Höhere Kosten für PatientenImmer mehr Investoren kaufen sich in Zahnarztpraxen ein

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Zahnbehandlung in einer Praxis.

Zahnbehandlung in einer Praxis.

  • Eigentlich dürfen wirtschaftliche Interessen medizinische Entscheidungen in Deutschland nicht beeinflussen
  • Eine Sonderregelung erlaubt aber, dass sich Investoren in Zahnarztpraxen einkaufen
  • Ein Arzt erzählt, wieso das für Patienten teuer werden kann

Köln – Finanzinvestoren haben die Zähne der Deutschen als renditestarkes Anlageobjekt ausgemacht. Seit geraumer Zeit kaufen sich Fonds bundesweit in Zahnarztpraxen ein. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie des Instituts Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen lag der deutsche Gesundheitssektor im Jahr 2017 auf Platz eins der Übernahmen durch Kapitalbeteiligungsgesellschaften. Es handle sich um eine „neue Dimension“ der Privatisierung von Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, schreibt Studienautor Christoph Scheuplein.

Die Kauflust hat einfache Gründe: Die Zinsen sind auf historischem Tiefstand, lohnende Anlagen kaum noch zu finden. Die Medizin in Deutschland erscheint da besonders lukrativ. Ein gut zahlender Sozialstaat und eine stetig älter werdende Gesellschaft garantieren aus Sicht der Anleger sichere Gewinne, in Krankenhäusern, Pflegeheimen, und mittlerweile auch in ertragreichen Praxen wie etwa der Radiologie und nun auch der Zahnmedizin.

Deutschland ist der größte Markt

Deutschland ist europaweit der größte Markt. Der Gesamtumsatz aller deutschen Praxen liegt bei mehr als 26 Milliarden Euro. Und die Altersstruktur der Inhaber ist hoch – mehr als 40 Prozent der zugelassen Ärzte sind älter als 55 Jahre. Hinzu kommt, dass sich die Suche nach einem Nachfolger oft schwierig gestaltet. Denn viele junge Ärzte scheuen mittlerweile das Risiko, hohe Summen für die Übernahme einer Praxis aufzubringen und sich neben den medizinischen auch um die aufwendigen administrativen Aufgabe zu kümmern. Sie arbeiten lieber als Angestellte.

Bei den Käufern handelt es sich oft um global arbeitende Beteiligungsgesellschaften, die ihr Kapital überwiegend über Fonds beschaffen, in denen institutionelle Investoren wie Banken oder Versicherungen aber auch vermögende Privatpersonen ihr Geld anlegen. Zu den größten Investoren gehören die schwedischen Fondsgesellschaften Altor Equity Partners und EQT.

Die Fondsgesellschaft Nordic Capital gehört ebenso zu den Branchengrößen wie das milliardenschwere Kaffee-Imperium Jacobs, das laut Medienberichten über den Ableger Colosseum Dental auf weit mehr als 200 Kliniken mit mehr als 1000 Zahnärzten in sieben Ländern kommt.

Gesetzesänderung ermöglicht Ausnahmen

Eigentlich dürfen wirtschaftliche Interessen medizinische Entscheidungen in Deutschland nicht beeinflussen. Deshalb verbietet der Gesetzgeber grundsätzlich, dass sich „Nichtärzte“ in das Gesundheitssystem einkaufen können. Im Jahr 2015 gab es allerdings eine Gesetzesänderung. Um die ärztliche Versorgung auf dem Land zu verbessern, wurde die Gründung sogenannter Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) ermöglicht: Großpraxen, in denen Zahnärzte als Angestellte arbeiten.

Manche Finanzinvestoren nutzen nun einen Hebel: Sie kaufen als erste Maßnahme eine Klinik in Geldnot. Damit sind sie berechtigt, ein Versorgungszentrum zu gründen und viele Zahnärzte anzuschließen – auch in anderen Gegenden. Es entsteht eine Praxis-Kette. Im Zuge dessen kann dann der Einkauf zentralisiert und Aufträge an Groß-Labore vergeben werden.

Einfluss auf medizinische Entscheidungen

Dabei können die Renditeerwartungen auch durchaus Einfluss auf medizinische Entscheidungen haben, schildert ein Arzt, der für eine Kette arbeitet und nicht genannt werden will. „Es wird uns sehr deutlich nahegelegt, den Patienten zu teureren Behandlungen zu raten, etwa einem Implantat, obwohl es eine günstigere Prothese auch getan hätte“, sagt der Mediziner.

Laut einer Auswertung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) zeige sich, dass investorengeführte MVZ-Ketten höhere Behandlungskosten erzeugten als traditionelle Praxen. Patienten hätten im vergangenen Jahr durchschnittlich 103 Euro gekostet, bei traditionellen Zahnarztpraxen dagegen nur 87,50 Euro.

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Im Ausland sei darüber hinaus bereits zu beobachten, dass Ketten Insolvenz anmelden mussten. Die Patienten, die Vorkasse leisten mussten, blieben ohne Leistung und ohne Geld zurück.

Konzentration auf Ballungsgebiete

Der Chef der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, Wolfgang Eßer, sieht zudem die Gefahr, dass die Anleger sich vor allem auf wirtschaftliche attraktive Ballungsgebiete konzentrieren. Es drohten Versorgungsengpässe in ländlichen strukturschwachen Regionen.

Die Kritik hat beim Gesetzgeber Gehör gefunden. Jüngst wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Gründung für Zahnmedizinischen Versorgungszentren einschränken soll. Von einem Krankenhaus betriebene Dentalzentren dürfen nur noch einen Anteil von maximal zehn Prozent an der zahnärztlichen Versorgung in einem bestimmten Gebiet haben. In überversorgten Regionen darf ein Krankenhaus kein neues Versorgungszentren mehr gründen, wenn der Versorgungsanteil der Zahnarztpraxen in Klinikhand einen Anteil von fünf Prozent an der zahnmedizinischen Versorgung erreicht hat.

Das Bundesgesundheitsministerium sagte auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeigers“: „Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung der Übernahme von MVZ durch Finanzinvestoren weiterhin sehr sorgfältig und prüft, inwieweit es weiterer Maßnahmen bedarf.“

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