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„Nicht genügend Stellen“Kölner Schulleiter schlagen Alarm wegen fehlender Sozialarbeit

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Eine Schülerin einer fünften Klasse eines Gymnasiums meldet sich. (Symbolbild)

Eine Schülerin einer fünften Klasse eines Gymnasiums meldet sich. (Symbolbild) 

Nur 12 von 37 Kölner Gymnasien verfügen über Sozialarbeiter. Viel zu wenig, finden Schulleiter und weitere Experten. 

Die Bitten wurden bislang nicht gehört. Zahlreiche Anträge auf eine Schulsozialarbeiterstelle haben Schulleiter Oliver Baum und Elternschaft des Leonardo-da-Vinci-Gymnasiums an das Schulamt geschrieben – ohne Erfolg. Schulen, die nicht in Brennpunktgebieten liegen, haben eher schlechte Karten auf eine Stelle. „Als Antwort bekommen wir immer zu hören: Die Kassen sind leer. Es ist aber traurig, dass wir nicht verstehen, dass wir mit Investitionen in unsere Kinder unsere Zukunft finanzieren“, sagt Baum.

Integrationshilfen, Elternarbeit und eine heterogene Schülerschaft – die Aufgaben der Sozialarbeit wären vielfältig im Nippeser Gymnasium. So seien die Nachwehen der Corona-Pandemie an seiner Schule durchaus spürbar, sagt Baum. „Das soziale Miteinander hat gelitten. Viele Kinder haben nicht gelernt, in sozialen Gruppen zu agieren.“ Andere Kinder sähen sich im Gymnasium einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt, obwohl die Schule versuche, keinen Druck aufzubauen.

Das soziale Miteinander hat gelitten. Viele Kinder haben nicht gelernt, in sozialen Gruppen zu agieren.
Oliver Baum, Schulleiter Leonardo-da-Vinci-Gymnasium

Das Leonardo-da-Vinci-Gymnasium ist kein Einzelfall. Denn nur die wenigsten Kölner Gymnasien verfügen über eine Schulsozialarbeit, geht aus einer Antwort der Stadt auf eine Anfrage von Grünen, CDU und Volt im kommenden Schulausschuss hervor. Lediglich zwölf der 37 städtischen Gymnasien bieten eine solche Stelle an. Schulsozialarbeitende würden vorwiegend an den Schulen eingesetzt, an denen vergleichsweise viele Familien einen finanziellen Unterstützungsbedarf nach dem Bildungs- und Teilhabegesetz angemeldet hätten – also in sozialen Brennpunkten. Andererseits seien Schulen bevorzugt worden, die sich stark für das Thema „Inklusion“ engagierten.

„Alle Schulen brauchen Schulsozialarbeit, auch die Gymnasien“, sagt Silvia Meneghetti, stellvertretende Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Schulsozialarbeit NRW. Studien zeigten, dass die mentale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen besonders seit Corona leide. Vieles müsse die Schulsozialarbeit auffangen, weil die Therapieplätze begrenzt und die Wartezeiten dementsprechend hoch seien. Tatsächlich hatte die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ ermittelt, dass 51 Prozent der Befragten unter Stress, Angst oder Einsamkeit litten. Acht Prozent gaben an, dass sie Suizidgedanken hätten.

Studie: 51 Prozent der Jugendlichen leiden unter Stress und Angst

Die Probleme an den Schulen seien in den vergangenen Jahren eher größer geworden, so Meneghetti, die selbst Schulsozialarbeiterin an einer Bonner Hauptschule ist. Derzeit sei Mobbing in den sozialen Medien ein großes Thema. Zudem verweigerten immer mehr Schüler und Schülerinnen den Schulbesuch. „Sie gehen nicht mehr zur Schule und die Eltern wissen nicht, was sie tun sollen.“ Und in sozialen Brennpunkten müssten Schulsozialarbeitende viele Familien unterstützen, damit diese beispielsweise soziale Leistungen beantragen könnten.

Anstatt mit einer Offensive gegen die Probleme anzugehen, macht Meneghetti eine „chronische Unterfinanzierung“ der Schulsozialarbeit aus. „Wir fordern, dass es an allen Schulen zumindest eine Vollzeitstelle für die Schulsozialarbeit gibt.“ Die Fachwissenschaft verweise gar auf eine Vollzeitstelle für 150 Kinder und Jugendliche, um allen Aufgaben in der Schulsozialarbeit nachkommen zu können. „Das ist natürlich weit weg von der Realität.“ Allerdings seien die Vorteile der Schulsozialarbeit nicht zu unterschätzen. An Schulen, an den es keine Sozialarbeit gebe, müssten die Lehrkräfte, die dafür nicht ausgebildet seien, die Probleme stemmen. „Oder die Probleme bleiben einfach liegen.“

Wir fordern, dass es an allen Schulen für 150 Kinder und Jugendliche eine Stelle gibt. Das ist natürlich weit weg von der Realität
Silvia Meneghetti, stellvertretende Vorsitzende Landesarbeitsgemeinschaft Schulsozialarbeit NRW

Ähnlich sieht das Katharina Schmiedel, Vorsitzende der Kölner Stadtschulpflegschaft. „Mein Eindruck ist, dass an Gymnasien genau wie an Schulen anderer Schulformen die Unterstützung der Schulsozialarbeit gebraucht wird.“ Aufgrund der Regelung, dass eine Lehrerstelle umgewidmet werden muss, wenn keine Berechtigung vorliegt, könne das jedoch oft nicht umgesetzt werden.

Eine Umfrage der Stadtschulpflegschaft unter den Kölner Gymnasien unterstreicht den Bedarf. „Wir machen in den letzten Jahren in der Tat die Erfahrung, dass sich zunehmend mehr Kinder und Jugendliche an uns wenden und die Probleme teilweise gravierend sind – Essstörungen, Sucht, Suizidalität, häusliche Gewalt“, schreibt ein Lehrer, der namentlich nicht genannt werden will. Auch die Schulleiterin des Deutzer Gymnasiums Schaurtestraße, Anja Veith-Grimm, würde sich eine Schulsozialarbeitende an ihrer Einrichtung wünschen. Ein Antrag an die Stadt 2024 sei aber abgelehnt worden. „Mir steht offenbar leider nichts zu.“

Oliver Seeck ist schulpolitischer Sprecher der SPD.

Oliver Seeck ist schulpolitischer Sprecher der SPD.

Auch die Kölner Schulpolitiker und -politikerinnen würden die Schulsozialarbeit gerne ausbauen. „Ich würde mir deutlich mehr wünschen“, sagt Oliver Seeck, schulpolitischer Sprecher der SPD. „Wir haben nicht genügend Stellen“, räumt die schulpolitische Sprecherin der Grünen, Bärbel Hölzing, ein. Allerdings sei es derzeit schwierig genügend Fachkräfte zu finden. „Der Markt ist leergefegt.“ Andrea Browers, schulpolitische Sprecherin von Volt macht geltend, dass der städtische Haushalt unter finanziellem Druck stehe und damit weitere Stellen nicht finanziert werden könnten. „Die Schulsozialarbeit ist wichtig, aber keine Pflichtaufgabe – und dann wird es schwierig.“ Die CDU war zunächst für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Die Schulsozialarbeit ist wichtig, aber keine Pflichtaufgabe – und dann wird es schwierig
Andrea Browers, schulpolitische Sprecherin Volt

Dort, wo es Schulsozialarbeitende vorhanden sind, sind die Schulleiter mit deren Arbeit zufrieden. Mobbing in den sozialen Medien und Vernachlässigung im Elternhaus seien wichtige Themen, denen die Schulsozialarbeit begegnen müssen, sagt Bernd Ruddat, Schulleiter am Kalker Kaiserin-Theophanu-Gymnasium. Früher war er Schulleiter in einem bürgerlichen Viertel in Leverkusen und sagt: „Die Welt ist auch an den Gymnasien nicht mehr in Ordnung.“

„Unserer Schulsozialarbeiterin ist nicht arbeitslos“, sagt auch Stephan Deister, Schulleiter des Sülzer Hildegard-von-Bingen-Gymnasiums. Gewalt sei an seiner Schule zwar kein Thema. „Mir bereitet aber die Tendenz Sorge, dass immer mehr Kinder vereinsamen aufgrund der idealisierten Welt auf Instagram.“ Die Unsicherheit in der Pubertät nehme zu. Zudem organisierten sie zahlreiche Workshops zu Krisensituationen in Familien – etwa nach Trennungen oder wenn die Eltern mit ihren Kindern nicht mehr fertig würden.