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Christian Ziege über die WM 1998„Viele Spieler waren unzufrieden“

Lesezeit 6 Minuten

Christian Ziege während der WM 1998

Wir treffen Christian Ziege auf einem Sportplatz in Hennef. Warum er als Trainer von Unterhaching nicht in Bayern sondern im Rhein-Sieg-Kreis weilt? Weil er Schirmherr einer Studie ist, in der der Spielehersteller EA Sports überprüft, wie sich die Videospiel-Reihe „Fifa“ auf die Spielweise junger Fußballer auf dem Rasen auswirkt.

Wir fragen den früheren Nationalspieler, ob er mit uns über die Fußball-Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich sprechen würde. „98?“, fragt er. „Eine Scheiß-WM!“

Herr Ziege, was fällt Ihnen auf Anhieb ein, wenn Sie an das Turnier in Frankreich denken?

Christian Ziege: Sonne, Strand, Nizza (lacht). Ich persönlich habe nicht viele positive Erinnerungen an das Turnier. Kurz zuvor bin ich krank geworden und lag drei Tage in der Dunkelkammer in Isolation, mit riesigen Kopfschmerzen, das volle Programm. Das war sieben Tage vor unserem ersten Spiel, in dem ich deshalb dann auch nicht von Beginn an gespielt habe. Darüber war ich natürlich nicht glücklich, zumal andere für mich entschieden hatten und ich mich am Spieltag wieder gut genug gefühlt habe.

Trotz des 2:0-Auftaktsieges gegen die USA durften Sie im zweiten Spiel gegen Jugoslawien dann ja doch in der Startelf ran.

Christian Ziege ist ein ehemaliger Fußballspieler und heutiger Trainer. Als Spieler war er für den FC Bayern München, AC Mailand, FC Middlesbrough, FC Liverpool, Tottenham Hotspur und Borussia Mönchengladbach aktiv. Für die deutsche Nationalelf bestritt Ziege 72 Länderspiele (9 Tore). 1996 wurde er Europameister.

Ziege wurde zudem sowohl deutscher (1994, 1997) als auch italienischer (1999) Meister, zudem FA-Cup- und Uefa-Pokal-Sieger. Als Trainer war er unter anderem in Bielefeld und bei der U-18-Auswahl des DFB aktiv. Seit März 2014 trainiert er den Drittligisten Unterhaching. (sag)

Ziege: Genau, das habe ich ehrlich gesagt aber auch nicht verstanden, weil die Mannschaft, die gegen die USA begonnen hat, nun mal gewonnen hat. Nach einem guten Auftakt gibt es ja eigentlich kaum Gründe, etwas zu ändern. Ich bin jedenfalls trotzdem in die erste Elf gekommen – und dann lief es mal so gar nicht. Wir lagen zur Halbzeit 0:2 hinten – und schon war ich wieder raus. Wir haben dann noch 2:2 gespielt, für mich war das Turnier dann quasi gegessen. Hat schlecht angefangen und hat schlecht aufgehört.

Nicht nur für Sie…

Ziege: Das stimmt. Wir hatten schon im dritten Vorrundenspiel gegen den Iran wahnsinnige Probleme, haben dann gerade so mit 2:0 gewonnen. Gut gespielt haben wir aber nicht, und uns bis zum Viertelfinal-Spiel gegen Kroatien mehr durchgemogelt als durchgespielt.

Trotzdem gilt die Rote Karte gegen Christian Wörns im Spiel gegen die Kroatien als die Schlüsselszene des Turniers…

Ziege: Ich sehe das anders. Ein Gegenbeispiel zu 1998 ist die EM 1996, da waren wir eine große Einheit, eine Riesentruppe – auch die, die nicht gespielt haben. 1998 war das absolut nicht so. Da fehlte viel von dem 96er-Spirit. Das ist natürlich ein Faktor, der sich auswirkt. Sehr viele Spieler waren unzufrieden. Und so ist es dann schwierig, ein Turnier positiv zu beenden.

Hatte das nur mit der Zusammenstellung des Kaders zu tun oder auch damit, dass sich die Mannschaft nach dem Titelgewinn 1996 nicht mehr voll motivieren konnte?

Ziege: Es waren einfach viele Spieler da, die einen gewissen Anspruch hatten, und dann nicht gespielt haben. Einige hielten mit ihrer Meinung eben nicht hinter dem Berg, es herrschte viel Unruhe. Das wirkt sich natürlich auf alle aus.

Es gab ja sogar eine Aussprache.

Ziege: Ich kann mich daran erinnern. Diese Aussprache gab es – das muss ich aus meiner Sicht so sagen – zurecht. Es ging darum, dass wir uns manchmal mit Dingen beschäftigt haben, die außerhalb des Fußballplatzes lagen, wie zum Beispiel den halben Tag bei Frauen und Kindern zu verbringen. Da hat Berti Vogts natürlich mit Recht gesagt: Der Fokus liegt irgendwie falsch. Es gab dann die Aussprache, aber ich bleibe dabei: Unser schlechtes Abschneiden lag daran, dass viel zu viele Spieler dabei waren, die unzufrieden waren, aber eben auch einen gewissen Status im Team hatten.

Wer war das?

Ziege: Lothar Matthäus, Thomas Helmer, Markus Babbel, Steffen Freund und auch meine Person. Es waren also einige Spieler von 1990 und 1996 dabei, die Ansprüche hatten und nicht gespielt haben. Da gab es dann Unruhe.

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Heute wird in diesem Zusammenhang viel über flache Hierarchie gesprochen – mit einem Spieler wie Lothar Matthäus im Team war so etwas ohnehin undenkbar, oder?

Ziege: Das soll nicht falsch verstanden werden, aber: 1996 war Lothar Matthäus nicht dabei, Jürgen Klinsmann schon. 1998 waren dann wieder Beide dabei.

Das schlechte Verhältnis der Beiden ist bekannt.

Ziege: Genau. Und beide hatten – natürlich auch zurecht – gewisse Führungsansprüche. Aber noch einmal: Es lag nicht bloß an den Beiden. Es war ein Gesamtproblem.

Es ist also nicht allzu gewagt, diese These aufzustellen: Auch wenn Christian Wörns gegen Kroatien nicht vom Platz geflogen wäre, hätte es nicht für den Titel gereicht.

Ziege: Dann hätten wir uns alle direkt drei Tage in die Kirche einsperren und dem lieben Gott hundert Mal danken müssen, dass wir es irgendwie geschafft haben.

Vor allem nach der EM 2000 gab es Berichte über Saufgelage unter Spielern. Gab es ähnliche, sagen wir: Veranstaltungen auch 1998?

Ziege: Ach, Quatsch! Bei der EM in Holland und Belgien sind wir in der Vorrunde ausgeschieden – meiner Meinung nach konnte man das wegen der furchtbaren Stimmung im Team übrigens schon weit vorher absehen. Und dann saßen wir am Abend nach dem letzten Spiel zusammen und haben auch etwas getrunken und da lagen viele Journalisten auf der Lauer. Aber ein Saufgelage? Das finde ich übertrieben.

Heutzutage ist so etwas ohnehin undenkbar, ohne dass prompt Bilder bei Facebook und Twitter kursieren. Davon abgesehen: Wie schätzen Sie die Chancen der deutschen Mannschaft beim Turnier in Brasilien ein?

Ziege: Beim Blick auf das Personal, die Entwicklung der Spieler und die Qualifikation ist klar: Wir haben eine der besten Mannschaften und dementsprechend den Anspruch, den Titel gewinnen zu wollen. Ob das gelingt, hängt von vielen Faktoren ab.

Wen sehen Sie als Schlüsselspieler?

Ziege: Eine gewisse Achse muss da sein. Manuel Neuer, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose – wenn die spielen, dann hat man wichtige Spieler auf dem Platz stehen, die die Führungsrolle übernehmen. Vielleicht nicht so, wie andere das zu meiner aktiven Zeit getan haben, aber für mich sind das die wichtigsten Leute. Und dazu braucht man eben ein funktionierendes Gebilde, das hat die Vergangenheit ja deutlich gezeigt.

Das Gespräch führte Philip Sagioglou