Tour de FranceMike Teunissen, der unwahrscheinlichste Sieger

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Mike Teunissen

Mike Teunissen gewann die erste Etappe in Brüssel.

Brüssel – Alles Insignien, die bei der Übernahme der sportlichen Macht zu vergeben sind, besitzt jetzt, zumindest für eine Nacht und den Tag danach, der Niederländer Mike Teunissen. Dazu gehört: Ein Etappensieg in Brüssel, das Gelbe Trikot und ein Plüsch-Löwe, den es als Zusatzprämie für die Führung im Gesamtklassement auch noch gibt. Das Tierchen hat Teunissen seiner Freundin geschenkt, die es ungläubig annahm und auch Stunden nach der Übergabe noch zweifelte, ob ihr Partner all die schönen Geschenke wirklich erhalten hat. Denn das, was Teunissen, blond, 26 Jahre alt, Team Jumbo-Visma, am Samstag bei der ersten Etappe der 106. Tour de France geschafft hat, ist eine große Überraschung, die zum Auftakt des größten Radrennens der Welt eigentlich ausgeschlossen ist. Eigentlich ist Mike Teunissen der unwahrscheinlichste Sieger des Jahres. Und so fühlte er sich auch, trotz seines Siegerschmucks: „Ich kann das wirklich noch nicht glauben. Etappensieg. Gelb. Nein, das kann nicht wahr sein.“ Zumal die Niederlande 30 Jahre auf ein Gelbes Trikot warten mussten, zuletzt hatte es Erik Breuking 1989 getragen. Auch das noch.

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Dass die Farbe Gelb ein Niederländer erhält, ist wiederum keine allzu große Überraschung. Auch nicht, dass sie an einen Fahrer des Jumbo-Visma-Teams ging. Doch dort hatten sie an ihren Topsprinter Dylan Groenewegen gedacht, mit bereits zehn Erfolgen der erfolgreichste Etappenjäger der Saison. Es war klar, dass es am Ende der Tour-Auftaktetappe zu einem Sprint kommen würde, das Profil des Tages sprach dafür, und so hatten die Strategen bei Jumbo-Visma alle möglichen Wege für Groenewegen geebnet. Teunissen berichtet davon, dass „wir schon lange hart gearbeitet haben, dass es für Dylan klappt“.

Doch gut 1,5 Kilometer vor dem Ziel war Groenewegen aus dem Rennen. Sturz. Heftiger Aufprall. Weiterfahren zunächst unmöglich. Alle Planung und Vorbereitung schien vergebens. Doch Teunissen schlüpfte durch eine Lücke und war plötzlich bei den Führenden, bekam einen Wink, dass Groenewegen ausgefallen ist – und freie Fahrt. Und dann hielt sich der Helfer Teunissen clever im Windschatten der lossprintenden Meute. Peter Sagan, der slowakische Ex-Weltmeister und Sprint-Kapitän des deutschen Bora-hansgrohe-Teams, zog zu früh an. Teunissen schaffte es in letzter Sekunde doch noch, Sagan um ein zwei, drei Zentimeter zu distanzieren.

Sturz auf der Zielgeraden

Anschließend meldete sich der Vater des Siegers per Telefon, freute sich sein bester Freund jubelnd im Zielbereich, indem er Teunissen unaufhörlich umarmte, während seine Freundin mit dem Stofflöwen kuschelte.

Doch neben all der Freude gab es auch viel Leid. Denn der finale Sturz hatte für einige Fahrer Folgen. Groenewegen wird, Stand jetzt, die Tour fortsetzen können, eine erste Untersuchung ergab Schürfwunden und Prellungen, aber keine Brüche. Verwickelt in den Unfall war auch Sagans Teamkollege Emanuel Buchmann aus Ravensburg, der zwar an der Unterlippe und am Kinn blutete, allerdings mit dem Schrecken davon kam: „Ich bin über Groenewegen gefallen. Neben den Verletzungen im Gesicht habe ich noch eine Abschürfung am Knie. Ist aber alles harmlos. Ich bin froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist“, sagte Buchmann, der einen Platz unter den besten Zehn der Gesamtwertung anstrebt, nach der ersten Etappe. Zeitverlust muss Buchmann nicht hinnehmen, weil er innerhalb der Drei-Kilometer-Zone zu Fall kam, bei der die Gestürzten dieselbe Zeit zugeschrieben bekommen wie der Sieger. Schlimmer erwischte es 15 Kilometer vor dem Ziel den dänischen Mitfavoriten Jakob Fuglsang (34). Seine Sturzbilanz: Platzwunde an der rechten Stirn, Prellungen und Schürfwunden am rechten Ellbogen und am rechten Knie. Um Frakturen auszuschließen, wurde er für weitergehende Untersuchungen in ein Hospital chauffiert.

Und Sagan? Gab sich nach Rang zwei erstaunlich gelassen nach dem knapp verpassten Doppelerfolg aus Etappensieg und Übernahme des Gelben Trikots. „Ich bin sehr zufrieden, dass ich den Zwischensprint gewonnen habe und mit 50 Punkten in der Wertung des Grünen Trikots gleichauf mit Mike Teunissen liege. Ich betrachte das Ergebnis positiv. Es war erst die erste Etappe. Und sie zeigt, dass ich gut drauf bin.“ 

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