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Kommentar

WM-Kolumne „Wir schauen hin“
Und plötzlich lieben alle Béla Réthy

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Lesezeit 3 Minuten
Frankreich - Marokko, Finalrunde, Halbfinale, Al-Bait Stadion, der deutsche Sportkommentator Béla Réthy vor dem Spiel.

Der deutsche Sportkommentator Béla Réthy vor dem Spiel

Über Jahrzehnte beschimpft, plötzlich geliebt - ZDF-Kommentator Béla Réthy hatte bei seinem letzten Spiel sichtlich mit der ungewohnten Zuneigung zu kämpfen.

Es gibt neben Schiedsrichtern nur eine Berufsgruppe im Fußball, an der sich Fans mit scheinbar nie endender Leidenschaft abarbeiten: Kommentatoren. Die können es einfach nicht richtig machen. Jeder Kommentator, der es schafft zu lesen, was während eines Spiels über ihn bei Twitter verbreitet wird, ohne zum Menschenfeind zu werden, hat allein dafür schon einen Orden verdient. Bei Kommentatorinnen sieht die Sache sogar noch mal schlimmer aus.

Béla Réthy kann davon ein Lied singen. Seit gefühlt immer - ok, seit 1986 bei allen Fußball-Weltmeisterschaften, seit 1994 als Live-Reporter bei allen großen Turnieren - war er für das ZDF im Einsatz. Nach dem Halbfinale Frankreich gegen Marokko war Schluss. 

Er selbst nahm das an seinem 66. Geburtstag erfrischend unsentimental. „Ich habe versucht, alle zu unterstützen und alle irgendwie mitzunehmen. Es freut mich, wenn es gefallen hat. Und sorry an die, die ich nicht erreichen konnte. Das ist nicht immer einfach“, sagte er zum Abschied.

Bei Twitter, im Studio und von seinem Co-Kommentator Sandro Wagner brandete ihm schon während des Spiels viel Liebe entgegen. „Danke, Vorbild. Danke, Legende“, sagte etwa Wagner. Und Per Mertesacker stimmte im ZDF-WM-Studio gar „Es gibt nur ein' Béla Réthy“ an, nachdem er ihm gedankt hatte für den gemeinsamen Einsatz beim Champions-League-Finale im vergangenen Jahr: „Ich hatte ja gar keinen Plan vom Kommentieren.“

Der Gesang klang zwar ganz schön schief, aber feuchte Augen bekam der in Wien geborene gebürtige Ungar und in Brasilien aufgewachsene Journalist dann doch bei all den Sympathie-Bekundungen. Selbst als Christoph Kramer allen Ernstes verkündete „Wenn ich 'ne Frau wär, würde ich ein Kind von ihm wollen“, brach er aber immerhin nicht in Gelächter aus.

Ziemlich verlogene Lobhudelei

Nun ist das natürlich alles, auch und gerade die ganze Lobhudelei bei Twitter, ganz schön verlogen. Gefreut hat man sich aber dennoch für den Mann, den Leon Goretzka einst bei einem Interview mit großen Augen ansah und kaum auf die Frage antworten konnte, weil ihn die Stimme in seine Kindheit und vor den Fernseher bei wichtigen Spielen zurückversetzt hatte. 

So ging es vermutlich vielen, die Spiele anschauten, die er kommentierte. Was Merkel in der Politik über viele Jahre war, war Réthy für deutsche Fußballfans. Eine Konstante. Erklang seine Stimme, wusste man, jetzt wird es wichtig. Vieles weiß man eben erst dann zu schätzen, wenn man es verloren hat. 

Große Leidenschaft war nicht zu spüren

Das Spiel selbst verlief im Vergleich zu diesem Abschied eher unspektakulär. Marokko spielte gut, kam nach dem frühen Tor der Franzosen auch zu Chancen, aber so richtig glaubte man nicht an die große Überraschung. Die blieb ja dann auch aus. Réthy und Wagner kommentierten eher zurückhaltend. Die große Leidenschaft war da nicht zu spüren.

Die schien eher Christoph Kramer im Studio gepackt zu haben, als er sich mit Per Mertesacker darüber stritt, ob die Franzosen es denn nun mehr gewollt hatten als die Marokkaner oder ob ihnen einfach das Spielglück hold war: „Wir müssen endlich davon abkommen zu sagen, dass der, der gewonnen hat, mehr wollte.“

Martina Voss-Tecklenburg und Jochen Breyer wirkten neben den beiden fast schon wie nachsichtige Lehrer, die mal schauen, wer denn am Ende die besseren Argumente hat. Doch auch dieser kleine Disput endete friedlich und passte so in einen Abend, der ganz im Zeichen des Abschieds von Béla Réthy stand.