Kölner Fußball-GipfelFC, Viktoria und Fortuna machen gemeinsame Sache

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Andreas Rettig, Alexander Wehrle und Hanns-Jörg Westendorf (v.r.)

Köln – Herr Rettig, Herr Wehrle, Herr Westendorf, was sind die Motive von FC, Viktoria und Fortuna, gerade jetzt ein Turnier zu Gunsten der Obdachlosen in Köln zu veranstalten?

Westendorf: Die Idee dazu hatte Andreas Rettig. Er hat das Thema angepackt und die Leute zusammengebracht. Man kann alles immer früher machen, aber besser jetzt als nie. Wir haben einige Probleme in Köln, zum Beispiel die infrastrukturellen – und damit meine ich nicht nur Stadien, sondern auch die Sportstätten für die Jugend. Und wir haben ein Thema, das immer größer wird: das der Obdachlosigkeit. Da muss man ja nur mal mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt gehen.

Gab es einen Schlüsselmoment?

Wehrle: Corona war wie ein Brennglas für die Gesellschaft. Der FC hat sich dann relativ schnell bei der Kölner Tafel engagiert. Und dann haben wir durch viele Gespräche mitbekommen, dass das Thema Obdachlosigkeit immer gravierender wird. Die Menschen ohne einen festen Wohnsitz sind in dieser Zeit noch mehr in Vergessenheit geraten, da viele Einrichtungen geschlossen waren. In Köln gibt es mittlerweile rund 6000 Obdachlose. Wir waren uns alle einig, dass wir mit dem Turnier gemeinsam ein Zeichen setzen wollen. Wir, die drei größten Fußballklubs in Köln, haben die Möglichkeit, mit unserer Reichweite öffentlich auf solche Themen aufmerksam zu machen und einen Appell an die Gesellschaft zu richten.

Sehen Sie bei dem Thema Obdachlosigkeit eine Überforderung der Stadt, der Gesellschaft?

Westendorf: Ja, die sehe ich auch bei mir selbst. Ich habe das Gefühl, dass der Kreis der Bedürftigen und der Obdachlosen immer größer wird, aber man hat kein Gefühl dafür, wie man das Thema richtig anpacken soll. Mit dem Turnier wollen wir langfristig helfen, deshalb wird es auch im nächsten Jahr an diesen Verwendungszweck gebunden sein.

Wehrle: Oft heißt es ja, dass in einem Sozialstaat wie Deutschland keiner auf der Straße leben müsste. Und dann gehst du raus, egal ob bei der Ausgabestation unserer Tafel oder bei unserem Weihnachts-Essen für Bedürftige, und sprichst persönliche mit den Menschen und merkst, dass eben nicht jeder aufgefangen wird. Deshalb gilt es, ein Zeichen zu setzen und Berührungsängste abzubauen.

Vorverkauf hat begonnen

Der PSD-Bank Cup beginnt am 8. Oktober um 17 Uhr, Sport1 überträgt live. Zuvor werden von 15 Uhr an bereits Nachwuchsteams (U9, U10, U11) der drei Klubs miteinander spielen.

Die Auslosung hat ergeben:

17 Uhr: Viktoria Köln – Fortuna Köln

18 Uhr: Fortuna Köln – 1. FC Köln

19 Uhr: Viktoria Köln – 1. FC Köln

Der Vorverkauf hat begonnen; Stehplätze kosten 5, Sitzplätze 15 Euro. Es gilt das 3G-Konzept (genesen, geimpft, getestet). Kinder bis 15 Jahre sind von der Nachweispflicht ausgenommen.

Herr Wehrle, Sie wohnen seit fast neun Jahren mitten in der Stadt. Was nehmen Sie persönlich wahr?

Wehrle: Mein Eindruck ist: Immer mehr Menschen, ältere, aber erkennbar auch jüngere Menschen, leben auf der Straße.

In der Corona-Zeit hieß es immer wieder: Bleiben Sie zu Hause. Unmöglich, wenn man kein Zuhause hat.

Rettig: Das stimmt. Wir hatten aktuell Kontakt zu den Vertretern der Oase, die die Straßenzeitung „Draußenseiter“, herausbringen. Die wird beim Turnier übrigens auch vertrieben. Ich habe dann von einem Gräberfeld für Obdachlose auf dem Südfriedhof in Zollstock erfahren, einem Ort, den sicher viele Kölner überhaupt nicht kennen. Wir planen auch mit unseren Spielern und den „Draußenseiter“-Verkäufern mal einen Rundgang zu solchen Orten zu machen, um das Bewusstsein für das Thema zu schärfen.

Wird das Turnier eine einmalige Veranstaltung bleiben?

Rettig: Nein, das können wir schon verraten. Im kommenden Jahr wird Hanns-Jörg Westendorf mit seiner Fortuna der Gastgeber des Turniers sein, im Jahr darauf dann der 1. FC Köln. Wir wollen nicht einfach einmal einen Scheck überreichen und ein bisschen Applaus, sondern wir wollen nachhaltig auf ein ganz wichtiges Thema dieser Stadt aufmerksam machen. Wir haben von jedem Klub eine Vereinslegende gewinnen können. Bei uns wird Erich Ribbeck beim ersten Spiel den Anstoß ausführen, beim FC wird es Karl-Heinz Thielen sein und bei der Fortuna Wolfgang Fahrian. Wir haben also Vertreter der älteren Zeit, der Gegenwart und der Zukunft dabei. Denn das Thema ist ja auch generationenübergreifend.

Wehrle: Das Turnier soll zu einer festen Einrichtung werden. Wir wollen daraus eine Bewegung machen. Und wir sind die Zugpferde. Wenn nicht in Köln – wo denn sonst? Wir begeistern, aber wir wollen auch unser Verantwortung gerecht werden.

Sie sehen bei den Fußballvereinen eine Art Erziehungsauftrag für die Jugendspieler?

Westendorf: Da haben wir als Vereine eine unendlich große Verantwortung. Bei Fortuna werden 500 Jugendliche aus 21 Nationen groß. Gerade so große Vereine in der Stadt müssen vieles von dem machen, was die städtische Verwaltung nicht leistet. Aber das sollte die Stadt Köln honorieren.

Rettig: Bei der Viktoria haben wir knapp 200 Jugendliche und einen Migrationshintergrund von über 70 Prozent. Die Millionärsdichte in unseren Stadtteilen auf der rechten Rheinseite ist überschaubar (lacht). Von daher haben wir sehr ähnliche Probleme und Herangehensweisen wie die Fortuna. Ich betrachte diese Unterstützung für die Jugendlichen als eine Art Bürgerpflicht der Vereine für die Allgemeinheit.

Wie sieht es mit der Rivalität zwischen den Vereinen aus? Gerade bei Fortuna und Viktoria?

Westendorf: Die ist schon da und soll sportlich natürlich bleiben. Aber nicht auf diesem martialischen Level, wie es sie schon gegeben hat. Wenn es um unsere soziale Verantwortung geht, arbeiten wir alle Hand in Hand.

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Haben Sie die Sorge, dass es der harte Kern Ihrer Fans nicht so gut finden könnte, dass alle drei Logos aus einem Schal zu sehen sind?

Rettig: Ich denke, dass wir kluge und solidarische Fans haben, die über den Dingen stehen und sagen: Das ist eine coole Idee, da stehe ich hinter. Ich jedenfalls kaufe mir einen der limitierten Schals. Es ist ein wunderbares Erinnerungsstück an diesem Tag.

Westendorf: Wahrscheinlich gibt es auch Fans, die sich da gestört fühlen. Aber dann muss man auch bereit sein, das durchzudrücken und zu sagen: Wir machen das jetzt trotzdem.

Rettig: Gerade im Jugendbereich wäre es ja aberwitzig, wenn ein Neunjähriger von der Viktoria einen Knirps der Fortuna als Feind sehen würde. Das ist ja balla-balla. Darum gibt es auch die Symbolik mit den „Vereint“-Shirts und die mit Jugendspielern aus den drei Klubs gemischten Mannschaften.

Neben dem guten Zweck soll das Turnier auch als Einladung an die Stadtgesellschaft dienen: Kommt her, wir zeigen euch guten Fußball und jeder kann es sich leisten.

Wehrle: Die fünf Euro für einen Stehplatz sind ein Symbol für bezahlbaren Fußball. Unsere Klubs sind ja auch Heimat für viele Fans. Dieses Gefühl wollen wir in die Stadt tragen. Unser Ziel ist es, zusammen mit unseren Fans und unseren Fanklubs zu helfen. Wir wollen gemeinsam mit den Organisationen, die die Bedürfnisse der Obdachlosen in Köln genau kennen, unterstützen und den Umgang mit dem Thema Obdachlosigkeit in den nächsten Jahren verändern. Dazu wollen wir ein Fußballfest feiern, das wir für die Menschen in unserer Stadt ausrichten, die kein zu Hause haben.

Rettig: Es soll ein Fußballspiel für jedermann sein, auch dank der Unterstützung des Namensgebers, der PSD Bank. In den fünf Euro ist auch noch das KVB-Ticket mit drin. Die KVB ermöglicht mit einer guten Kooperation die unkomplizierte An- und Abreise zum Spiel, denn die Tickets gelten gleichzeitig als Fahrausweis für Bus und Bahn. Bei einem Preis von 2,50 Euro für den halben Liter Kölsch wird man das wohl auch brauchen (lacht).

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Andreas Rettig, Geschäftsführer von Viktoria Köln

Wehrle: Mit unserer Stiftung haben wir in den letzten zwei Jahren gezeigt, wie schnell wir effektiv helfen können. Zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir innerhalb von sechs Wochen 650.000 Euro eingesammelt, bei der Hochwasser-Katastrophe innerhalb von drei Wochen 250.000 Euro. Und wir als Fußball haben meiner Meinung nach die Kraft, Menschen zu einem Umdenken zu bewegen.

Kann aus so einer gemeinsamen Aktion heraus auch ein Bündnis für andere Themen entstehen? FC, Viktoria und Fortuna einen ja auch zum Beispiel Probleme bei der Infrastruktur.

Westendorf: Auf jeden Fall. Für mich ist Köln durch das Wort „verwaltungsresistent“ geprägt. Dieses Infrastruktur-Problem betrifft ja nicht nur den 1. FC Köln auf der Gleueler Wiese oder den Ausbau des Südstadions. Da geht es auch beispielsweise um Turnhallen – da passiert nichts! Aus der Politik und der Verwaltung kommen salbungsreiche Worte aus allen Ecken, jeder hört zu. Ein halbes Jahr später hat man es dann Vergessen oder seine Meinung geändert.

Rettig: Das ist völlig richtig. Der Sport muss in der Stadt Köln einen anderen Stellenwert bekommen. Es ist ja oft von der „Sportstadt Köln“ die Rede. Aber wie definiere ich das? Als eine Stadt, die ab und zu mal ein großes Event ausrichtet? Oder eine Stadt, die sich für den Schulsport einsetzt und für Aktivitäten, die innerhalb der Stadt möglich sind? Da würde ich mir mehr Engagement wünschen.

Sehen Sie Köln als Sportstadt?

Westendorf: Nein.

Wehrle: Es muss mehr sein als nur ein Großereignis. Es muss ein vielfältiges Angebot geben, natürlich angefangen beim Breitensport. Und dafür braucht es neben dem Fußball andere Sportarten wie Basketball, Handball oder Volleyball, in denen Spitzenteams die Sportstadt Köln repräsentieren und so Vorbild für den Breitensport sind. Das Thema Sportstätten ist in Köln natürlich ein großes. Es herrscht Not, es gibt einen Investitionsstau.

Westendorf: Hier in Köln ist alles nur Flickschusterei, hier passiert nichts. Hier werden Zusagen für die Gleueler Wiese gemacht – und kurz vor der OB-Wahl weiß da kein Mensch mehr was von. Man kann zu dem Projekt ja stehen, wie man will. Aber so ein Umgang geht nicht.

Wehrle: Auf der Gleueler Wiese geht es ja darum, dass wir als 1. FC Köln drei Kunstrasenplätze bauen würden, die wir selbst nur drei bis vier Stunden pro Tag nutzen würden. Die restliche Zeit ist für die Bunte Liga, den Schulsport und die Bürgerinnen und Bürger gedacht. Für die Sportstadt Köln.

Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?

Wehrle: Manche Parteien stehen zu ihren Zusagen, andere nicht. Positiv ist, dass wir eine Baugenehmigung erhalten haben. Jetzt läuft das Normenkontrollverfahren. Im Frühjahr 2022 erhalten wir hoffentlich einen positiven Bescheid – dann möchten wir in die Umsetzung gehen.

Westendorf: Wir fühlen uns im Stich gelassen, das kann man gut an einem Beispiel erzählen. Unsere U17 und U19 spielen Junioren-Bundesliga. Weil wir im Jean-Löring-Sportpark keinen Rasenplatz haben, spielen wir in Chorweiler. Wir stehen da vor einem Spiel im NRW-Pokal gegen Borussia Mönchengladbach, der Gegner kommt – und wer ist nicht da? Der Hausmeister mit dem Schlüssel für die Kabinen. Dann fällt das Spiel aus. Das ist doch unglaublich für einen A-Jugend-Bundesligisten.

Rettig: Wir konnten aus Gründen, die sich mir nicht erschlossen haben, mit unserer U19 nicht in unserem Stadion spielen. So spielten zwei Kölner Mannschaften gegeneinander in Troisdorf. Das wirft Fragen auf.

Ist das ein Problem, an dem nur die Politik Schuld trägt?

Rettig: Die Politik ist das eine. Ich muss aber auch die Verbände einschließen. Wenn ich sehe, wie der mitgliederstärkste Sportverband im Land, der DFB, es seit Jahren verpasst, seine Stimme zu erheben und konstruktiv und Basis-orientiert etwas zu schaffen – das ist schon frappierend. Ich würde mir jetzt einfach wünschen, dass der DFB eine Kampagne für zum Beispiel neue Vereinsheime startet – nachhaltig, unter energetischen Gesichtspunkten. Um auch das Vereinsheim sozial als neuen Ort zu definieren. Wir müssen die Treffpunkte neu beleben – das wäre doch zum Beispiel mal ein Thema für die neue DFB-Präsidentin bzw. den neuen DFB-Präsidenten. Aber die sind ja nur mit sich selbst beschäftigt.

Wehrle: Wir müssen die neue Generation dort abholen, wo sie ist. Das ist eine große Herausforderung, denn wir sehen ja, dass die Zahl der Mädchen und Jungs sinkt, die sich in den Vereinen anmelden. Vereinskultur muss in Zukunft auch mobile Jugendarbeit mit beinhalten. Wir würden gern mit dem Fußballverband Mittelrhein eine Gesprächsreihe veranstalten. Um Thesen zu formulieren und womöglich Forderungen aufzustellen. Wir (FC, Viktoria und Fortuna, d. Red.) haben ganz unterschiedliche Blickrichtungen, weil wir in der Ersten, Dritten und Vierten Liga spielen. Dennoch eint uns eines: Ohne Basis ist auch der Profifußball nichts.

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Hanns-Jörg Westendorf, Präsident des SC Fortuna Köln

Westendorf: Wir haben eine Petition gestartet, vor der Kommunalwahl haben wir uns als Allianz des Kölner Sports engagiert. Aber es verpufft ja alles. Wir müssen ständig den Finger in die Wunde legen, auch mit den Medien. Die Politik und die Verwaltung – die schlagen dann die Zeitung auf, sind pikiert, sind beleidigt. Aber das ist dann auch schnell wieder vergessen. Daher wären derartige Diskussionsrunden eine gute Möglichkeit, die Debatten nachhaltiger zu führen.

Herr Westendorf, Sie sind an ihrem Standort in der Südstadt praktisch handlungsunfähig.

Westendorf: Absolut. Wir können nichts machen. Ich kann Geschichten erzählen, wenn da die Ämter zusammensitzen – da schlagen Sie die Hände über dem Kopf zusammen. Bei uns wird die Parkstadt Süd geplant, da sollen zigtausend Menschen hinziehen. Und ich frage mich: Wo sollen diese Menschen Sport treiben? Es ist eine Verwaltung des Mangels. Als Unternehmer würde ich das als gestreckte Fünfjahrespläne bezeichnen. Da sind viele Leute guten Willens. Aber es passiert nichts. Wenn ich mir allerdings die Besetzung des Sportausschusses in Köln ansehe, könnte man zu der Ansicht gelangen, dass andere Ausschüsse wichtiger sind.

Was macht denn eigentlich die Sportstadt Köln aus?

Rettig: Es gab ja diese Frage rund um die Hamburger Olympiabewerbung. Damals ist der Bürgerentscheid negativ ausgefallen, weil nicht transportiert worden war, was das für den einzelnen Bürger konkret bedeutet. Den Bürger interessiert doch nicht, wenn eine Arena ein bisschen aufgehübscht wird. Der will einen persönlichen Benefit – für den Schüler, für den älteren Menschen. Für jeden. Da gibt es eine grundsätzliche Ablehnung gegen den Gigantismus. Den Menschen muss klar gezeigt werden, dass Entscheidungen auch zu ihren Gunsten getroffen werden.

Wehrle: Ich fand den Ansatz für Olympia in NRW sehr gut. Das ist Zeitgeist und absolut unterstützungswürdig. Die letzten Olympiabewerbungen haben die Leute nicht mehr erreicht, weil die Menschen die Vorteile nicht gesehen haben. Das hat Michael Mronz sehr gut dargestellt.

Rettig: Schade, dass dieser gute Ansatz nicht belohnt wurde.

Westendorf: Köln ist Spielort der Fußball-EM 2024, darauf wird es sich in den kommenden Jahren reduzieren. Dann gibt es noch Eishockey und Handball in der Lanxess-Arena, das sind großartige Sportarten. Aber davon hat niemand etwas, der aktiv Sport treiben will.

Auf unterschiedlichen Niveaus brauchen Sie alle neue Stadien.

Westendorf: Uns ist angeboten worden, mit der Viktoria in ein Stadion zu gehen, das in Stammheim gebaut werden soll. Das können wir nicht machen, damit würden wir uns unserer Basis entziehen. Dann könnten wir uns direkt abmelden.

Rettig: Es ist nicht annehmbar. Wir würden ja umgekehrt auch nicht auf die andere Rheinseite gehen. Ich verstehe die Sicht der Stadt, dass ökonomisch so gedacht werden muss. Aber der Weg eines Südstadt-Klubs auf die andere Rheinseite – das ist doch ausgeschlossen. Ich glaube durchaus, dass Köln ein zweites Stadion sehr gut vertragen kann. Aber mir fehlt die Perspektive: Wenn heute ein Stadion beschlossen wird, kann darin frühestens in acht Jahren gespielt werden. Und ich habe keine Ahnung, ob die Fortuna dann in der Bundesliga spielt oder in der Kreisklasse. Dasselbe gilt für uns, daher kann ich doch jetzt keine Zeitpunktbetrachtung an den Tag legen und aus den aktuellen Bedürfnissen heraus planen. Die Sportstadt Köln kann auch im Rechtsrheinischen ein profitaugliches Stadion vertragen.

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Alexander Wehrle, Geschäftsführer des 1. FC Köln

Die Viktoria wiederum hätte, sollte sie in den kommenden Jahren tatsächlich der Aufstieg in die Zweite Liga gelingen, keine Alternative zum Rhein-Energie-Stadion in Müngersdorf.

Westendorf: Aber es gibt doch überhaupt keine Termine. Freitagabends geht wegen der Anwohner sowieso nichts mehr. Das funktioniert doch alles nicht. Darum verstehe ich grundsätzlich nicht, dass eine Millionenstadt mit einem derartigen Einzugsgebiet kein zweites Stadion hat.

Man könnte pragmatisch denken und die bestehenden Stadien anpassen und womöglich sogar ausbauen.

Westendorf: Die Ertüchtigung eines Südstadions, in dem jahrzehntelang Zweitliga- und bis vor kurzem auch noch Drittligafußball gespielt wurde, ist in unseren Augen, gerade vor dem Hintergrund veränderter Mobilitätsansprüche, nie richtig geprüft worden.

Rettig: Die Verbände haben die Hürden für die Vereine dermaßen hochgelegt, dass die Vereine riesige Probleme haben, den Anforderungen gerecht zu werden. Die Satzungen und Ordnungen sind völlig starr geblieben. Da muss ein Spiel des SC Verl gegen Viktoria Köln in Lotte stattfinden und die Heimmannschaft 80 Kilometer fahren, weil in das Stadion von Verl nur 5000 Zuschauer passen. Und dann kommen 800 Zuschauer. Oder Rasenheizungen: Wir verfeuern tausende von Litern Heizöl, um für zwei Tage im Jahr eine Betriebsbereitschaft sicherstellen zu können, an denen es in der heutigen Zeit noch Frost gibt. Wir müssen Parkplätze nachweisen, reden aber doch eigentlich über Mobilitätskonzepte und fordern die Leute auf, das Auto stehen zu lassen und mit der KVB oder dem Fahrrad zu kommen.

Die Anforderungen gehen am Bedarf vorbei.

Rettig: Zur Ehrenrettung muss ich sagen, dass sich der DFB hier zu bewegen scheint. Es ist in der Tat nicht einsichtig, wenn sie Millionen in ihre Stadien investieren lassen, um eine Kapazität von 10.000 auf 15.000 zu erhöhen, bei einem Zuschauerschnitt von 8000…

Das kann man niemandem erklären.

Wehrle: Die Anforderungen in den Statuten müssen zeitgemäß sein.

Sie würden vorschlagen, im Einzelfall zu entscheiden und lieber Höhenberg zweitligatauglich erklären zu lassen als nach den Vorgaben des Verbands zu gehen.

Rettig: Natürlich. Unser Stadion liegt doch so herrlich in der Merheimer Heide. Das hat doch Flair, das ist doch super dort. Es wäre völlig verrückt, diesen Standort aufzugeben.

Wehrle: Man sollte zunächst den Standort und die Identität als gesetzt anerkennen. Und dann überlegen, was man an dem Standort machen kann. Das geht nur im Dialog mit Kommune und Verband. Wenn das dann nicht funktioniert, muss man sich im nächsten Schritt Gedanken über ein gemeinsames Stadion machen. Aber das wäre nur der zweite Schritt. Der erste ist verpasst worden.

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