Bayer 04Lucas Alario ist das Gesicht der neuen Leverkusener Unbeugsamkeit

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Lucas Alario bejubelt sein zweites Tor in Freiburg.

Leverkusen – Im nahezu menschenleeren Dreisam-Stadion hat sich am Sonntagnachmittag eine Szene mit Seltenheitswert ereignet. Das Spiel zwischen dem SC Freiburg und Bayer 04 Leverkusen war keine zehn Minuten alt, da stand der Trainer Peter Bosz an der Seitenlinie und und schimpfte gestikulierend mit seiner Mannschaft. Dieses Auftreten passt grundsätzlich nicht zur analytischen Berufsauffassung des Niederländers, der Emotionalität während einer Partie lieber seinen Spielern überlässt.

Hinterher verriet er, was ihn so außer Fassung gebrach hatte: „Normalerweise biegst du dieses Spiel nicht mehr um.“ Seine Mannschaft, gegenüber der Unterzahl-Niederlage in Prag in der Startformation auf sieben Positionen verändert, hatte gegen kompakte, aggressive, laufstarke Freiburger alles falsch gemacht, war früh 0:1 in Rückstand geraten und wäre, wie drei Tage zuvor in Prag, fast durch eine Rote Karte dezimiert worden. Doch anders als in der Europa-League-Gruppenphase gibt es in der Bundesliga den Videobeweis, und der bewog Schiedsrichter Benjamin Cortus in der 22. Minute, den gegen Lars Bender ausgesprochenen Feldverweis zurückzunehmen. Kollege Edmond Tapsoba war nahe genug, damit das Foul des Bayer-Routiniers am Freiburger Lukas Höler nicht als Notbremse gewertet werden konnte.

„Das war für mich die entscheidende Szene“, sagte Sportdirektor Simon Rolfes am Tag danach, „für mich war das wie der Neubeginn des Spiels.“ Obwohl längst nicht alles gut war nach dieser 22. Minute zeigte die Werkself ohne ihre abgewanderten Stars (Kai Havertz, Kevin Volland), ohne die neu verpflichteten, aber verletzten Spieler (Patrik Schick, Santiago Arias) und ohne ihren vermeintlich unverzichtbaren Kapitän Charles Aranguiz (Achillessehnenbeschwerden) beim dritten Spiel in sieben Tagen eine Form der Unbeugsamkeit, die inzwischen typisch geworden ist. Weil der Hochglanz-Angriffsfußball im Terminstrudel unrealistisch geworden ist, zeigt der für ganz große Aufgabe vermeintlich zu leichte Bayer-Kader ein vorbildliches Arbeitsethos und hochgradige Effizienz in der Chancenverwertung.

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Das Gesicht dieser Tugenden ist der Argentinier Lucas Alario, der seine Torquote mit nüchterner Präzision und vorbildlichem Einsatz nach oben schraubt. In Freiburg nutzte er den ersten Fehler der Gastgeber zum 1:1 (29. Minute) und den zweiten zum 2:1 (42.). Damit war aus dem Spiel, das erschreckend begonnen hatte, ein ganz anderes geworden. Am Ende stand ein 4:2-Sieg, mit dem sich Bayer 04 auf dem vierten Tabellenplatz festsetzte. Bosz kommentierte den zweiten Liga-Doppelpack des Argentiniers in Folge so: „Das ist beeindruckend. Wahrscheinlich wird er das nicht jedes Spiel schaffen, weil er dann 68 Tore schießen würde. Aber er ist im Moment gut drauf, das ist wichtig für die Mannschaft.“ Zahlen belegen auch das. Alario hat 50 Prozent der zehn Bayer-Tore in der Liga alleine erzielt.

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Bayer-Trainer Peter Bosz in Freiburg

Aber ohne den Einsatz der anderen hätte das nicht gereicht, um wieder in der Spitzengruppe aufzutauchen. „Die Mannschaft ist in den letzten Wochen sehr eng zusammengerückt“, sagt Simon Rolfes. Grund für diesen neuen Zusammenhalt könnte der unglückliche Verlauf der letzten Transferperiode gewesen sein, in der Bayer 04 gern mehr als nur zwei Spieler verpflichtet hätte und für gescheiterten Last-Minute-Transfers kritisiert wurde. Bei den Spielern, die das als Misstrauensvotum an ihren Fähigkeiten hätten verstehen können, hat das offenbar den Kampfgeist geweckt. Vermeintliche sportliche Mitläufer wie Julian Baumgartlinger sind zu Leistungsträgern geworden, Unterperformer wie Nadiem Amiri, der die Hoffnungen in seinem ersten Jahr die Hoffnungen nicht erfüllt hatte, schießen plötzlich entscheidende Tore. Und ein vom Reservistenschicksal leicht gefrusteter Nationalspieler wie Jonathan Tah („Ist doch klar, dass ich lieber in jedem Spiel spiele“) entscheidet das Spiel mit dem 4:2.

So hat sich Bayer 04 aus drei Unentschieden zu Saisonbeginn seinen besten Bundesliga-Start mehr als zehn Jahren gebastelt und ist mit den Remis-Königen aus Wolfsburg nach sechs Spieltagen die einzig noch ungeschlagene Mannschaft. Lange Zeit, darüber nachzudenken, haben die Leverkusener nicht. Am Donnerstag spielen sie bereits im Süden Israels auf halbem Weg zwischen dem Gazastreifen und dem Toten Meer in der Europa League bei Hapoel Beer Sheva. Drei Tage später empfangen sie in Leverkusen den Bundesliga-Rivalen Borussia Mönchengladbach. „Wir werden wohl wieder ein wenig rotieren müssen“, sagt Sportdirektor Rolfes, „aber das geht, unser Kader ist gut drauf.“  

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