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Bob Hanning über Zoff mit Heiner Brand„Ich werde nicht auf seine Beerdigung gehen“

Lesezeit 8 Minuten
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2008: Der damalige Bundestrainer Heiner Brand (l.) mit Bob Hanning

KölnHerr Hanning, Sie haben Ihr Leben zwischen zwei Buchdeckel gepackt und es darin ausgebreitet. Warum das Ganze?

Ich wollte ein sehr ehrliches Buch schreiben, auch mir gegenüber. Ich wollte aber auch die Möglichkeit nutzen, ein paar Geschichten aus meiner Sichtweise darzustellen. Aber das ist kein Abrechnungsbuch.

Wirklich nicht?

Sie sprechen damit auch auf Heiner Brand an, oder?

Ja, auf ihn vor allem.

Da muss ich sagen, das ist ja eigentlich eine Hommage, was ich über ihn schreibe.

Das werden sehr viele Menschen, vor allem Heiner Brand, komplett anders sehen, zumal Sie schreiben, dass Sie nicht auf seine Beerdigung gehen werden. Warum diese harten Worte?

Ich schreibe, dass Heiner Brand meine Karriere maßgeblich beeinflusst hat. Natürlich wollte er später, als ich 2013 DHB-Vize wurde, unter seinem Lehrling nicht mehr arbeiten. Das ist seine Meinung und sein gutes Recht. Dann aber erschien im August 2015 ein Interview, in dem Heiner Brand mir Dinge vorwirft, die du deinem ärgsten Feind nicht vorwerfen darfst, zumindest nicht öffentlich.

Er hat Ihnen darin eine »narzisstische Persönlichkeitsausprägung« unterstellt, weshalb Sie nicht in der Lage seien, vernünftige Beziehungen aufzubauen oder im Team zu arbeiten.

Es war ja noch viel schlimmer. Das war eine Vernichtung für mich als Mensch. Der Erscheinungstermin des Interviews fiel in eine Zeit, in der meine Mutter im Sterben lag.  Das hat mich sehr getroffen. Ich habe lange überlegt, ob ich dieses Erlebnis mit Heiner Brand in das Buch reinschreibe, oder ob ich es einfach sein lasse. Weil es aber für mich ein einschneidendes Erlebnis war und ich die Maßgabe hatte, ein ehrliches Buch schreiben zu wollen, habe ich das dort hineingeschrieben. Wenn du aber den Text liest und auf Inhalte runterbrichst, habe ich nichts ausgelassen. Heiner Brands Verdienste habe ich alle geschildert.

Zu Person und Buch

Bob Hanning, geboren am 9. Februar 1968 in Essen, ist Geschäftsführer der Füchse Berlin, die er mit seiner Arbeit zurück in die nationale Spitze geführt hat. Von 2013 bis 2021 war er DHB-Vizepräsident.

Bob Hanning mit Christoph Stuckenbrock: Hanning macht Handball. Edel-Verlag, 233 Seiten, 19,95 Euro.

Definitiv. Aber Sie schreiben eben auch: »Das System Brand« sei zu Ende.

Genau.

Das mag faktisch so sein, dennoch wirkt dieser Satz wie eine Abrechnung.

Damit muss Heiner Brand leben. Das würde ich ihm auch so sagen. Das Grundthema ist doch: Wir haben 2013 einen am Boden liegenden Verband angetroffen. Ich musste ihn mit meinem Team kernsanieren. Veränderungen tun weh, sind aber manchmal zum Wohle aller unumgänglich. Eins habe ich aber gelernt: Wenn man kernsaniert, ist es besser, danach zu gehen, da du immer das Feindbild derer bleiben wirst, die die vermeintlichen Verlierer sind. Die Alternative wäre gewesen, jemand anderen sanieren zu lassen und danach in das Unternehmen einzusteigen. Dies war in diesem Fall aber leider nicht möglich.

Sie haben auch Stefan Kretzschmar ein Kapitel schreiben lassen, einst einer Ihrer größten Kritiker, mit dem Sie nun aber bei den Füchsen in Berlin zusammenarbeiten, Sie als Geschäftsführer, Kretzschmar ist Ihr Sportvorstand. Er schreibt unter anderem, Sie seien ein Typ, der total polarisiert. Ist das ein Prinzip Ihrer Arbeitsweise?

Ja. Ich glaube, dass der Verband jemanden wie mich gebraucht hat, an dem sich alle reiben können, über den sich alle aufregen können, auf dass ich in Ruhe parallel arbeiten kann.  Wir waren nicht für die EM, die WM und die Olympischen Spiele qualifiziert, wir hatten einen Rechtevermarkter, der keine Sponsoren organisiert hat. Es ging darum, dieses System aufzubrechen. Das kannst du nur ganz brutal machen, wenn du etwas verändern willst.  Sonst hätten wir niemals die WM 2019 erhalten. Wir hätten niemals die damit verbundene Aufbruchsstimmung erzeugen können, die wir letztlich erzeugt haben. Wir hätten nicht die Reformen geschafft, wenn nicht einer in der Verantwortung gestanden hätte, der bewusst Gegenstimmen erzeugt und der auch bewusst provoziert.

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Bob Hanning, scheidender Vizepräsident des DHB

Zum Beispiel, indem Sie mit Übernahme des Jobs als Vizepräsident des DHB 2013 trotz eines schwachen Nationalteams Gold bei Olympischen Spielen in Tokio als Ziel ausgegeben haben. Den Ist-Zustand ignorieren, das Ziel erreichen wollen, das am utopischsten von allen klingt – typische Hanning-Provokation, oder?

Ich wollte eine Aufbruchsstimmung erzeugen, weil im Verband alles miteinander zerstritten war und dort niemand zusammenarbeitete. Mir war klar, wir mussten uns hinter einem so großen Ziel vereinen. Es ist wichtig, sich die höchsten Ziele zu setzen. Davon kann man lieber mal eines reißen als dass man ein Stöckchen niedrig hält, drüber springt und dann sagt: Boah, sind wir gut. Ich wollte den deutschen Handball dahin bringen, wo er  hingehört, nämlich nach oben, also immer international um Medaillen zu spielen. Tatsächlich hatten wir dann mit einer unglaublich jungen Mannschaft ungeheuren Erfolg. Wir sind 2016 Europameister geworden und haben in Rio bei den Olympischen Spielen 2016 Bronze gewonnen.

Doch danach war zunächst einmal Schluss, den Erfolg konnte das Team nicht fortsetzen. Warum?

Wir hatten einen Trainerwechsel von Dagur Sigurdsson, der perfekt zu der Mannschaft passte, sie gebaut und in neue Höhen geführt hat, zu Christian Prokop. Mit Christian Prokop aber habe ich ein Pferd ins Rennen geschickt, das für das Rennen nicht geeignet war. Das muss ich mir ankreiden. Außerdem haben wir im Handball einfach zu viele Verletzungen auf dem Weg nach oben. Die Liga hat schließlich immer noch nicht erkannt, dass die Nationalmannschaft über allem stehen muss, weil sie das Aushängeschild eines Verbandes ist. Auf einmal waren wieder nur Molekularinteressen vorhanden.

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Und immer traf es Sie, wenn es nicht mehr lief...

Dass der Tsunami über mich hereinbricht, ist in Ordnung. Ich bin allerdings wie eine Dartscheibe, auf der mich die Leute vom Verband gar nicht treffen können. Der Einzige, der mich wirklich persönlich getroffen hat, war Heiner Brand. Er hat mich im falschen Moment völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Er hat mir schlaflose Nächte bereitet. Das war für mich eines der schlimmsten Erlebnisse meines Lebens.

Haben Heiner Brand und Sie mal über alles reden können?

Ich habe ihm irgendwann mal die Hand gereicht, da hat er seine Hand weggezogen. Ich würde mich jederzeit mit ihm an einen Tisch setzen. Wir haben aber einen gewissen Burgfrieden geschlossen. Als es um die WM 2019 ging, haben wir ihn mit ins Boot genommen.

Mit Veröffentlichung des Buches beenden Sie Ihre Tätigkeit beim DHB. Warum?

Es ist jetzt viel erreicht. Die EM und die WM der Männer 2024 und 2027 und die Frauen-WM 2025 finden in Deutschland statt. Wir sind im Nachwuchsbereich die Nummer eins in Europa. Wir sind ausvermarktet im Verband. Wir können uns den Hauptsponsor aussuchen. Das Haus ist bestellt, das Olympia-Gold-Ziel nur verschoben. Ich habe nun acht Jahre lang beides getan: Geschäftsführer der Füchse und Vizepräsident des DHB. Plus Jugendtraining im Übrigen. Jetzt darf ich auch mal an mich denken. Jetzt braucht mich der Verband nicht mehr.  

Sie berichteten in Ihrem Buch auch darüber, dass Sie noch dreimal in der Woche um 7 Uhr in der Halle stehen, um Nachwuchsteams zu trainieren, zudem coachen Sie den Drittligisten VfL Potsdam und haben als Geschäftsführer die Verantwortung für die Füchse Berlin. Und was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Das Schöne ist ja, dass das meine Freizeit ist. Für mich ist es, wenn ich morgens in der Halle stehe und junge Spieler trainiere, die absolute Entspannung. Potsdam mache ich nur, weil sie zehn Jahre nicht aufgestiegen sind und wir einen Zweitligisten vor der Tür haben wollen. Das ist für uns eine Art Farmteam, in dem ich junge Füchse-Spieler einsetzen und sich entwickeln lassen kann.

Stefan Kretzschmar beschreibt in Ihrem Buch auch, dass die Spieler der Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen 2000 Witze über Ihre Körpergröße gemacht haben. War das für Sie auch eine Motivation, dem Handball-Establishment mal zu zeigen, was Sie so können?

Nein. Ich bin so selbstbewusst erzogen worden, dass ich weiß, dass Länge und Größe nichts miteinander zu tun haben.

Wenn man allerdings das Foto auf Ihrem Buch-Cover sieht, Sie als Handball-König auf einem Thron, dazu die Vorgeschichte mit den Napoleon-Bildern in Hamburg, dann entsteht schon der Eindruck, dass Sie sich gerne besonders groß machen.

Ich will mal so sagen: Manchmal ist ein König, der an alle denkt und für alle etwas Schönes erschafft, besser als eine Demokratie. Von daher fand ich das Cover passend zum Buch, auf dass interessierte Leute da mal reinschauen, und sich ihr eigenes Bild von mir machen.

Diese Selbstdarstellung passt auch zu Ihrem Faible für schrille Klamotten. Ist das noch mal ein Schrei nach Aufmerksamkeit für Sie?

Das Faible habe ich einfach. Ich finde, ein bisschen Farbe im Leben tut gut. Und Farbe hat dem Verband auf jeden Fall gutgetan. Das macht mir nach wie vor viel Freude. Das Napoleon-Ding habe ich damals tatsächlich gemacht, um auf mich aufmerksam zu machen. Aber als die Leute sich dann so herrlich über meine bunten Pullover bei der WM 2019 aufgeregt haben, habe ich gesagt:  »Ne Leute, ihr habt es immer noch nicht verstanden. Dann bekommt ihr es auch richtig.« Irgendwann war es dann natürlich auch ein Spaß.