Dirk Lottner über Köln, FC und Podolski„Fortuna hat sich wirklich ins Zeug gelegt“

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Dirk Lottner 

  • Dirk Lottner als Trainer bei Fortuna Köln - es wäre das Traumszenario vieler Fortuna-Fans gewesen. Doch die Vertragsverhandlungen scheiterten, Lottner sagte ab.
  • Im großen Interview spricht er über die Hintergründe seiner Entscheidung, die ihm alles andere als leicht gefallen ist.
  • Außerdem erzählt er, warum es für einen Trainerjob beim 1. FC Köln schon „sehr viel Mut und Überzeugung“ bräuchte - und wie die nächsten Schritte in seiner Karriere aussehen.
  • Seinen Weggefährten Lukas Podolski traut er dagegen schon deutlich schneller eine Aufgabe beim FC zu.

Herr Lottner, hat Ihr Ex-Klub 1. FC Saarbrücken ohne die Unterstützung der Fans gegen ein Spitzenteam wie Bayer 04 Leverkusen überhaupt den Hauch einer Chance?

Dirk Lottner: Die Ausgangssituation ist so noch schwieriger geworden, als sie es ohnehin schon war. Leverkusen stellt noch einmal eine andere Kategorie dar als die Klubs, die Saarbrücken bis dahin ausgeschaltet hat. Fußballerisch hat Bayer eine ganz andere Qualität. Die Gesamtsituation ist zudem extrem bescheiden: Leverkusen hat bis zum Halbfinale schon fünf Pflichtspiele absolviert, Saarbrücken hat drei Monate lang gar keine Wettkampfpraxis gehabt. Die Faktoren, die in normalen Zeiten vielleicht mal für eine Sensation reichen könnten, sind jetzt nicht mehr vorhanden. Deshalb habe ich da wenig Hoffnung für die Saarbrücker, dass sie das nächste Highlight schaffen – so sehr ich mir das auch wünsche. Ich glaube einfach nicht daran, es wäre ein zu großes Fußballwunder. Da müsste Leverkusen schon sehr viel falsch machen, um nicht ins Finale zu gelangen.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen durch die Entlassung dieses Halbfinale genommen wurde?

Alles zum Thema Lukas Podolski

Ich habe jetzt viel Zeit gehabt und für mich entschieden: Es nützt nichts, wenn du dein persönliches Ego damit befriedigst und der Sache nachtrauerst oder irgendwelchen Groll hegst. Ich denke nicht: An der Seitenlinie hättest du am Dienstag auch stehen können. Das bringt nichts mehr. Ich weiß ganz genau, welchen Anteil ich am Erfolg des Klubs habe. Gerade der Abbruch der Regionalliga Südwest gibt dem Ganzen noch einmal eine höhere Wertigkeit und zeigt, was wir als Team geleistet haben. Ich stand in 19 von 23 Spielen an der Seitenlinie, da hat man dann den Hauptanteil am Aufstieg. Im DFB-Pokal ist es ähnlich, da sind wir erst monatelang um die Dörfer gezogen, um uns überhaupt für die Hauptrunde zu qualifizieren.

Also ist das Thema abgehakt?

Ich kann es nicht ganz abhaken, da ich bis zum 30. Juni auf dem Lohnzettel stehe und noch keine neue Aufgabe habe. Die dreieinhalb Jahre in Saarbrücken kann und will ich auch gar nicht einfach vergessen. Es war eine tolle Zeit, in der wir auch viele neue Freunde kennengelernt haben.

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Dirk Lottner an der Seitenlinie des FC Saarbrücken. Hier war er bis Dezember Trainer, offiziell läuft sein Vertrag Ende Juni aus.

Von außen war Ihre Freistellung schwer nachvollziehbar.

Nach dem feststehenden Aufstieg hat mir Sportdirektor Marcus Mann geschrieben, dass wir uns nach dem Pokalspiel nochmal treffen wollen. Und dann erhoffe ich mir schon klare Aussagen. Ich mag es gerne offen, direkt und ehrlich, und das Gefühl hatte ich bei der Freistellung nicht. Mit Ehrlichkeit kann ich besser leben als mit Unwissenheit. Ich will genau wissen, was der ausschlaggebende Punkt war, das ist für meine Zukunft als Trainer auch nicht unwichtig. Ich bin ein Typ, der vieles reflektiert und dann besser machen will.

Für den Aufstieg und die Pokalerfolge erhalten Sie doch sicherlich noch Prämien.

Ich werde total reich (lacht). Normalerweise rede ich nicht über vertragliche Inhalte, aber hier muss ich etwas klarstellen: Seit meiner Freistellung partizipiere ich nicht mehr am Erfolg im Pokal. Da könnte Saarbrücken auch das Wunder schaffen, ins Finale kommen und sich für den Europapokal qualifizieren: Das ist völlig uninteressant für mein Girokonto. Die Erfolgsprämie für den Aufstieg war natürlich vertraglich geregelt.

Sie sprachen es gerade an: Sie sind derzeit ohne Job. Sie hatten jüngst Gespräche mit Ihrem Heimatklub Fortuna Köln, die Fans wollten Sie unbedingt als neuen Trainer: Warum ist daraus nichts geworden?

Fortuna hat sich wirklich ins Zeug gelegt, hat alles getan und sich gestreckt. Am Ende des Tages hätte ich bei vielen Dingen einfach zu viele Kompromisse schließen müssen. Unabhängig vom Geld, hätte ich ein Aufgabengebiet gehabt, bei dem die Gefahr bestanden hätte, das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. Und das Wesentliche ist die Arbeit mit der Mannschaft. Zudem bin ich in einer Situation – und das soll nicht überheblich klingen – in der ich den nächsten Schritt gehen will. Und das sollte die Aufgabe bei einer höherklassigen Mannschaft sein. Der Zeitpunkt war einfach nicht der richtige. Es wäre natürlich der einfache, emotionale Weg gewesen. Ich kenne bei Fortuna so viele Leute. Viele haben mir gesagt: Mach‘ das. Ich kann die Enttäuschung einiger Leute jetzt nachvollziehen. Und das ist ja einer der Aspekte, die mir die Entscheidung auch so schwer gemacht haben. Ich war selbst hin- und hergerissen. Aber ich denke, dass meine Entscheidung am Ende auch viele nachvollziehen können. Es ging nicht darum, zur Fortuna zurückzukehren, nur damit ich mich wohl fühle, mein Geld verdiene und in sieben Minuten zu Hause bin.

Welche Zukunft hat Fortuna?

Fortuna hat nach dem brutalen Umbruch in der vergangenen Saison jetzt zumindest ein Gerüst von 13, 14 Spielern. Nun geht es darum, mit den Möglichkeiten des Klubs die Mannschaft gezielt zu verstärken. Ich glaube schon, dass Fortuna auch eine gute Chance hat: Durch Corona wird sich vieles verändern, es werden in der Regionalliga und 3. Liga keine derart hohen Gehälter mehr bezahlt werden können. Dazu war der Verein sowieso nicht in der Lage. Aber die Fortuna ist ein bodenständiger, familiärer Verein, der einen ordentlichen Sponsorenpool hat und in dieser Zeit auch durch seine Eigenheiten wieder neue Leute in den Bann ziehen kann.

Und der in Zukunft auch wieder die 3. Liga anpeilen sollte?

Ich denke, es ist falsch, das als kurzfristiges Ziel auszugeben. Ich weiß selbst, wie schwierig es ist, in der Regionalliga den Aufstieg zu schaffen. Der ist kaum planbar, da gehört auch Glück dazu.

Bei Fortuna kommen weiterhin wenige Zuschauer, auch Viktoria Köln eine Liga höher ist kein Publikumsmagnet. Ist in einer 1,1 Millionen-Einwohner-Stadt neben dem 1. FC Köln wirklich kein Platz mehr?

Das darf eigentlich nicht sein und ist ein Armutszeugnis. In anderen Großstädten geht das doch auch. Es muss doch möglich sein, dass zumindest einer der Klubs einen Stamm von 5000, 6000 Zuschauern hat. Das verstehe ich nicht und werde es wohl nie verstehen. Man weiß: Gerade Fortuna ist ein Sympathieträger. Das Problem ist: Fast keiner geht hin. Das ist traurig.

Die Stadien der Klubs sind auch nicht mehr zeitgemäß. Der Bau eines neuen Stadions für beide Klubs…

…ist leider auch wegen ihrer Rivalität kaum umzusetzen. Aber man darf das Thema trotzdem nicht außer Acht lassen. Beide Vereine würden davon profitieren.

Ist Viktoria für Sie ein rotes Tuch?

Nein, ich bin Kölner durch und durch. Ich bin schon als Kind zum FC, zu Fortuna, zu den Haien und zu den Crocodiles gegangen. Mich hat immer der Kölner Sport fasziniert, ich bin da Köln-Patriot. Deshalb verstehe ich es auch nicht, dass es viele Leute offenbar nicht wollen, dass es in Köln noch andere Vereine neben dem FC gibt.

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Mai 2004: Dirk Lottner verabschiedet sich nach seinem letzten Spiel für den 1. FC Köln, einem 4:0-Sieg gegen Hansa Rostock, von den Fans. 

Wie ist aktuell Ihr Verhältnis zu Ihrem langjährigen Verein?

Ich habe im Moment keinen Kontakt zum FC.

Bleibt es Ihr Traum, die erste Mannschaft des FC zu trainieren?

Natürlich wünscht man sich als waschechter Kölner, irgendwann mal Trainer dort zu sein. Aber ich bin da realistisch genug: Der 1. FC Köln als Bundesligist wird nicht einen Dirk Lottner verpflichten, der als Trainer auf diesem Niveau noch keine Nachweise erbracht hat. Das würde schon sehr viel Mut und Überzeugung erfordern. Zutrauen würde ich mir die Aufgabe. Es ist aber auch nicht so, dass ich sage: Es gibt für mich nichts außer dem 1. FC Köln.

Was wäre für Sie der nächste Schritt?

Der bezahlte Fußball. Dritte Liga, im Idealfall Zweite Liga. Corona kam da natürlich auch für mich zur Unzeit. Es reizt mich, zu einem Verein zu kommen, bei dem gleich im Team und mit Leidenschaft angepackt wird. Wie damals in Saarbrücken. Und da spielt es für mich keine Rolle mehr, wo dieser Verein beheimatet ist. Es wurde geschrieben, den ,kölschen Jung‘ Dirk Lottner gibt es nicht mehr. Doch, den gibt es weiter, den wird es immer geben, aber der ist heute offen für vieles.

Sie werden seit kurzem vom bekannten Sportrechte-Anwalt Markus Buchberger beraten. Wie kam es dazu?

Im Trainerjob benötigt man ein noch größeres Netzwerk als das früher bei mir als Spieler der Fall war. Trainerplätze in den ersten drei Ligen sind rar gesät. Mein langjähriger Berater Manfred Simon ist heute auch nicht mehr so in der Branche drin, dass er mir diese Möglichkeiten aufzeigen kann. Markus Buchberger hat sich auf Trainer spezialisiert, er berät auch Uwe Neuhaus, Uwe Koschinat oder Jos Luhukay. Da hatte ich gleich ein gutes Gefühl.

Sie sprachen Ihre Spielerkarriere gerade an: Vor mittlerweile 14 Jahren haben Sie diese beendet. Was unterscheidet die heutige Spielergeneration von ihrer?

Jeder Profi ist heute vor allem durch die Nachwuchsleistungszentren fußballerisch viel besser ausgebildet als es zu meiner Zeit der Fall war. Die Spieler sind wissbegieriger und hinterfragen mehr. Sie wollen genau wissen, was aus welchem Grund wie gemacht wird. Das finde ich auch gut. Die Profis sind auch bewusster in ihrem Freizeitverhalten.

Das heißt…?

Die Jungs wissen, dass ihr Leben in Zeiten von Handykameras und sozialen Netzwerken ziemlich gläsern ist. Die überlegen sich schon genau, wann sie vor die Tür gehen. Natürlich war das zu meiner Zeit anders, da konntest du auch mal nach einer Niederlage weggehen und es waren nicht sofort zig Kommentare und ein Foto von dir auf Facebook. Die Jungs gehen nicht nur mit der Thema Ernährung, sondern auch mit diesen Themen bewusster um. Auf der anderen Seite werden sie natürlich so auch aalförmiger, so würde ich es mal formulieren. Sie schlängeln sich durch, ecken nicht mehr an. Die Vereine lassen das aber auch kaum noch zu. Fast keiner äußert sich mehr so, dass es mal kracht. Nicht nur medial, sondern auch intern in der Kabine.

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Wie beurteilen Sie das?

Es gibt ja schon seit Jahren die Diskussionen, wo denn die Führungsspieler geblieben seien. Wenn ich aber schon Kinder so erziehe, dass sie sich noch nicht einmal die Schuhe in der Kabine binden müssen und ihnen auch später alles vom Verein abgenommen wird, dann muss ich mich auch nicht wundern, dass ich dann irgendwann Spieler habe, die zwar fußballerisch und taktisch top ausgebildet, aber auch unselbständig sind. Und das wirkt sich sogar auf dem Platz aus. Nämlich dann, wenn im Spiel plötzlich Dinge passieren, die vorher nicht angesprochen wurden. Dann fehlen diesen Spielern oft die Lösungen. Sie wehren sich zu wenig und reden auch intern zu wenig Klartext. Für die Persönlichkeitsentwicklung ist das alles natürlich nicht so förderlich. Aber die meisten Jungs wollen es so, sie sind bereit, auf viele Dinge zu verzichten. Es ist fast unmöglich, sich sportlich, schulisch und auch von der Persönlichkeit her so optimal zu entwickeln.

Wie haben sich die Medien verändert?

Die sozialen Medien nehmen heute eine riesige Rolle ein. Ich brauche sie nicht mehr, sie sind aber offenbar für die Selbstvermarktung der Spieler wichtig. In den klassischen Medien geht es heute wesentlich humaner zu. Es wird jedes Interview gegengelesen und teilweise auch von den Vereinen verändert. Emotionale Interviews direkt nach dem Spiel, die zur Folge haben können, dass es auch intern mal rappelt, die gibt es doch heute fast nicht mehr. Die waren früher manchmal sogar förderlich, um den Blickwinkel neu zu justieren. Das waren Reibungspunkte, da hat man sich danach auch mal in der Kabine zusammengesetzt und über die Aussagen diskutiert. Es gab Tage, da hatten wir Spieler sogar Bammel vor den Schlagzeilen. Geschadet haben sie uns am Ende nicht: Die Mischung war schon okay, mal warst du der Gefeierte, mal der Prügelknabe. Da gewöhnt man sich dran. Auf jeden Fall war man keinem egal.

Und ist das Verhältnis zu den Fans auch anders geworden?

Heute gibt es noch mehr Fans, doch die Fanliebe ist sicherlich die gleiche geblieben. Früher waren auch da die Ausschläge extremer. Als FC-Kapitän musste ich nach schlechten Spielen - und wir hatten leider einige davon - oft die Wogen glätten. Als wir zum Beispiel in Rostock verloren hatten, konnte der Mannschaftsbus nicht losfahren, weil ihn die FC-Fans an der Abpfiff gehindert hatten. Da mussten dann Thomas Cichon und ich vermitteln. Da habe ich geheult, weil ich mit den Fans mitgelitten und diese emotionale Bindung zum Verein hatte. Oder die Proteste der Fans am Marathontor. Da wurden drei, vier Spieler vom Verein mitten auf die Jahnwiese geschickt, um mit den Fans zu sprechen. Das würde doch heute so keiner mehr machen. Aber damals ging das noch – wenn man ein gewisses Standing als Spieler hatte.

Auch wenn Sie nicht mehr viel Kontakt zum FC haben, so verfolgen Sie ihn doch stets. Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Vereins?

Auch wenn es nach der Corona-Pause nicht mehr so gut lief, so ist die Entwicklung insgesamt doch sehr positiv. Vielleicht hatten sich einige nach dem Höhenflug etwas mehr erhofft, doch wenn man realistisch ist, muss man ganz klar sagen: Überlegt euch mal, wo der FC Anfang Dezember stand und wo er jetzt steht. Gerade die Entscheidung vor der Winterpause, noch mehr auf die jungen Spieler zu setzen und sie ins kalte Wasser zu werfen, hat der Mannschaft richtig gut getan. Du hast so viel mehr Tempo und Unbekümmertheit ins Team bekommen. Die Herausforderung wird es sein, für die neue Saison so aufgestellt zu sein, dass man nicht wieder so eine schlimme Phase wie in der Hinrunde durchmachen muss. Das Ziel des Vereins muss es erst einmal sein, konstant in der Bundesliga zu spielen. Das sollte für einen Verein mit diesen Möglichkeiten ja wohl drin sein. Und ich glaube, dass dafür beim FC jetzt die richtigen Leute am Werk sind.

Sie haben mit Lukas Podolski selbst noch in Köln zusammengespielt. Sollte er in den FC eingebunden werden?

Der FC ist da ja offenbar schon dran. Und ich glaube auch, dass Poldi vieles dafür tun wird, dass er irgendwann mal eine Aufgabe im Verein bekommt - welche das auch immer sein mag (lacht). Wichtig ist, dass man Leute an den Verein bindet, die diesen lieben und alles für ihn tun, damit er Erfolg hat. Und das trifft auf Poldi zu. Deshalb sehe ich auch die Verpflichtung von Horst Heldt so positiv: Er kommt aus der Region, er kennt und identifiziert sich mit dem FC, für den er selbst gespielt hat: Das passt einfach.

Das Gespräch führte Lars Werner. 

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