TransplantationenDas rettende Herz im Koffer

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Wenn irgendwo ein Spender stirbt, fliegt Leonhard Schleußner mit einem Team los, um das Organ ins Herzzentrum Berlin zu bringen. Dort wird es einem Patienten eingepflanzt. (Bild: Sabrow)

Wenn irgendwo ein Spender stirbt, fliegt Leonhard Schleußner mit einem Team los, um das Organ ins Herzzentrum Berlin zu bringen. Dort wird es einem Patienten eingepflanzt. (Bild: Sabrow)

„Es kann immer passieren. Egal, ob ich gerade abends unterwegs bin, schlafe oder in der Vorlesung sitze. Wenn mein Handy klingelt, bin ich sofort hellwach und gehe alles durch: zum Krankenhaus fahren, den Koffer packen, losfliegen. Ich kann mich dann auf nichts anderes mehr konzentrieren, denn jetzt muss alles funktionieren“, beschreibt Leonhard Schleußner seine Einsätze beim Deutschen Herzzentrum Berlin.

Der 22-Jährige studiert im dritten Semester Medizin und arbeitet nebenher als Organbegleiter, im Fachjargon Perfusionsassistent genannt. Das bedeutet, er assistiert Chirurgen bei der Entnahme von Spenderorganen. Das Deutsche Herzzentrum Berlin ist eine der größten Einrichtungen seiner Art in Deutschland und hat sich unter anderem auf die Transplantation von Herz und Lunge spezialisiert. Wenn irgendwo in Europa ein potenzieller Spender stirbt, wird aus einer zentralen Datei ein Patient herausgesucht, der das Organ benötigt. Fällt die Wahl auf einen Patienten des Herzzentrums in Berlin, macht sich das so genannte Entnahme-Team schnellstmöglich auf den Weg, um das Organ für die Transplantation nach Berlin zu bringen.

Spätestens eine halbe Stunde nach dem Anruf muss Leonhard am Herzzentrum eintreffen. Dort stellt er zuerst alle Materialen zusammen: den Koffer mit speziellen Geräten für die Herz-Entnahme, die Kühlbox mit Eiswürfeln, in der das Organ transportiert wird, und die Flaschen mit einer speziellen Flüssigkeit, die es zum vorübergehenden Stillstand bringt und so implantationsfähig hält. Ein Krankenwagen fährt den Chirurgen und seinen Assistenten direkt auf das Rollfeld des Flughafens. Dort steigen die beiden in ein kleines Propellerflugzeug.

„Ich war schon in Köln, Athen, Hamburg und München. Aber das ist nebensächlich, da wir ohnehin gleich wieder zurück müssen“, erzählt der Student. Im Ziel-Krankenhaus ist bei Ankunft der beiden schon alles für die Operation vorbereitet. Im OP ist es Schleußners Aufgabe, dem Chirurgen die Geräte zu reichen und Bluttests zu machen. Zusätzlich bereitet er die Perfusionsflüssigkeit vor, die in das Organ eingeführt wird. Ist alles bereit, gibt der Chirurg das entscheidende Signal: „Perfusion Start“. Dann lässt sein Assistent die null Grad kalte Flüssigkeit zehn Minuten lang gleichmäßig in das Organ fließen, um es abzukühlen und transportfähig zu machen.

„Ab diesem Zeitpunkt beginnt die Uhr zu ticken“, erklärt der angehende Mediziner. „Nun haben wir vier Stunden Zeit, um das Herz herauszunehmen, nach Berlin zu befördern, und im Körper des Empfängers wieder zum Schlagen zu bringen. Sonst ist es verloren.“ Anschließend operiert der Arzt das Organ aus dem Spenderkörper heraus, verpackt es in mehrere ineinander geschichtete Plastikbeutel, in die sein Begleiter jeweils Perfusionsflüssigkeit zugibt, und legt es in die Kühlbox. „Alles geht rasend schnell. Ich schiebe die Kühlbox mit dem Organ und die anderen Geräte auf einem Rollwagen zum Krankenwagen und wir fahren zum Flughafen - diesmal mit Blaulicht.“

In der Zwischenzeit informiert der Student regelmäßig das Team in Berlin, das den Patienten für die Transplantation vorbereitet. In Berlin angekommen, liefert der Chirurg das Organ im OP zur Transplantation ab, Schleußner füllt den Koffer für den nächsten Einsatz auf und erledigt Papierkram. Dann erst ist alles vorbei. „Der gesamte Einsatz dauert ungefähr acht Stunden. Wirklich anstrengend ist es, wenn ich genau vor dem Schlafengehen angerufen werde, dann verpasse ich eine ganze Nacht.“

Der Student ist sich der Verantwortung bewusst, die diese Arbeit mit sich bringt. Wenn er etwas falsch macht, würde er einem Kranken die Hoffnung auf ein lebensrettendes Spenderorgan rauben. Nicht selten ist es die letzte Chance für die Patienten. „Das könnte ich mir niemals verzeihen“, sagt er.

Auf diesen ungewöhnlichen Nebenjob ist der Medizinstudent durch einen Bekannten aufmerksam geworden und hat sich daraufhin beim Herzzentrum beworben. „Als ich das erste Mal mitgeflogen bin, habe ich nur gestaunt. Es war total aufregend, gleich eine Herz-Operation miterleben zu dürfen. Jetzt ist das fast schon ein bisschen Routine geworden“, erzählt er. Nach einer mehrmonatigen Einarbeitungszeit, bei der er anfangs nur zusehen durfte, gehört der 22-Jährige seit einem halben Jahr fest zum Team dazu.

Trotz der Anstrengungen, die der Bereitschaftsdienst mit sich bringt, macht der Student seinen Job gerne. „Wo sonst könnte ich schon so früh lernen, mit einer solchen Verantwortung umzugehen, und so viel Praxis miterleben? Die Arbeit hilft mir sehr, das echte Leben hinter dem manchmal trockenen Studium zu sehen“, erzählt er. Durch die Einsätze, die gemeinsamen Stunden im Auto, Flugzeug und OP hat er sehr engen Kontakt zu Ärzten und Wissenschaftlern geknüpft und wird vielleicht seine Doktorarbeit im Haus schreiben. Später möchte er sich auf den Bereich Chirurgie spezialisieren.

„Natürlich ist es bewegend zu sehen, wenn gerade jemand gestorben ist. Ich versuche, das nicht so an mich heranzulassen, sondern mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich mache mir immer klar, dass wir für den Verstorbenen nichts mehr tun können. Dafür können wir jemand anderem vielleicht das Leben retten.“

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