„Fällt mir schwer, das Ganze aufzugeben“Lukas Podolski über sein Leben in Polen und das DFB-Team

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Lukas Podolksi jubelt im Stadion seines Heimatvereins Gornik Zabrze mit den Fans.

Lukas Podolksi jubelt im Stadion seines Heimatvereins Gornik Zabrze mit den Fans.

Lukas Podolski spricht im zweiten Teil unseres Interviews über sein Leben in Polen als bald 38-jähriger Fußballprofi von Gornik Zabrze.

Sechs Jahre spielte Lukas Podolski – mit Unterbrechungen – als Profi für den 1. FC Köln, auch die Jugendmannschaften hatte er am Rhein durchlaufen. Seine enge Verbindung zur Stadt und dem Verein ist legendär, auch wenn er schon in mehreren anderen Ländern gespielt hat. Noch mindestens zwei Jahre will der 37-Jährige nahe seiner Geburtsstadt Gliwice für den polnischen Erstligisten Gornik Zabrze spielen. In Polen trafen wir ihn zu einem ausführlichen Gespräch, lesen Sie hier den zweiten Teil:

Herr Podolski, Sie haben Ihren ursprünglich im Sommer auslaufenden Vertrag bei Gornik Zabrze erneut um zwei weitere Jahre bis 2025 verlängert. War das für Sie eine schwere Entscheidung?

Podolski: Nein. Es macht mir noch sehr viel Spaß, ich bin fit und kann absolut mithalten. Ich habe fast alle Spiele von Anfang an bestritten und nehme ja mit meinen Leistungen, Toren und Torvorlagen weiter Einfluss auf unser Spiel. Zwischendurch kamen mir schon mal die Gedanken: Du könntest ja jetzt auch mit deinen Kindern spielen oder in den Urlaub fahren, wann du willst und hast nicht immer permanent den Trainings- und Spielplan im Hinterkopf. Aber mir fällt es schwer, das Ganze aufzugeben. Heimspiele, Auswärtsspiele, die Stimmung, die Fans, sogar die gegnerischen, die dich auspfeifen: Ich liebe das! Von solchen Spielen, Erlebnissen und Emotionen habe ich als Kind immer geträumt. Und ich will das noch nicht aufgeben. Gornik und ich waren uns schnell einig. Was nach den zwei Jahren passiert, ist noch offen.

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Sie werden in wenigen Tagen immerhin 38 Jahre alt. Haben Sie wirklich noch nie ans Karriereende gedacht?

Nie ernsthaft. Die Trainingseinheiten, die vielen Reisen, der Umgang mit den Fans oder Medien stören mich nicht. Ganz im Gegenteil. Auch mein Körper macht noch gut mit, mir tun die Beine nach den Spielen zwar etwas weh, aber nach zwei Tagen ist es wieder vergessen. Mir fällt das alles nicht schwer – körperlich und mental.

Mit Lukas Podolski bei Gornik Zabrze:

Und Ihre Frau Monika kommt damit gut klar?

Sie ist auch ein Grund, warum ich vom Kopf her so stark bin und noch Profifußball spielen kann. Ich habe eine Frau, die mir in Sachen Fußball meine Freiheiten gibt und mich in Ruhe lässt. Sie weiß: Morgens fahre ich die Kinder zur Schule, danach bin ich beim Training, und die Wochenenden sind meistens auch immer verplant.

Sie wurden 1985 in Gleiwitz geboren und haben die ersten Lebensjahre unweit des Stadions gewohnt. Macht das noch etwas mit Ihnen?

Ja. Mit dem Verein verbinde ich schon immer viel, jetzt schließt sich der Kreis. Unsere Familie hat damals nur fünf Minuten vom Stadion entfernt gewohnt. Bei uns waren alle Gornik-Fans und oft bei den Spielen im alten Stadion mit seinen alten Beton Tribünen zu Besuch. Als meine Familie mit mir nach Deutschland ausgewandert war, sind wir dann immer in den Ferien nach Polen gefahren und haben das dann auch mit Gornik-Spielen verbunden. Damals gab es für uns kein Mallorca, Italien oder Kroatien. Wir sind mit dem Auto und dem Bus nach Polen gebrettert. Ja, gebrettert, denn das dauerte nicht nur lange, sondern war auch noch ziemlich beschwerlich. Die Grenzen waren noch zu, die Straßen in Polen bessere Schotterpisten: Da war man auch mal 20 Stunden unterwegs. Aber wir waren glücklich, als die Familie wieder vereint war. Das Leben war nicht einfach. Opa, Onkel, Cousin: Sie alle arbeiteten unter Tage und holten die Kohle aus dem Stollen. Über Generationen hinweg haben alle in derselben Grube gearbeitet und machen dies zum Teil heute noch. Die Verwandten sind jetzt alle im Stadion, wenn ich mit Gornik spiele. Ich verbinde viel mit der Region, ihren Menschen und dem Verein.

Zu Ihrer vor einigen Jahren verstorbenen Großmutter Zofia sollen Sie ein besonderes Verhältnis gehabt haben.

Das stimmt. Ich hatte ihr auch versprochen, dass ich eines Tages nach Schlesien zurückkomme und hier noch mal spielen werde. Leider hat sie das nicht mehr erleben dürfen. Oma war mein größter Fan: Sie hatte eine Art Altar von ihrem Enkel mit Trophäen, Schuhen und Bildern. Sie hat immer die Trikots meiner Klubs gesammelt, die mussten allerdings von mir auch in Spielen getragen sein; darauf legte sie ganz besonderen Wert. In der Anderthalb-Zimmer-Wohnung in Sośnica, einem Stadtteil von Gleiwitz, sind wir damals groß geworden. Ich denke, Oma schaut heute von oben stolz herunter.

Sie sind selbst dreifacher Familienvater. Ist es für Sie wichtig, dass Ihre Familie diese Bindung auch noch mal erfährt?

Meine Frau ist ja auch in Polen geboren worden. Auch für Monika ist das eine Art Zurückkommen. Meine Familie hat mich allerdings zu allen meinen Auslandsstationen begleitet: Ob nach England, nach Japan oder in die Türkei. Ich wäre nicht zu Gornik gewechselt, wenn meine Familie ohne mich in Köln leben müsste. Die Kinder profitieren auch davon und wachsen zum Beispiel mehrsprachig auf. Sie lernen in der Schule Englisch und Spanisch, sprechen Polnisch und Deutsch.

Bei Gornik dreht sich fast alles um Sie. Ist das manchmal selbst für Sie zu anstrengend?

Nein. Ich bin so, wie ich halt bin. Und das natürlich auch hier. Ich bin offen zu den Fans. Ich weiß, dass ich bei einem Verein spiele, der in einer etwas ärmlicheren Region beheimatet ist, in der die Leute nicht immer das Geld für ein Ticket haben oder dafür schwer in der Grube unter Tage arbeiten müssen. Man muss das besonders wertschätzen, wenn diese Familien dann im Stadion sind. Ich bin auch zurückgekommen, um dem Verein durch meine Kontakte und Erfahrungen zu helfen. Ich unterstütze ganz besonders die Akademie des Klubs und will junge Spieler bei ihrer Karriere unterstützen. Ich will den Menschen hier etwas zurückgeben.

Sie standen früher als Teenager auch in der Südkurve des 1. FC Köln. Gibt es da einen Unterschied zur Fankurve von Gornik?

Ich habe vor allen Fankurven der Vereine, bei denen ich gespielt habe, großen Respekt. Doch die vom FC und Gornik sind für mich noch einmal besonderer, außergewöhnlicher. Mit den Kölner Fans bin ich bis heute verbunden, der FC war der Verein, bei dem meine Profikarriere gestartet ist. Ich werde mein erstes Bundesligaspiel im Trikot des FC gegen den HSV und mein erstes Derby-Tor gegen Gladbach nie vergessen. Das waren für mich Momente für die Ewigkeit. Auch nach so vielen Jahren bekomme ich noch Gänsehaut, wenn ich Videos und Szenen dieser Spiele sehe. Und wenn ich die FC-Hymne höre, berührt mich das heute noch so wie früher. Hier in Zabrze sind die Emotionen und die Begeisterung ähnlich wie in Köln.

Als Sie zuletzt gelbgesperrt waren, standen Sie bei den Gornik-Fans im Auswärtsblock. Wie kam es dazu?

Warum denn auch nicht? Mir wurde das angeboten, und ich habe zugesagt. Das hat großen Spaß gemacht und war ein bisschen verrückt (lacht). Wenn man mal bei bei einer Zugfahrt dabei war, die vier, fünf Stunden pro Strecke dauert, dann weiß man das noch mehr zu schätzen, welchen Aufwand die Fans betreiben, um ihren Verein zu unterstützen und wie sehr sie ihn lieben. So etwas hätte ich gerne auch mal beim FC gemacht. Doch leider hat das auch aufgrund der schwierigen sportlichen Situation in Köln nie geklappt. Vielleicht ergibt sich mal die Gelegenheit.

130 Spiele haben Sie auch für die Nationalmannschaft bestritten. Bei den vergangenen drei Turnieren hat sie schwach abgeschnitten und enttäuscht. Warum kann sie an die erfolgreichen Zeiten nicht mehr anknüpfen?

Ich gehöre ja schon seit einigen Jahren nicht mehr zum Kreis der Nationalmannschaft, daher ist das für mich aus der Ferne etwas schwer zu beurteilen. Früher bestand die Mannschaft gleich aus einer Vielzahl von Führungsspielern, auf die man sich verlassen konnte und die die Mechanismen ganz genau kannten und wussten, wo man ansetzen muss, damit es gut oder besser läuft. Von der Qualität her muss die Mannschaft eigentlich in der Lage sein, besser bei Turnieren abzuschneiden.

Am Ende ist der Trainer der Hauptverantwortliche für die Mannschaft. Sie kennen Hansi Flick lange. Ist auch Kritik an ihm berechtigt?

Dass nach einem Vorrunden-Aus der Aufschrei groß ist und vieles infrage gestellt wird, weiß Hansi doch auch. Aber natürlich habe ich Vertrauen in ihn. Er ist für mich aktuell die bestmögliche Lösung auf der Trainerposition. Es ist ja auch nicht so, dass da noch zehn Spieler in der Hinterhand sind, die besser als der aktuelle Kader sind.

Gehört Deutschland bei der Heim-EM im kommenden Jahr noch zum Kreis der Titelkandidaten?

Ein bisschen Zeit zur Entwicklung hat die Mannschaft ja noch. Aber wenn man das Abschneiden bei den letzten drei Turnieren zum Maßstab nimmt, dann zählt sie sicherlich nicht mehr zu den Titelfavoriten – zumindest nicht zu Turnierbeginn.

Warum ist eine große Fußballer-Nation wie Deutschland nicht mehr in der Lage, gute Mittelstürmer und Verteidiger hervorzubringen?

Sicherlich sind da auch Fehler in der Ausbildung in den Nachwuchsakademien gemacht worden. Mir fehlen da bei vielen jungen Spielern die Robustheit und das Durchsetzungsvermögen. Man muss mehr Wert auf Eins-gegen-Eins-Situationen legen, mehr auf dem Kleinfeld trainieren. Da lernt man, den Kampf noch mehr anzunehmen. Zudem sollte man auch mehr das Individuelle fördern, zu viele gleichartige Spielertypen bringen einen nicht weiter. Da sind uns andere Nationen ein Stück weit voraus. Die Generation von heute lässt sich mit der aus meiner Anfangszeit beim FC oder DFB aber nicht mehr vergleichen.

Am Mittwoch wollen die 36 DFL-Klubs bei einer Mitgliederversammlung weiter über den Verkauf von Medienanteilen an Investoren beraten. Vor allem die aktive Fanszene kritisiert die Investoren-Pläne heftig. Wie stehen Sie dem Thema gegenüber?

Großinvestoren sind bei Klubs im Ausland zwar gang und gäbe, aber das ist natürlich ein heikles Thema, dem ich auch kritisch gegenüberstehe. Für mich sind die DNA eines Vereins, die Fans und das Bewahren von Traditionen das Wichtigste. Nehmen wir doch einen großen Traditionsverein wie den 1. FC Köln und gehen noch einen Schritt weiter: Wenn da ein Investor im großen Stil einsteigen würde, der dann auch viele Dinge bestimmt, dann wäre das für mich ein absolutes No-Go.

Hier geht es zum ersten Teil des ausführlichen Interviews mit Lukas Podolski.

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