Special Olympics World Games„Ich brauche mehr Muskeln. Nur arbeiten und schlafen geht ja nicht“

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Behinderte Kraftsportlerin Jessica Steinbrück drückt eine Langhantel mit grünen Gewichten in die Höhe.

Jessica Steinbrück schafft 37,5 Kilogramm an diesem Tag im Bankdrücken. Ein großer Erfolg.

Die Special Olympics World Games, die Weltspiele für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, finden zum ersten Mal in Deutschland statt. Wie Jessica und Kai sich in Hennef vorbereiten.

Kai Krüger ist bärenstark. An diesem Vormittag schafft er beim Bankdrücken 90 Kilogramm. Er strahlt und hüpft vor Freude. Der 37-Jährige ist stolz auf seine Kraft. Sie hat ihm schon so manche Goldmedaille eingebracht. Und bei der Montage von Stromschienen in den Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung ist er ein gefragter Mann. Da müssen Kabel von einer riesigen Rolle gezogen werden. „Ich kann das ganz allein“, erzählt Krüger. Er nickt bekräftigend dazu und sagt noch eine Menge mehr. Zu verstehen ist allerdings kaum etwas davon.

„So, und jetzt schreiben Sie das mal auf“, scherzt sein Coach Mario Vieweger. Sieben Schwerathleten, sechs Männer und eine Frau, trafen sich am vergangenen Wochenende in der Sportschule Hennef zum Training für den Kraftdreikampf, einer Kombination aus Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben. Sie alle gehören zum Team Deutschland für die Special Olympics World Games, die Weltspiele für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Sie finden in diesem Jahr vom 17. bis 25. Juni in Berlin und damit zum ersten Mal in Deutschland statt. Das ist eine große Sache, es werden 7000 Aktive aus 190 Ländern erwartet, die sich in 26 Sportarten messen.

Nur Döner und Burger - das geht auf die Dauer nicht

Der Umgang mit den kognitiven Einschränkungen der Athleten ist sehr entspannt innerhalb der Trainingsgruppe in Hennef. Kai Krüger erzählt und erzählt: „Ich brauche mehr Muskeln. Nur arbeiten und schlafen geht ja nicht. Immer Döner und Burger ist nicht gut.“ Damit fasst der Kraftdreikämpfer in einfachen Worten zusammen, worum es hier eigentlich geht.

Special Olympics – das sind zum einen Sportveranstaltungen. Es gibt sie auf nationaler Ebene und alle zwei Jahre wechselweise im Winter und im Sommer als internationales Großevent. Die Organisatoren der Berliner Weltspiele in diesem Jahr kündigen auf ihrer Homepage „ein buntes Fest des Sports für mehr Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung“ an. Denn: Special Olympics – das ist zum anderen eine Organisation, die sich als Inklusionsbewegung versteht, die Menschen mit geistiger Behinderung durch Gesundheits-, Bildungs- und Qualifizierungsprogramme unterstützt. Sport ist ja nicht nur für Medaillen gut, sondern verhilft entscheidend zu einer gesunden Lebensführung, stärkt das Selbstbewusstsein, ermöglicht bestenfalls Teilhabe.

Kai Krüger hält eine Langhantel in beiden Händen. Er trägt rot-schwarze Kraftsportkleidung.

Kai Krügers Stärke zahlt sich auch auf der Arbeit aus. Kabel von der Rolle ziehen? Macht der 37-Jährige ganz alleine.

Ins Leben gerufen wurde die Special-Olympics-Bewegung 1968 von Eunice Kennedy-Shriver, einer Schwester von US-Präsident John F. Kennedy. Den Anstoß gab damals die Behinderung von Kennedy-Shrivers Schwester Rosemary Kennedy. Der Verband Special Olympics Deutschland wurde 1991 gegründet.

Das deutsche Team für die World Games bereitet sich in den kommenden Monaten in rund 50 Trainingslagern auf das Großereignis im eigenen Land vor, 416 deutsche Sportlerinnen und Sportler wurden nominiert. Dabei machen nicht nur die Kraftdreikämpfer Station in Nordrhein-Westfalen. Die Hockeyspieler etwa treffen sich am Wochenende in Köln, die Judoka sind demnächst in Leverkusen zu Gast, die Tischtennisspieler in Neuss.

Extra Motivationskick in Hennef

Im vergangenen Jahr fand in Berlin bereits ein Testlauf für den internationalen Höhepunkt statt: Bei den Special Olympics National Games wurden die Tickets für Berlin 2023 vergeben. Aus diesem Anlass drehte der rbb den Film „Special Olympics – Spiele ohne Grenzen“. Darin beschreibt der Schwimmer Silvio Wünsche sehr eindrücklich, was der Sport ihm bedeutet: „Im Wasser fühle ich mich wohl und frei. Nicht so viele Hindernisse wie an Land. Fast wie Urlaub.“ Bei den Weltspielen 2019 in Abu Dhabi hat Wünsche Gold gewonnen. Seine geistige Behinderung beschreibt er so: „Die Zeit läuft ein bisschen langsamer.“ Er lerne nicht so schnell und brauche für manche Dinge länger als andere. Aber: „Behinderte werden nicht geboren, Behinderte werden von der Gesellschaft gemacht. Weil alles immer schnell, schnell gehen muss.“

In Hennef war den Kraftdreikämpfern Langsamkeit erlaubt. Und die Kraftdreikämpfer bekamen durch Dominik Pahl einen extra Motivationskick verpasst. Der 30-Jährige aus Papenburg ist aktiver Schwerathlet, er gewann im Kraftdreikampf bereits Bronze bei einer EM und wurde WM-Fünfter. Seit dem vergangenen Jahr unterstützt er das Special-Olympics-Team. Er gibt bei Trainingsmaßnahmen Tipps, zeigt technische Finessen, sorgt für Staunen und zusätzliche Begeisterung

Besonders intensive Betreuung ist nötig

Abseits des Sports ist Pahl Heilerziehungspfleger. Für Special Olympics arbeitet er im Ehrenamt, genauso wie Enrico Häfner, der nationale Koordinator für den Kraft-Dreikampf. „Es macht unheimlich Spaß mit dem Team“, sagt Pahl, und fügt an: „Außerdem ist es gut für mein Karma-Konto.“ Ehrenamtliches Engagement sei wichtig, betont er dann noch ernsthaft. „Wir leben in einer Zeit, in der alle für alles, was sie tun, etwas haben wollen. Ich brauchte in meiner Anfangszeit aber auch jemanden, der mir einfach so gezeigt hat, wie alles geht.“

Bei den Special-Olympics-Athleten kommt hinzu, dass sie eine besonders intensive Betreuung brauchen. Einmal zu sagen, wie die Kommandos lauten im Wettkampf, oder einmal zu zeigen, wie eine Bewegung ausgeführt werden soll, reicht meistens nicht. Einer der Athleten kommentierte einen Hinweis von Pahl im Training ganz trocken so: „Das musst du mir dann nochmal sagen, das vergesse ich wieder.“ Nicht schlimm, findet Pahl, die Vorbereitung gehe ja grad erst los: „Das ist nicht unser letztes Trainingslager vor den World Games.“

Jessica Steinbrück, die einzige Frau im deutschen Tam, drückt an diesem Tag siebeneinhalb Kilo mehr als jemals zuvor. Die Kollegen applaudieren, die 19-Jährige vom Bodelschwinghhof in Mechterstädt strahlt. Eigentlich geht es ihr nicht gut, sie leidet an einer Borderline-Störung. Gerade wurden ihre Medikamente verändert, sie ist oft müde, fühlt sich nicht wohl. Aber jetzt verschwindet ihr düsterer Gesichtsausdruck für einen Moment, 37,5 Kilo im Bankdrücken, die Freude ist groß.

Dominik Pahl hatte sie geduldig immer wieder darauf hingewiesen, das Gewicht beim Bankdrücken mehr in Richtung Kopf zu schieben. Er stand hinter ihr, sicherte ihre Versuche ab, feuerte sie an. So lange, bis sie die 37,5 Kilo ganz nach oben bewegt hat. „Bei den World Games schaffst du 40 Kilo“, gibt er ihr noch mit auf den Weg – und ihr Strahlen wird noch breiter.

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