2022 Tausende Fische – Salz aus polnischem Bergbau scheint die Ursache gewesen sein. Das Drama könnte sich wiederholen.

Jetzt im beginnenden Frühjahr, scheint es so, als habe es das Fischsterben an der Oder nie gegeben. Der Fluss wälzt sich breit und schnell und grau unter der Stadtbrücke von Frankfurt/Oder hindurch. Der Sommer mit dem Niedrigwasser und den unzähligen Fischkadavern ist weit weg. Nur Angler sind keine zu sehen, weder auf deutscher noch auf polnischer Seite.

Auch flussabwärts in Schwedt fährt Helmut Zahn jetzt nur noch selten raus. „Das reine Erwerbsfischen lohnt sich hier einfach nicht mehr“, sagt der Oderfischer. Er ist der letzte verbliebene von ursprünglich sieben Fischern in der Stadt am Unterlauf des deutsch-polnischen Stroms. „Wenn ich rausfahre, würde ich nur Fische fangen, die ich für höchstens 50 Euro verkaufen kann“, sagt Zahn. Der Fischbestand im Fluss muss sich nach der Umweltkatastrophe im vergangenen August erst einmal erholen.

Soldaten und Feuerwehrleute sammeln im August 2022 tote Fische aus der Oder.

Soldaten und Feuerwehrleute sammeln im August 2022 tote Fische aus der Oder.

Anfang August vergangenen Jahres war Zahn noch mit seinem grünen Boot zum Testfischen auf die Oder gefahren. Er wollte prüfen, ob ein großer Fang zu erwarten ist. „Es sah eigentlich ganz gut aus“, erinnert er sich, „es gab viele schöne Aale.“ Doch dann bekam Zahn einen Warnanruf. Da bahne sich etwas an. Flussaufwärts seien unzählige tote Fische gefunden worden. Dann traf es auch ihn. In seinem kleinen Hofladen, gelegen an einer Wasserstraße seitlich der Oder, zeigt er Fotos vom vergangenen Sommer. Er hat dokumentiert, was er sich bis dahin an seinem Fluss nie hätte vorstellen können: Tausende tote Fische treiben in der Oder. Ein weißes Meer aus Fischkadavern.

Regenerationszeit für die Oder? Drei bis vier Jahre

Zahn verdient sein Geld seitdem vorrangig mit Fischhandel und versorgt die Schwedter nur noch mit zugekauftem Fisch. Auch weil er die jungen Tiere, die man in der Oder findet, nicht wegfischen will. Der Fluss soll sich schließlich regenerieren. Das könnte nach seiner Schätzung noch drei bis vier Jahre dauern.

Die Frage, die sich mit den wieder steigenden Temperaturen stellt, lautet aber: Bekommt der Fluss überhaupt die Zeit, die er braucht? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Politikerinnen und Politiker auf beiden Seiten des Flusses schlagen Alarm: Alle Zutaten für ein erneutes Fischsterben sind noch da.

Die giftig blühende Goldalge Prymnesium parvum, die nach übereinstimmenden Berichten der deutschen und polnischen Experten das Fischsterben verursacht hat, ist aus dem Fluss nicht mehr wegzubekommen. Der Salzgehalt, den die eigentlich nur im Brackwasser vorkommende Alge braucht, ist nach wie vor viel zu hoch.

Am frühen Morgen spiegelt sich die Landschaft im glatten Wasser eines Nebenarms vom deutsch-polnischen Grenzfluss Oder.

Idyllischer Nebenarm der Oder Ende Februar im brandenburgischen Lebus.

Und vermutlich braucht es noch nicht einmal einen extrem heißen Sommer: Im November blühte Prymnesium parvum in einem Nebengewässer der Oder im Nationalpark Unteres Odertal, nördlich von Schwedt – bei einer Wassertemperatur von zehn Grad. Der einzige Unterschied zum Sommer: Die Algen hatten kein Gift gebildet.

Umweltministerin Lemke: „Die Katastrophe könnte sich wiederholen“

Christian Wolter ist Fischökologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Er erforscht die Oder seit Jahrzehnten, und wenn er über die Alge redet, mischt sich Respekt in seine warnenden Worte: „Je mehr man sich mit Prymnesium parvum befasst, desto mehr kommt man zu dem Schluss, einen kleinen Tausendsassa vor sich zu haben“, sagt er. „Die Algen können sich auch bei deutlich geringeren Temperaturen und auch bei deutlich geringeren Salzgehalten vermehren.“

„Ich bin sehr besorgt, dass sich die Naturkatastrophe in der Oder in diesem Sommer wiederholen könnte“, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) kürzlich dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir müssen alles daran setzen, ein Fischsterben in der Oder im kommenden Sommer und in den Sommern danach zu verhindern.“

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im August 2022 bei einem Besuch von Einsatzkräften am deutsch-polnischen Grenzfluss Oder.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) im August 2022 bei einem Besuch an der Oder.

Das würde vor allem heißen: die Salzeinleitungen in die Oder zu stoppen. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat bei eigenen Messungen in Oder-Nebenflüssen am Oberlauf zwei polnische Bergbaukonzerne als Verursacher ausgemacht. Teilweise lag der Salzgehalt beim 15-fachen des empfohlenen Wertes für Süßwasser. Doch auf polnischer Seite hieß es bislang immer nur, alle Einleitungen bewegten sich im gesetzlichen Rahmen.

Im Herbst wählen die Polinnen und Polen ein neues Parlament, der Wahlkampf beginnt früh. Die regierenden Nationalkonservativen müssen abwägen, was ihrem Image mehr schadet: Ein weiteres Fischsterben oder ein Konflikt mit den mächtigen und immer noch strategisch wichtigen oberschlesischem Bergbaukonzernen.

Inflation und Kriegsauswirkungen: Umweltschutz von der polnischen Agenda gerutscht

Polens Grüne glauben, dass die Regierung dann eher den Naturschutz vernachlässigt. „Die Umweltkatastrophe war vergangenen Sommer ein riesiges Thema, aber sie ist von anderen Krisen überlagert worden“, sagt die Parteivorsitzende Urszula Zielinska dem RND. „Der Krieg in der Ukraine, die Inflation, das verdrängt das Thema wieder. Und die Regierung tut das, was typisch für populistische Parteien ist: Sie flutet den öffentlichen Raum mit Krisennachrichten, teils übertriebenen und teils falschen Informationen, bis die Leute abschalten.“

Unter den Nationalkonservativen, glaubt Zielinska, werde an der Oder nichts besser: „Wenn wir die Einleitungen beenden und den Oderausbau wirklich stoppen wollen, brauchen wir zunächst eine andere Regierung in Warschau. Wenn der politische Wille vorhanden ist, kann man die Einleitungen stoppen. Zurzeit gibt es diesen politischen Willen nicht.“

Polen habe sich gegenüber der EU-Kommission verpflichtet, bis spätestens 2027 für eine gute Wasserqualität zu sorgen. Doch belastetes und salzhaltiges Wasser darf weiter eingeleitet werden, wenn sein Verursacher „im öffentlichen Interesse“ handelt, führt Zielinska aus. Und die schlesischen Bergbaukonzern tun eben ganz legal genau das, sie handeln „im öffentlichen Interesse“.

In Frankfurt an der Oder fürchtet der Bürgermeister einen „Supergau“

In Frankfurt (Oder), auf dem deutschen Ufer des Flusses, warnt Oberbürgermeister René Wilke (Linke): „Wir steuern wissentlich und sehendes Auges auf eine Katastrophe in diesem Jahr zu. Das wäre ein politischer Supergau.“

Am 27. März laden die Grünen aus Bund und Land zur deutsch-polnischen Oderkonferenz in Frankfurt. Steffi Lemke wird kommen und Ula Zielinskas Co-Vorsitzender Przemyslaw Slowik. Es ist der Versuch, noch zu retten, was zu retten ist. Und es ist zugleich Wahlkampfhilfe der deutschen Grünen für ihre kleine polnische Schwesterpartei. Gerade einmal drei Abgeordnete haben die Grünen im Warschauer Parlament. Kann die kleine Umweltpartei bei den nächsten Wahlen mit deutscher Hilfe aus ihrer Nische kommen?

Polnische Staatsmedien bauen die deutschen Grünen bereits zum Gegner polnischer Interessen auf. Aktuell ist das besonders gut an der Mündung der Oder zu beobachten. In Swinoujscie (Swinemünde) will Polen einen Tiefwasser-Containerhafen bauen. Die deutschen Nachbargemeinden auf der Ferieninsel Usedom protestieren. Doch in den polnischen Planungen wurde die Fahrrinne jetzt so verlegt, dass kein deutsches Gebiet mehr betroffen ist - und daher keine Einspruchsrechte bestehen.,

Im polnischen Staatsfernsehen TVP wird der Schritt bejubelt: „Deutschlands Argumente konzentrieren sich auf Umweltaspekte“, heißt es dort, „aber laut Experten sind die von den deutschen Grünen in Auftrag gegebenen Studien von zweifelhafter wissenschaftlicher Qualität und allein politischer Natur.“

Doch die Befürworter eines Containerhafens in Swinoujscie haben von anderer Seite Gegenwind bekommen: Das oberste polnische Verwaltungsgericht stoppte kürzlich den Ausbau der Oder. Deutsche und polnische Umweltverbände hatten geklagt. Wenn der Strom aber nicht ganzjährig für große Binnenkähne schiffbar ist, ergibt auch das Großprojekt in Swinoujscie weniger Sinn.

Polen will Oder für Schiffahrt weiter ausbauen

Kurz nach der Umweltkatastrophe hatte Polens heutiger Europaminister Szymon Szymkowsi vel Sek dem RND gesagt: „Wir sind entschlossen, die Schiffbarkeit der Oder zu verbessern. Das hat nicht nur ökonomische, sondern auch strategische Gründe. Transportwege sind in heutigen Zeiten ein sehr wichtiger Aspekt der Sicherheit.“

An der Oderpromenade in Frankfurt schaut ein Mann in neongelber Warnweste auf die Bagger und Schuten, die neue Buhnen und Steinschüttungen am polnischen Ufer errichten. Er ist Ingenieur eines polnischen Baukonzerns und ziemlich einsilbig. Ist das, was dort drüben passiert, der Oderausbau? „Nur Renovierung“, antwortet er knapp.

Schiffe und Baumaschinen Mitte März auf der polnischen Uferseite nahe Frankfurt (Oder).

Schiffe und Baumaschinen Mitte März auf der polnischen Uferseite nahe Frankfurt (Oder).

Christian Wolter, der Fischökologe vom Leibniz-Institut, begrüßt das Warschauer Gerichtsturteil. „Wir benötigen angesichts der prognostizierten Klimafolgen natürlichen Hochwasserschutz in Überflutungsauen und Wasserrückhalt in der Landschaft. Der Oderausbau ist da komplett kontraproduktiv, weil er Abflüsse beschleunigt, zur Eintiefung des Flusses führt und damit auch zur Entwässerung der Landschaft beiträgt.“

Der Klimawandel werde zu immer längeren Niedrigwasserperioden im Fluss führen, sagt Wolter. „Flüsse die über Jahrhunderte permanent Wasser führten, könnten im Sommer regelmäßig austrocknen. Wir machen den Riesenfehler der Begradigung von Fließgewässern. Schmelzwasser und das Wasser von Regenperioden wird möglichst schnell abgeführt.“ Die Flüsse müssten viel „breiter fließen können“, sagt er - nicht tiefer und schneller.

Die Oder ist an ihrem Oberlauf bereits stark reguliert. Nach den Plänen der polnischen Behörden könnte das von Vorteil sein, sollte es wieder zu einem Fischsterben kommen. Dann würden Schleusen geschlossen und Sperren errichtet, damit die Katastrophe nicht wieder den ganzen Fluss erreicht. Die Meldeketten, die vergangenen Sommer so kläglich versagten, sind deutlich verbessert worden. Immerhin das.

Auch auf der Expertenebene funktioniere die grenzüberschreitende Zusammenarbeit insgesamt gut, sagt Lilian Busse, Vizepräsidentin des Umweltbundesamtes. Für April ist ein weiterer deutsch-polnischer Workshop zur Goldalge geplant, dem „kleinen Tausendsassa“, wie Wolter ihn nennt. Es ist der Versuch, den winzigen Gegner noch besser kennenzulernen, bevor er wieder zuschlägt.

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