Jetzt ist auch noch Granit Xhaka weg. Bei Bayer 04 Leverkusen führt die Transferbilanz in Bezug auf Erfahrung zu Bedenken.
Brutaler ErfahrungsverlustBayer 04 tauscht 754 gegen 6 Bundesligaspiele

Spielt nicht mehr im Bayer-Trikot: Granit Xhaka
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Zwei Absätze umfasst die Pressemitteilung von Bayer 04 zum Wechsel von Granit Xhaka zum AFC Sunderland. Knapper geht es kaum. Es ist ein Zeichen dafür, dass dieser Transfer – im Gegensatz zum Wechsel von Florian Wirtz zum FC Liverpool – einen faden Beigeschmack hinterlässt.
Xhaka wollte weg und machte das sowohl intern als auch öffentlich – über seinen Berater – deutlich. Nun wurde seinem Wunsch entsprochen. Ein Verbleib wäre zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht mehr vermittelbar gewesen. Für Leverkusen ist es der nächste Führungsspieler aus der Meistermannschaft 2023/24, der wegbricht. Und nicht nur das. Bayer 04 gibt in diesem Transfersommer eine erhebliche Menge an Erfahrung ab. Diesen Verlust zu kompensieren, wird eine Mammutaufgabe.
„Granit Xhaka war nach seiner Verpflichtung vor zwei Jahren ein prägender Spieler jener Leverkusener Mannschaft, die 2024 das Double aus Deutscher Meisterschaft und DFB-Pokal gewinnen konnte“, ließ Simon Rolfes mitteilen. „Seinem akuten Wechselwunsch zu entsprechen, ist unter den ausgehandelten Bedingungen und Umständen zielführend für Bayer 04 und für alle Beteiligten die beste Lösung. Wir wünschen Granit für den weiteren Verlauf seiner Karriere alles Gute.“ Von Xhaka ist kein Zitat in der Mitteilung zu finden.
Ragip Xhaka forcierte Wechsel
Besonders der Verweis auf die beste Lösung für alle Seiten spricht Bände. Der Sportgeschäftsführer und der neue Trainer Erik ten Hag hatten es nicht geschafft, den 32-Jährigen von seiner Bedeutung für die Bewältigung des XL-Umbruchs in diesem Sommer zu überzeugen. Granit und vor allem sein Vater Ragip Xhaka hatten daraufhin in den vergangenen Wochen keine Gelegenheit ausgelassen, um öffentlichkeitswirksam einen neuen Arbeitsplatz für den Schweizer Rekordnationalspieler zu suchen.
Der Traum vom Abkassieren in Saudi-Arabien bei Aufsteiger Neom SC platzte. Nun heißt es für Xhaka: Abstiegskampf in der Premier League statt Champions League mit Bayer 04. Er verdient in der Industriestadt im Norden Englands zwar mehr als bei Bayer, sportlich ist der Wechsel allerdings nur schwer nachvollziehbar. Bayer hatte Xhaka 2023 für rund 15 Millionen vom FC Arsenal geholt, kassiert nun eine ähnliche Fixsumme, die durch Bonuszahlungen noch auf 20 Millionen Euro ansteigen kann. Mit Xhaka verliert Bayer 04 den nächsten Führungsspieler.
Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Bayer 04 gibt enorm viel Erfahrung ab – besonders in Bezug auf die Bundesliga, aber auch auf die Champions League. Insgesamt 754 Spiele Bundesligaerfahrung hat Bayer 04 in Jonathan Tah (307), Granit Xhaka (174), Florian Wirtz (140) und Jeremie Frimpong (133) in diesem Sommer bisher abgegeben. Im Gegensatz dazu hat die Werkself nur sechs Spiele Bundesligaerfahrung dazugeholt: Malik Tillmann (4) und Ibrahim Maza (2). Auch bei den Champions-League-Einsätzen steht es 88 zu 25 für die Abgänge.
Tillman, der die Rückennummer 10 von Wirtz übernehmen wird, hat für Eindhoven und die Glasgow Rangers zusätzliche 82 Erstligaeinsätze vorzuweisen. Weder die niederländische noch die schottische Spielklasse gehört allerdings zu den europäischen Top-5-Ligen. Jarell Quansah stand für Liverpool immerhin 30 Mal in der Premier League auf dem Rasen. Geht Lukas Hradecky, der heftig von der AS Monaco umworben wird, auch noch, verliert die Werkself zusätzliche 323 Spiele Bundesliga- und 16 Partien Champions-League-Erfahrung. Zugang Mark Flekken spielte 80 Mal in der Bundesliga und 74 Mal in der Premier League, allerdings noch nie in der Königsklasse. Es ist ein bemerkenswerter Aderlass für einen Verein, der sich auf die Fahne geschrieben hat, ein Top-16-Klub in Europa bleiben zu wollen.
Fünf Zugänge unter 20 Jahren
Bisher wurden in diesem Transferfenster vor allem vielversprechende Talente verpflichtet: Axel Tape (17), Issa Traore (18), Christian Kofane (18), Farid Alfa-Ruprecht (19), Maza (19), Abdoulaye Faye (20), Tim Oermann (21). Quansah (22) und Tillman (23) sollen hingegen, ebenso wie Flekken (32) sofort helfen. Mehr als 200 Millionen Euro hat Leverkusen bisher eingenommen, allerdings davon auch schon mehr als 100 wieder ausgegeben. Viele große Transfers sind somit nicht mehr zu erwarten. „Wir versuchen grundsätzlich, eine ausgewogene Mischung zu haben“, sagt Rolfes. „Es war notwendig, jüngeres Blut hineinzubringen. Das heißt aber nicht, dass wir bis zum Ende der Transferperiode nur junge Spieler verpflichten werden. Wir gucken schon, dass wir eine gute Balance im Kader haben, aber eben trotzdem auch wieder ein bisschen Luft und Potenzial nach vorne.“
Heißt: Bei den nächsten Zugängen dürfte die Komponente Erfahrung im Vordergrund stehen. Neben einem Rechtsverteidiger könnte sowohl ein erfahrener Abwehrchef als auch ein erfahrener Sechser das Team bereichern. Trainer Erik ten Hag, der sich noch in der vergangenen Woche vehement für einen Verbleib von Xhaka ausgesprochen hatte, formulierte seine Äußerungen zu den Zielen von Bayer 04 zuletzt etwas defensiver. Bei seiner Vorstellung als Nachfolger von Meistermacher Xabi Alonso hatte er noch – zusammen mit Rolfes – Titelansprüche formuliert. Aufgrund der aktuellen Kaderzusammenstellung ist der Niederländer, der mit Ajax Amsterdam und Manchester United Trophäen gewann, zurückhaltender geworden.
„Schwer zu sagen. Ich weiß noch nicht, wie stark die Konkurrenz ist. Ich weiß auch noch nicht, wie stark wir sind. Es ist zu früh. Wir müssen schauen, wie es die nächsten Wochen und Monate anläuft, dann wird man ausführlicher darüber sprechen können“, sagte ten Hag im Trainingslager in Rio de Janeiro, angesprochen auf Titelchancen in der kommenden Saison, zu dieser Zeitung. Und da wusste er nicht mal, dass auch Xhaka und womöglich Hradecky den Klub noch verlassen werden.