Bayer-PokalpleiteWarum Fußball-Stars nicht mehr bestraft werden können

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Die Bayer-Profis nach der Niederlage

Leverkusen – In den glorreichen Zeiten des traditionellen Profi-Fußballs hätte ein Versagen wie das der Leverkusener am Samstag in Elversberg eine Sanktionskette in Gang gesetzt. Am Tag danach wären die Spieler frühmorgens zum Straftraining erschienen, hätten Strafrunden gedreht, wären mit Strafandrohungen im Fall der Wiederholung des Versagens konfrontiert worden. Außerdem wären alle freien Tage gestrichen worden. Und alle hätten bis zum nächsten Sieg mit schuldbewusst-grimmiger Miene durch die Gegend laufen müssen.

In der Neuzeit des Fußballs sieht das ein wenig anders aus. Am Tag nach der schockierenden 3:4-Niederlage beim Drittligisten Elversberg, durch die sich das Saisonziel DFB-Pokal in Luft auflöste, gab es eine ernste Aussprache, einen schuldbewussten, aber schon wieder leicht optimistischen Auftritt vor milde gestimmten Fans bei der Saisoneröffnung. Und am Montag hatten alle frei. Damit sich alle gemeinsam ausgeruht auf das Top-Spiel des ersten Bundesliga-Spieltages am Samstagabend in Dortmund (Spielbeginn 18.30 Uhr) vorbereiten konnten.

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Michael Reschke kennt die guten alten Zeiten bei Bayer Leverkusen. Er hat von 1979 bis 2014 in den verschiedensten Funktionen für den Werksklub gearbeitet, ab 2004 an entscheidender Stelle als Kaderplaner und Manager im operativen Geschäft. Auch in seiner Zeit sind regelmäßig Blamagen passiert, so das Erstrunden-Aus im DFB-Pokal 2011 bei Dynamo Dresden unter Robin Dutt, von dem sich der 2012 entlassene Trainer nicht mehr erholte. Reschke erklärt im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass sich der öffentliche Umgang zwischen Klubs und Profis im Laufe der Jahrzehnte grundlegend verändert hat.

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„Heute ist die Herangehensweise ganz anders als früher. Das Prinzip Draufhauen funktioniert nicht mehr. Das wäre unzeitgemäß. Und es muss früher auch gar nicht richtig gewesen sein“, sagt der gebürtige Frechener, der nach seiner Leverkusener Zeit Kaderplaner beim FC Bayern München (2014 – 2017), Sportvorstand beim VfB Stuttgart (2017 – 2019) und Technischer Direktor beim FC Schalke 04 (2019/2020) war. Inzwischen ist Reschke „Head of European Football“ bei ICM Stellarsports, der größten Spielerberatungsagentur der Welt. Der 64-Jährige erklärt, dass die Außendarstellung vom strengen Klub, der seine Spieler nach Versagen hart sanktioniert, schon früher nicht ganz den Tatsachen entsprochen habe. „Ich erinnere an unsere große Zeit in Leverkusen, als wir 2002 das Champions-League-Finale erreicht haben. Da hießen die Stars Ballack, Lucio, Nowotny. Und mit denen ist man nach Niederlagen auch nicht Schlitten fahren gegangen. Da musste der Umgang auch immer respektvoll sein“, sagt Reschke. „Es war in vielen Bereichen so, dass nach außen immer Härte gezeigt werden musste, auch wenn das der internen Wahrheit nicht ganz entsprach.“

Bayer 04 Leverkusen teilt sich nicht mehr in Stars und Mitläufer

Anders als früher ist auch, dass sich ein Gebilde wie Bayer 04 nicht mehr in Stars und Mitläufer aufteilt. Jeder einzelne Profi im Kader des Werksklubs, dessen Wert auf mehr als 450 Millionen Euro taxiert wird, stellt eine beträchtliche Investition und ein großes Klubvermögen dar. Dass aktuelle und kommende europäische Top-Spieler wie Patrik Schick und Florian Wirtz ihre Verträge ohne Klauseln vorzeitig bis 2017 verlängern, ist für Bayer 04 von kaum schätzbarem Wert. Ebenso, dass Moussa Diaby trotz weit höher dotierter Angebote seine Treue erklärt hat. Und selbst Profis wie Piero Hincapié, Odilon Kossounou und Jeremie Frimpong sind stets im Fokus der reichen Klubs.

Es wäre für Klubchef Fernando Carro, Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes und Chef-Trainer Gerardo Seoane, sofern sie es wollten, kaum möglich, Spieler für einen Auftritt wie in Elversberg abzustrafen, der an kollektive Leistungsverweigerung grenzte. Vielmehr hat sich Gerardo Seoane zurecht in die General-Kritik eingeschlossen, als er sagte: „Die Mannschaft war physisch und mental nicht auf der Höhe.“ Denn es war die Aufgabe seines Trainerteams, sie im gefährlichsten Spiel der Saison, der ersten Runde des DFB-Pokals, auf diese Höhe zu bringen.

„Wir haben eine Woche, um die richtigen Schlüsse zu ziehen und zum Bundesliga-Start in Dortmund ganz anders aufzutreten“, versprach Geschäftsführer Simon Rolfes. Es wird viele Gespräche geben, Umstellungen in der Startaufstellung, vermutlich auch die eine oder andere inhaltlich so nicht geplante Trainingseinheit. Und dann eröffnen sich am Samstagabend zwei Möglichkeiten. Entweder die Mannschaft präsentiert sich noch einmal so wie in Elversberg und wird in Dortmund vom Platz geschossen. Dann haben alle zusammen ein riesengroßes Problem. Oder sie präsentiert sich unabhängig vom Ergebnis wettbewerbsfähig als Top-Team der Bundesliga. Dann wäre der Beweis dafür angetreten, dass man den DFB-Pokal für diese Saison in Elversberg einfach weggeworfen hat.

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