Biolandwirt zu Löwenstein im Interview„Wir müssen alle viel weniger Fleisch essen“

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Felix Prinz zu Löwenstein, hier in einer Szene eines Dokumentarfilms, auf einem Feld.

  • Der Öko-Landwirt Felix Prinz zu Löwenstein mahnt eine nachhaltigere Tierhaltung und einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen an.
  • Im Interview gibt er unserem Lebensstil eine Mitschuld an den Bränden im Amazonas-Regenwald.

Herr von Löwenstein, ein Umwelt- und Klimagipfel jagt den nächsten. Bringt das überhaupt etwas?

Am 20. September berät das „Klimakabinett“ über die Maßnahmen der verschiedenen Ministerien zum Klimaschutz. Die Landwirtschaft muss ihren Beitrag leisten, ganz klar. Gut ist, dass die Nichterfüllung der Klimaschutz-Ziele jetzt Geld kostet. Dadurch kostet alles, was nicht passiert. Das hat schon einmal erheblich den Druck erhöht, und ich bin zuversichtlich, dass die Einsparziele für das Landwirtschaftsressort auch erreichbar sind. Das Problem ist nur, dass Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) sich nicht traut, an die wirklichen Probleme heranzugehen.

Als da wären?

Vor allem die viel zu hohe Viehdichte in der Tierhaltung – mit all den Folgeproblemen bis hin zur Nitratbelastung der Böden und Gewässer durch die Gülledüngung. Da ist es der Bundesregierung und all ihren Vorgängerinnen über Jahrzehnte gelungen, die Vorgaben der EU zu ignorieren. Man könnte ja sagen, was auch immer wir zur CO2-Minderung tun, wird gerade durch die Feuersbrunst im Amazonas sozusagen weggebrannt.

Das ist eine alberne Diskussion. Als ob wir dann nichts mehr zu tun bräuchten! Das erinnert mich an das Argument, wir Deutsche verursachten doch nur zwei Prozent der Treibhausgase, deshalb könnten wir uns ruhig mal zurücklehnen. Tatsächlich produzieren wir immer noch mehr als doppelt so viel an Treibhausgasen, wie es unserem Anteil an der Weltbevölkerung entspricht. 25 Prozent der von Menschen bis jetzt verursachten Treibhausgase stammen von uns. Und schließlich: Denken Sie auch daran, dass Deutschland eine nicht unerhebliche Vorbild-Wirkung hat. Übrigens haben wir indirekt doch auch mit diesen Waldbränden im Amazonas-Gebiet zu tun.

Inwiefern?

Mit einer Tierhaltung, die sich der Futtermittel bedient, die auf gerodeten Urwaldflächen angebaut werden.

Daraus folgt?

Dass wir dazu kommen müssen, alle viel weniger Fleisch zu essen. Die Tierhaltung muss mit der Fläche korrelieren, die wir hier zur Verfügung haben. Wir müssen die Tiere anders halten und anders füttern. Und der Preis, der am Ende dabei herauskommt, würde den tatsächlichen Kosten entsprechen. Dann erübrigt sich jeder Fleisch-Gutschein und jeder erhobene Zeigefinger.

Sie vertrauen auf die Kräfte des Marktes?

Der Markt ist das beste Instrument zum rationellen Einsatz von Ressourcen – aber die Preise müssen die Wahrheit sprechen. Wer stattdessen glaubt, mit lügenden Preisen leben und die Lüge mit ordnungspolitischen Eingriffen des Staates kaschieren zu können, der wird über kurz oder lang scheitern. Das führt nämlich zum denkbar ineffizienten Umgang mit den Gütern. Die Aufgabe des Staates ist enorm wichtig. Aber sie muss an der richtigen Stelle einsetzen. Künstliche Preiserhöhungen über Steuern oder Sonderabgaben halte ich allenfalls für eine Krücke. Wir wissen doch genau, dass die industrielle Tierhaltung enorm hohe Kosten verursacht – schon für die Umwelt heute, mehr aber noch für die Lebenschancen künftiger Generationen. Und wir wissen auch, wie wir die Tiere halten müssten: Erstens so, wie es ihrem Status als Mitgeschöpfen entspricht. Da reden wir von Platz, Licht, Luft, artgerechtem Futter. Wenn wir zweitens das Futter so erzeugen, dass der Planet es aushalten kann, kommen wir automatisch bei Fleischpreisen heraus, die dazu führen werden, dass die Menschen automatisch weniger Fleisch essen.

Ist Ministerin Klöckner die Meisterin der Lüge?

Nein, eine solche Formulierung würde mir nicht einfallen. Aber sie hat ein paar Hebel in der Hand, um die Situation entscheidend zu verändern: Ordnungspolitik, Fiskalpolitik, Förderpolitik.

Was könnte sie mit diesen Hebeln konkret steuern?

Ich nenne als Beispiel für ordnungspolitische Eingriffe eine Abgabe auf Pestizide, gestaffelt nach der Schädlichkeit des jeweiligen Wirkstoffs für die Umwelt und erhoben von den Produzenten. Das Aufkommen dürfte nicht im Staatssäckel verschwinden, sondern müsste pro Hektar an die Landwirte zurückgegeben werden. So würde eine Umverteilung in Gang gesetzt zugunsten derjenigen, die möglichst wenig davon verbrauchen. Weil es eine ökonomische Abwägung ist, ob der Landwirt eine Pestizidgabe einplant oder nicht, würde die Spritze dann öfters in der Garage bleiben. Und weil ein Pestizideinsatz – dafür gibt es Studien - oft eher eine Versicherung ist, als dass er sich unmittelbar lohnt, wäre das für alle Beteiligten ein Gewinn. Nach Berechnungen des französischen „Institut National de Recherche Agronomique“ (INRA) ist nur ein Viertel der eingesetzten Pestizide überhaupt angemessen und der Rest nur eine Rückversicherung der Landwirte gegen minimale Restrisiken.

Leider sind dem Ganzen dadurch enge Grenzen gesetzt, dass nationale Abgaben indirekt jene Volkswirtschaften begünstigen, die solche Auflagen nicht haben.

Aber dafür haben wir eigentlich Europa. Ich rede nicht Trumpschen Strafzöllen das Wort. Aber ich finde, dass die Differenzen in den Produktionskosten, die zulasten ökologischer oder sozialer Standards gehen, an der Grenze ausgeglichen gehören. Heute dagegen hat der auf dem Weltmarkt die größten Chancen, dem es am besten gelingt, die Produktionskosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Oder anders gesagt: Wer’s am billigsten kann - mit der größten Ausbeutung und den meisten Umweltschäden, der hat gewonnen.

Sie nannten als Hebel auch Fördergelder. Die haben auf EU-Ebene doch mit zur Misere der industriellen Landwirtschaft beigetragen.

Das stimmt. Es kommt eben auf den Einsatz an. Statt eine schlechte Produktion teurer zu machen, können Sie ja auch eine gute Produktion billiger machen – mit Fördergeldern. Sie haben Recht, von denen gibt es auf EU-Ebene en masse: 40 Prozent des EU-Haushalts stehen dafür zur Verfügung. Die werden aber zu mindestens 80 Prozent mit der Gießkanne verteilt. Und Ministerin Klöckner scheut den Systemwechsel.

Wie sähe der aus?

Geld nicht mehr pro Fläche zahlen, sondern für konkrete Leistungen. Das geht nicht von heute auf morgen, weil alle Betriebe – auch meiner – wesentlich von der Förderung nach Fläche abhängen. Fiele sie plötzlich weg, hätte ich ein existenzbedrohendes Problem. Aber ich verstehe nicht, warum die Ministerin nicht wenigstens das Ziel formuliert und einen heute beginnenden, für alle kalkulierbaren allmählichen Ausstieg aus der Flächenförderung vertritt.

Was hat bei Ihnen dazu geführt, dass Sie die Hebel umgestellt haben?

Der Auslöser war ein wachsendes Unbehagen über den Einsatz von Pestiziden. Aber ich musste sicher sein, dass die Umstellung auf Ökolandbau auch wirtschaftlich funktioniert. Also habe ich mich hingesetzt und einen Business-Plan gemacht. Ich wollte schließlich nicht antreten unter der Maßgabe: Unser Betrieb ist seit 500 Jahren in Familienbesitz – und ich fahre ihn jetzt vor die Wand, weil ich mir da was in den Kopf gesetzt habe. Meine Berechnungen habe ich dann vorsichtshalber einem Professor gezeigt, von dem ich wusste, dass er Ökolandbau richtig blöd findet. Als der sagte, doch, deine Rechnung stimmt – da habe ich es gemacht.

Mit Erfolg?

Das Erstaunliche ist: Die Biobetriebe lagen beim ökonomischen Ergebnis – Einkommen pro Arbeitskraft - in den vergangenen 20 Jahren nur dreimal unter dem Schnitt der konventionellen Betriebe, aber 17 Mal darüber. Das sagt noch nichts über den einzelnen Betrieb aus. Da muss jeder für sich genau rechnen. Aber im Großen und Ganzen kann man doch sagen: Es wäre in vielen Fällen sehr viel rentabler, Ökolandbau zu betreiben. Seit ein paar Jahren boomt nun auch die Umstellung auf Ökolandbau. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass auch die Nachfrage in gleichem Maße hochgeht; dass die Verbraucher den Ökolandbau nicht nur in Volksbegehren fordern, sondern Bioprodukte auch in entsprechendem Maße nachfragen.

Manchmal hat man gerade in der Ernährung vor lauter Problemen das Gefühl: Um den Planeten zu retten, stellen wir das Leben am besten gleich ein.

Da das ja ohnehin keine Alternative ist, sind wir darauf angewiesen, den Planeten zu retten.

Beruhigt der Ökolandbau das schlechte Gewissen, oder rettet er den Planeten?

Im Bereich Lebensmittel-Erzeugung und Ernährung ist der ökologische Landbau die einzige Möglichkeit, den Planeten zu retten. Mit der falschen Art von Landwirtschaft, die wir „konventionell“ nennen, weil wir sie zum Normalfall gemacht haben, vernichten wir die Produktionsvoraussetzungen für unsere künftige Ernährung: biologische Vielfalt, gedeihliches Klima, Bodenfruchtbarkeit, Wasser – das sind die vier Hauptproblemfelder.

Aber der Ökolandbau – Stichwort Tierhaltung – setzt doch sehr viel mehr Fläche voraus.

Sie können das aber nicht einfach mit der Annahme hochrechnen, dass unsere Ernährung so bleiben könnte, wie sie ist. Das wäre natürlich Käse – und wird nicht zuletzt deshalb von interessierter Seite, nämlich der Agrar-Industrie, ständig so lanciert. Nein, Ökolandbau und veränderter Lebensstil bedingen einander. Nur zwei Zahlen: 40 Prozent der Getreideproduktion weltweit gehen heute in den Futtertrog, bei uns sind es sogar 60 Prozent. Und die Hälfte wird weggeworfen. Geringerer Fleischverbrauch und Vermeidung von Lebensmittelabfällen sind deshalb die entscheidenden Hebel.

Da vielfach die strengen Hygiene-Vorschriften oder Verfallsangaben für Produkte entgegen, die nicht mehr in den Verkauf kommen dürfen, oder?

Die Stadt Kopenhagen hat es binnen weniger Jahre geschafft, 90 Prozent des Angebots in allen städtischen Kantinen auf Bio umzustellen, und zwar zu gleichen Preisen. Das ist das Interessante. Weil eines klar ist: Alles gleich lassen, nur die Herkunft der Zutaten ändern – das hätte nicht funktioniert.

Wie hat es funktioniert?

Das Konzept ist sehr simpel: weniger Convenience, mehr Frische, weniger Fleisch, andere Portionsgrößen mit Nachschlag, Weiterverwertung – all das, was unsere Vorfahren bis vor wenigen Generationen wussten und wie selbstverständlich praktizierten. Die Kopenhagener haben also innerhalb eines fest gesteckten Budget-Rahmens etwas verändert. Und zwar unter dem ökonomischen Zwang, dass die jetzt verwendeten Bio-Rohstoffe sehr viel teurer sind. Der Koch der Rathausküche, ein echter Freak, hat mir voller Stolz erzählt, dass sie früher säckeweise Abfälle aus der Küche getragen hätten – heute ist es nur noch eine kleine Tüte voll. Also: Es geht!

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