Romantikerin vs. OptimistZerstört der Kommerz den Fußball?

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Champions League Pokal 101218

Der Champions-League-Pokal

  • In der Bundesliga geht es oft mehr ums Geld als um Passspiel. Und die Champions-League ist ohnehin eine einzige Geschäftemacherei.
  • War das Spiel früher unter Ausschluss der TV-Massen wirklich besser?
  • Eine Fußballromantikerin streitet mit einem Optimisten.

Viele Fans schauen sich lieber Jugendspiele an, weil es dort 

Die Frage ist im Grunde falsch gestellt. Fragen müsste man vielmehr: Wie groß sind die Schäden, und wie könnte man sie reparieren? Denn es ist einiges zu Bruch gegangen in den vergangenen Jahren, Fußball ist unsympathisch geworden, in vielerlei Hinsicht. Schuld daran sind in erster Linie diejenigen, die den Sport regieren. Die Funktionäre der Ligen, der nationalen und internationalen Verbände, geben sich keine Mühe zu verbergen, dass pure Geldgier ihre Triebfeder ist.

In der Bundesliga wird inzwischen von Freitag bis Montag gespielt, damit immer mehr Geld für die Übertragungsrechte reinkommt. Was die Fans darüber denken, dass ein gefühltes Dutzend von TV-Abos nötig ist, um alles sehen zu können – all das interessiert nicht. Das System verlangt immer höhere Erlöse. Es werden international schließlich dreistellige Millionenbeträge an Ablösesummen für Stars gezahlt. Und exorbitante Spielergehälter.

Die Fußballspiele werden dadurch zwar teurer, aber nicht besser. Denn hinter den Top Klubs, die immer reicher werden, klaffen in allen Ligen immer größere Lücken. Denn das Kapital fließt dorthin, wo sich schon das meiste Geld angesammelt hat. Und das produziert sportliche Langeweile. In der Bundesliga gibt es Bayern und Dortmund, eine Handvoll Verfolger, dahinter viel Mittelklasse und somit jede Menge mittelmäßige Spiele.

Das Geld verdirbt übrigens auch bei Spielern den Charakter. Wenn Cristiano Ronaldo bei Freistößen Playstation-kompatible Posen zeigt, ist das noch lustig. Wenn aber Neymar, mit 222 Millionen Euro Ablösesumme teuerster Fußballer aller Zeiten, bei jeder Berührung im Spiel minutenlang auf dem Feld liegend lamentiert, ist das abstoßend. Und weil Neymar ein Vorbild ist, mimen seine Bewunderer nun überall in der Welt die sterbenden Schwäne.

Die nächste Weltmeisterschaft findet 2022 im Wüstenemirat Katar statt, mitten im Winter. Damit der Fußball neue Märkte erschließt. Dass auf den Baustellen Arbeitsmigranten sterben, wird in Kauf genommen. Dass dort Frauen nichts zu melden haben und Homosexualität verboten ist – auch egal.

Viele echte Fußball-Enthusiasten schauen sich bereits lieber als Bundesliga- Amateur- oder Jugendspiele an, weil es dort noch um den Sport geht. Und nicht nur ums Geldverdienen. Oder sie wechseln zu Sportarten wie Handball oder Eishockey, in denen es ehrlicher zugeht, in denen Wehleidigkeit unter Spielern verpönt sind.

Vielleicht sollten sich die Fußball-Macher einmal ansehen, wie die Meister des Kommerzes, die Nordamerikaner, ihre Profiligen gestalten. Es gibt dort sogenannte „Salary Caps“, Finanzgrenzen für die Etats der Vereine und die Gehälter der Spieler, damit das System nicht ausufert und die Chancengleichheit unter den Klubs gewahrt wird. Dazu dient auch der alljährliche Draft, in dem sich die schwächsten Teams der Vorsaison die Transferrechte an den größten Talenten sichern können.

Man kann den Fußball nicht in die vorkommerziellen Zeiten von Sepp Herberger zurück katapultieren. Man kann sich aber besinnen und das Biest der Geldgier zähmen.

Christiane Mitatselis, 51, schreibt für die Sportredaktion und sah schon im Alter von zehn Jahren Spiele von Bayer Uerdingen in der Grotenburg-Kampfbahn.

KONTRA: Wenn die Vermarktung der Preis für die Fußballfreiheit ist, zahle ich ihn gerne

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Der deutsche Rekordmeister ist für Champions-League-Übertragungen im Free-TV.

Um zu erahnen, wohin sich der Fußball und seine Wahrnehmung entwickelt haben, lohnt sich ein Blick zurück in die Schwarz-Weiß-Zeit der frühen 1970er Jahre und in überschaubar gefüllte Stadien, die nicht immer ein Dach über ihren Tribünen hatten. Der Fußball galt damals als ein proletarisches Vergnügen, seine Anhänger in vermeintlich hippen Avantgarde-Zirkeln als brüllende Abhängige von irgendwelchen Trikotträgern und folglich als unendlich banal. Und wenn man als Jugendlicher in der Saison 1980/1981 live über das Achtelfinal-Hinspiel-Ergebnis des Hamburger SV gegen den AS Saint-Etienne und seinen Zauberer Michel Platini staunen wollte, ein 0:5, musste man dies vor dem Radio tun. Im Fernsehen war von Europacup-Spielen meist so spät und nur in kurzen Clips etwas zu sehen, dass das Zuschauen Schülern verboten wurde. Noch was: Wer in den 1980er Jahren aktuelle Fußballergebnisse etwa aus Spanien erhalten wollte, musste sich ein paar Peseten besorgen, sie in ein Münztelefon werfen und die Nummer 0049/89/1161 wählen, um eine Stimme des Sportinformationsdienstes vom Band zu erreichen, die die Endstände kundtat.

Und heute? Leben wir im Fußballfernsehparadies. Etwa, wenn man in Sardinien Urlaub macht und auf vier mobilen Endgeräten gleich drei Bundesliga-Spiele schauen kann und den Rest in der Konferenz. Was auch, wieder daheim, für aktuelle Champions-League-Abende gilt, die von zwei verschiedenen Anbietern übertragen werden. Ja, wer will, kann nun alles sehen, wie schön, zur Not sogar den KFC Uerdingen in den dritten Programmen. Das so etwas jemals möglich sein würde, ließ sich damals nicht mal erahnen.

Natürlich gibt es Begleitumstände, die das Glück sehr trüben. Fußball ist eine heiße Ware, er garantiert Quote und viel Geld, jetzt ist er hipp, und so drängt es mittlerweile öffentlichkeitsgeile Menschen aus Politik, Unterhaltung, Kultur und Wirtschaft in die VIP-Logen moderner Arenen, die es in den schwarz-weißen 1970ern so nicht gab. Das nervt. Aber es gab damals eben auch nicht die Chance, jedes Spiel der englischen, spanischen, italienischen, französischen, ja sogar der österreichischen Liga zu sehen, das man sehen will.

Wenn diese Ultra-Vermarktung der Preis für die große Fußball-Fernsehfreiheit ist, dann zahle ich ihn gerne. Ja, man muss lernen, den VIP-Tourismus auszublenden. Das geht mit der Zeit erstaunlich gut. Denn allein die Möglichkeit zu haben, genau das zu schauen, was ich möchte, ist es mir wert und mit für ein Hobby gerade noch zu rechtfertigenden Investitionen verbunden. Zumal tagelang alle möglichen Spiele auch weiterhin abrufbar sind, in voller Länge oder als Zusammenfassung. Ein Traum. Und eine Genugtuung. Auch wenn ich nie mehr die Gala des AS St. Etienne in Hamburg sehen werde. Ach ja: Platini hat damals zwei Tore geschossen. Behaupten die wenigen, die es gesehen haben.

Stephan Klemm, 52, war 13 Jahre Teil der Sportredaktion, ist nun für die zentrale Planung und Produktion der Zeitung verantwortlich. Und schaut Fußball immer dort, wo er gerade ist. Weil es möglich ist.  

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