Andreas Bartsch zum Lehrkräftemangel„Das Problem wurde verschlafen“

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Andreas Bartsch verlangt, engagiert gegen den Lehrermangel in NRW vorzugehen.

  • Andreas Bartsch ist Präsident des Lehrerverbands NRW
  • Für ihn ist das Problem des Lehrermangels hausgemacht
  • Die Politik habe viel zu lange weggeschaut, erzählt er im Interview

Düsseldorf – Herr Bartsch, ist das Problem des Lehrkräftemangels eigentlich ein neues Thema? Nein, ich würde grundsätzlich sagen, dass es sich um ein hausgemachtes Problem handelt, denn wir wissen seit vielen Jahren, dass die Bedarfe steigen. Die Schulform, an der massiver Lehrkräftemangel herrscht, ist die Grundschule. An den Gymnasien gibt es Bedarf in den Mint-Fächern sowie Musik und Technik. Ansonsten haben wir dort ein Bewerberfeld von einer Größe, dass bis zu 2000 Lehrerinnen und Lehrer keine Stelle bekommen können. Das große Problem sind die Grundschulen, es ist schlicht verschlafen worden. Wir hatten aufgrund der mangelnden Studienplätze bis vor kurzem sogar noch einen NC für die Grundschullehrer.

Bartsch

Andreas Bartsch

Ein Problem, das sich nicht von heute auf morgen lösen lässt.

Das ist ein langfristiges Thema, weil die Lehramtsanwärterinnen – und anwärter erst einmal studieren und ihre Referendarzeit absolvieren müssen. Das heißt, dass wir diesen Personenkreis frühestens in sieben Jahren nutzen können. Deswegen muss hier kurzfristig nachgelegt werden im Blick auf weitere Studienplätze. Wir haben im vergangenen Jahr massiven Druck gemacht, offenbar mit Erfolg, denn es scheint um die 1000 neue Plätze zu geben. Doch das reicht nicht aus bei den Zahlen, die wir vor uns liegen haben für die nächsten sechs bis acht Jahre.

Im Koalitionsvertrag ist vom Recht auf Ganztagsbetreuung die Rede.

Das Ganze steht natürlich im Zusammenhang mit diesem Rechtsanspruch. Demgegenüber sind im vergangenen Jahr viereinhalbtausend Stellen nicht besetzt worden, angeblich auch im Grundschulbereich. Das heißt, hier ist auch der Rechtsanspruch gefährdet, der im Koalitionsvertrag steht – dieser kann unter Umständen gar nicht gehalten werden, sogar mit großer Wahrscheinlichkeit wird man ihn nicht halten können. Diese Aufgabe ist ein echter Kraftakt, ich würde sogar sagen, sie ist eine Herkulesaufgabe, die man nur durch einen Mix an Maßnahmen angehen kann.

Zum Beispiel?

Man könnte die Teilzeitlehrkräfte fragen, ob sie bereit wären, die in oder andere Stunde zusätzlich zu geben, auch wenn das Maßnahmen sind, die aus der Sicht des Personals unpopulär sind. Da gibt es gleich einen Aufschrei, auch von Gewerkschaftsseite, doch dem entgegne ich, dass man doch ein Interesse daran haben muss, dass der Schulbetrieb läuft.

Was wären weitere Gegenmaßnahmen, die kurzfristig wirken könnten?

Man kann Pensionäre ansprechen und fragen, ob Sie bereit wären auszuhelfen. Das gilt auch für die Referendare - im vergangenen Jahr waren rund 1200 bereit, im Rahmen ihrer Ausbildung mehr als vorgesehen zu unterrichten. Das geht natürlich nur auf freiwilliger Basis. Das weitere Thema sind Seiteneinsteiger, aber hier sage ich ganz deutlich: Ja, einverstanden – aber nur mit einer angemessenen Qualifizierung. Wir können nicht unseren Qualitätsanspruch aufgeben, nur weil wir Lücken füllen wollen. Eine sehr unpopuläre Maßnahme hat es bereits in den 90er Jahren gegeben, in denen ebenfalls massiver Lehrkräftemangel herrschte. Da kam es zu sogenannten Vorgriffsstunden vor allem für junge Lehrkräfte: Diese sollten über fünf oder sechs Jahre hinweg über das Kontingent hinaus eine Stunde mehr unterrichten. Diese Stunden sind mit einem gewissen Abstand wieder zurückgegeben worden. Ich würde noch einen Schritt weiter gehen und würde anregen, dass man diese Stunden ruhegehaltsfähig machen kann.

Wenn viele angehende Lehrerinnen und Lehrer am Gymnasium keine Stelle finden, könnte man auf den Gedanken kommen, sie woanders einzusetzen.

Ja, wir haben uns zu diesem Modell ja auch bereit erklärt. Daran sind jedoch Bedingungen geknüpft. Es muss die entsprechende gymnasiale Besoldung nach A 13 gewährleistet sein sowie die Garantie geben, dass man nach einer gewissen Zeit der Beschäftigung dann ans Gymnasium kommt.

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Wir brauchen an dieser Stelle an den Schulen eine Reserve von zirka zehn Prozent. Wenn es durch Krankheit, Sportfeste, Klassenfahrten oder Fortbildungen zu einem Bedarf an zusätzlichen Lehrkräften kommt, würde diese Reserve den massiven Unterrichtsausfall, den wir an den Schulen verzeichnen, wirksam bekämpfen.

Lehrermangel in Zahlen

Eine Anfrage der FDP-Fraktion im Düsseldorf Landtag an das Bildungsministerium ergab folgende Zahlen zu den Lehrkräften in NRW: Mit Stichtag 15. Oktober 2021 waren insgesamt 208.904 Personen an den öffentlichen und privaten Schulen beschäftigt, darunter insgesamt 198.040 Personen hauptamtlich/hauptberuflich, die übrigen waren zum Beispiel Beamte auf Widerruf, nebenamtlich/nebenberuflich Beschäftigte, Studierende oder einer sonstigen Beschäftigungsart zuzuordnen.

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