Köln – Das Training am Donnerstagvormittag war ein eher stilles, was auch daran lag, dass Co-Trainer René Wagner einen Großteil der Übungen ansagte und nicht sein deutlich lautstärkerer Chef Steffen Baumgart, der sich alles konzentriert ansah. Zwei Tage vor der Partie in Fürth (Samstag, 15.30 Uhr) lag ein Schwerpunkt der Einheit auf dem Flügelspiel, es ging vornehmlich um Automatismen, und das aus gutem Grund: Keine Mannschaft kassierte in dieser Saison so viele Kopfball-Gegentore wie Fürth (14). Und keine war mit dem Kopf so erfolgreich wie der 1. FC Köln.
13 Kopfballtreffer erzielte Baumgarts Mannschaft bislang, allein neun davon Anthony Modeste. Da kann es nicht schaden, an den Stärken zu arbeiten, wenn diese so gut zu den Schwächen des Gegners zu passen scheinen. Allerdings haben die Fürther bereits insgesamt erstaunliche 61 Treffer kassiert. Das relativiert die Zahl der Kopfball-Gegentore ein wenig.
Jonas Hector arbeitete auf der linken Seite, dort wird er auch am Samstag spielen. Mal probte der 31-Jährige das Zusammenspiel mit Florian Kainz, dann wieder zog er selbst durch bis zur Grundlinie, um vor das Tor zu flanken. An die körperlichen Grenzen gerät ein Fußballprofi in solchen Einheiten nicht. Und weil die Abläufe geübt wurden, ohne dass ein Gegner die Kreise störte, hatte Hector ausreichend Muße, die eine oder andere Aktion seiner Kollegen zu kommentieren. Und sich etwa einen Spaß daraus zu machen, Florian Kainz und auch sich selbst für die banalsten Taten zu loben. „Klasse Steckpass“ sagte Hector, nachdem er einen Ball ohne Gegenspieler über fünf Meter zu Kainz gespielt hatte. Als Ondrej Duda ein Schuss weit über das Tor verrutschte, rief Hector sogleich „Platzfehler!“; und als Mark Uth eine von Hectors Qualitätsflanken nicht aufs Tor brachte, sagte Hector leise, aber für alle hörbar: „Der trifft kein Scheunentor.“
Der Kölner Kapitän verzog keine Miene dabei, seine Kollegen dagegen lächelten. Es sind diese kleinen Momente, in denen Hectors Einfluss auf die Kölner Mannschaft ebenso deutlich wird wie seine Art der Führung: Leise, aber deutlich zu hören. Und immer mit Wirkung. Am Samstag in Fürth wird Jonas Hector zum 300. Mal das Trikot des 1. FC Köln in einem Profispiel tragen. Fast zehn Jahre ist es her, dass der damals 21-Jährige im Pokal-Erstrundenspiel in Unterhaching sein Debüt gab.
Hector hat wechselvolle Jahre erlebt mit dem 1. FC Köln. Er stieg auf, qualifizierte sich für Europa, stieg ab und noch einmal auf. Womöglich hat er sich gar nicht zugetraut, das Zeug zum Bundesligaprofi zu haben, wahrscheinlicher ist aber, dass er zwar seine Begabung spürte, aber vor der Branche zurückschreckte. Bis ins Jahr 2010 spielte Hector für den SV Auersmacher, die Platzanlage liegt nicht weit entfernt von seinem Elternhaus. Ein Leistungszentrum hat er nie von innen gesehen, das hat ihn geprägt: Es bedeutet einen Unterschied, ob man schon in der Kindheit zu einem Großverein geholt wird, um dort ein sehr guter Spieler unter vielen sehr guten Spielern zu sein und ständig zu hören, man sei auf gradem Weg zu Ruhm und Reichtum. Oder ob man in seinem Dorfverein spielt und dort der Spieler ist, auf den es ankommt. Das lehrt Verantwortungsgefühl. Hectors Auftreten auf dem Platz ist das eines Mannes, der daran gewöhnt ist, Orientierung zu bieten. Das war er schon mit 19, als er den SV Auersmacher zum Aufstieg in die Oberliga führte.
Sein Talent erzeugte allerdings einen Druck, der es nicht zuließ, für immer mit den Freunden zu kicken. 2010 kam er aus dem Saarland nach Köln, 2012 debütierte er bei den Profis, 2014 wurde er Nationalspieler. Bei der EM 2016 absolvierte Hector alle sechs Spiele im Team des Weltmeisters über die volle Distanz, im Viertelfinale gegen Italien verwandelte er gegen Gigi Buffon den entscheidenden Elfmeter.
Es war ein Höhepunkt seiner Karriere, obgleich Hector in dieser Nacht von Bordeaux wirkte, als frage er sich, wie er bloß in diese Lage gekommen sei. Plötzlich wollte alle Welt etwas von ihm, das liegt ihm nicht. Öffentliche Auftritte meidet er, allenfalls spricht er mit Klub-eigenen Medien. Lieber wirkt er nach innen.
„Der wichtigste Spieler im Verein“
Steffen Baumgart hat gleich gewusst, mit welch einem Spieler er es da zu tun hatte. Für den Trainer stand außer Frage, dass Jonas Hector Kapitän bleiben würde. Das bekräftigte Baumgart am Donnerstag. „Wir reden gern über Tony Modeste und seine Tore. Aber Jonas ist der wichtigste Spieler in diesem Verein“, sagte er.
Hector sei einer, der „vorangeht und der Mannschaft Sicherheit gibt. Die 300 Spiele kommen ja nicht von ungefähr. Es gab keinen Trainer vor mir, der gern auf ihn verzichtet hat. Und es wird auch nach mir keinen geben“, sagt der Coach. Der 50-Jährige ist ein Fußball-Enthusiast, ein Spieler wie Hector beeindruckt ihn. „Jonas überlegt, in anderthalb Jahren aufzuhören. Ich kann mir nur wünschen, dass er der Bundesliga länger erhalten bleibt und nicht nur die 350 vollmacht. Ich glaube, er kann auch 400.“