Interview mit Nicole Grünewald„Kauf der IHK-Zentrale muss neu aufgerollt werden“

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Nicole Grünewald ist neue Präsidentin der IHK Köln.

  • Die Kölner IHK-Präsidentin Nicole Grünewald spricht im Interview über die Probleme mit der geplanten neuen Zentrale und blickt auf den Streit in der ersten IHK-Vollversammlung ihrer Amtszeit zurück.
  • Sie erklärt, worin die enormen Herausforderungen der Industrie- und Handelskammer in der Corona-Krise liegen und was eine zweite Welle für die Firmen in der Region bedeuten würde.
  • Außerdem äußert sie sich zur Suche eines Nachfolgers für den Ex-IHK-Hauptgeschäftsführer Ulf Reichardt.
  • Lesen Sie hier das ausführliche Interview.

Köln – Frau Grünewald, Sie sind seit einem halben Jahr im Amt als Präsidentin der IHK. Wie war der Start in Corona-Zeiten?

Anspruchsvoll. Denn Corona hat den Beginn meiner Präsidentschaft völlig anders gestaltet, als gedacht. Normalerweise steht am Anfang einer Amtszeit die Vernetzung mit anderen Entscheidungsträgern. Doch einen Tag nach meinem ersten Antrittsbesuch war Social Distancing das Gebot der Stunde und persönliche Treffen nicht mehr möglich. Was dann folgte, war eine auch für die Wirtschaft erschütternde Zeit mit enormen Herausforderungen für die IHK. Die Corona-Krise hat andererseits deutlich gezeigt, welche Bedeutung eine funktionierende Wirtschaft für unser Land hat, und wie wichtig eine IHK für ihre Mitgliedsunternehmen gerade in einer Wirtschaftskrise ist. So haben wir mit der Stadt und in Zusammenarbeit mit dem NRW IHK auch mit dem Land beraten, wie unseren Unternehmen in dieser Ausnahmesituation geholfen werden kann. Auf Bundesebene hat unser Dachverband DIHK sehr gute Arbeit geleistet: Steuerstundungen, Kurzarbeitergeld, Darlehen, Soforthilfen – so ein Hilfspaket gab es noch nie. Aber es war auch bitter nötig.

Was waren die wichtigsten Punkte?

Das Hauptproblem waren und sind die Finanzen. Viele Unternehmen hatten von einem Tag auf den anderen keine Einnahmen mehr – völlig ohne eigenes Verschulden. Erst hat die Politik versucht, diese Notlage nur über Kredite abzufedern. Dann kamen endlich die Soforthilfen, also Zuschüsse ohne Rückzahlung. Für unsere Unternehmen gab es dabei viele Fragen zu klären. Wir hatten tausende Zugriffe auf unserer Corona-Info-Seite im Internet, und unsere Hotline stand nicht still. Was mich besonders gefreut hat: Unsere Mitarbeiter waren sehr motiviert und sofort bereit, auch am Wochenende für unsere Mitglieder da zu sein – so konnten wir vielen Unternehmen helfen.

Viele Unternehmen sind trotz der Soforthilfen in existenziellen Schwierigkeiten…

Leider ist bei den Soforthilfen von Anfang an einiges missverständlich kommuniziert worden. Manche Regelungen wurden auch im Nachhinein verändert. Das führte bei den betroffenen Unternehmen zu großer Unsicherheit und zu Ärger. Nicht nachvollziehbar ist für mich zum Beispiel, warum Gehälter nicht von der Soforthilfe gedeckt werden durften. Wenn es für einige Branchen ein staatlich verordnetes Berufsverbot gibt, ist der Staat hier auch in der Verantwortung. Es ist übrigens volkswirtschaftlich günstiger, an sich gesunden Unternehmen das Überleben zu sichern, als eine Welle von Insolvenzen in Kauf zu nehmen.

Im Herbst dürfte es eine bundesweite Pleitewelle geben. Mit welchem Ausmaß rechnen Sie in der Region?

Unsere Umfragen belegen, dass es fast 80 Prozent der Unternehmen gerade nicht gut geht. Das ist eine erschreckend hohe Zahl. Die vergangenen Jahre waren für viele wirtschaftlich erfolgreich, allerdings hat die Niedrigzinspolitik eher Anreize für Investitionen als zur Bildung von Rücklagen gesetzt. Die alles entscheidende Frage für unsere Wirtschaft ist jetzt, ob wir das Virus im Griff behalten. Viele Menschen halten sich leider nicht mehr an die Regeln. Eine zweite Welle werden jedoch viele Firmen nicht überleben.

Wie hoch werden die Verluste der Kammer bei den Beitragseinnahmen sein?

Unsere Beiträge setzen sich aus einem Grundbeitrag und einer ertragsabhängigen Variablen zusammen. Wir haben sehr früh im Jahr und damit vor der Krise veranlagt. Einige IHKs, die dies nicht getan haben, müssen bereits Kredite aufnehmen. Für 2021 rechnen auch wir mit zehn bis 15 Prozent weniger Betriebserträgen.

Der Bund hat eine Azubi-Prämie in Aussicht gestellt, aber viele Unternehmen wissen nicht, wann sie kommt und wo man sie beantragt. Hat die Kammer schon mehr Informationen?

Die Azubi-Prämie ist eine richtige Idee, um die Unternehmen zu motivieren, weiter auszubilden. Ab nächster Woche können die Anträge bei der Agentur für Arbeit gestellt werden. Aktuell werden noch weniger Ausbildungsverhältnisse eingetragen als vergangenes Jahr. Das hat mehrere Gründe: Die Unternehmen wissen nicht, wie sich die Situation entwickelt, Kurzarbeit bei Azubis ist problematisch, die Schulabschlüsse wurden verschoben, Jobmessen haben nicht stattgefunden und auch Vorstellungsgespräche waren schwierig. Es ist jetzt wichtig, Azubis und Unternehmen zusammenzubringen. Dabei helfen wir gerne.

Wie weit ist Suche nach einem Nachfolger für das Amt des Hauptgeschäftsführers fortgeschritten?

Die Findungskommission hat ihre Arbeit aufgenommen. Nach den Sommerferien wird es eine öffentliche Ausschreibung geben, die von einer externen Personalberatung begleitet wird. Laut unserer Satzung macht das Präsidium der Vollversammlung dann einen Vorschlag. Die Entscheidung soll noch in diesem Jahr fallen, damit die neue Hauptgeschäftsführerin oder der neue Hauptgeschäftsführer bestenfalls schon im Januar das Amt antreten kann.

Welches Profil muss der Kandidat mitbringen?

Wir wünschen uns jemanden mit weitreichenden Erfahrungen im öffentlich-rechtlichen Bereich, etwa aus einer IHK. Die Kammerlandschaft ist eine eigene Welt mit eigenen Spielregeln, die auch rechtlich immer komplizierter werden. Da braucht man einen Profi. So wie es aussieht, wird es aber ein großes Bewerberfeld geben.

Bislang war der Posten mit 380.000 Euro zuzüglich Prämien dotiert. Wird das so bleiben?

Ich bin mit der Wahlinitiative NewKammer bei der Vollversammlungswahl für Kostenbewusstsein angetreten, und da fangen wir oben an. Und auch ansonsten machen wir gerade Tempo…

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Inwiefern?

Wir hatten bislang nur 2000 nutzbare E-Mail-Adressen von unseren 150.000 Mitgliedsunternehmen. Alle Mitteilungen wurden per Post verschickt, allein das hat rund 900.000 Euro pro Jahr verschlungen. Dies ändern wir gerade. Ein weiterer Punkt ist die IHK-Stiftung, die von uns jedes Jahr mit einer halben Million Euro bezuschusst wurde. Die Vollversammlung hat nun beschlossen, die Stiftung auflösen zu lassen und die erfolgreichen Projekte in unseren gemeinnützigen Verein GBFW zu überführen. Dann verstärken wir die politische Arbeit. Dafür wollen wir künftig auch enger mit der Kölner Handwerkskammer zusammenarbeiten, viele Themen betreffen ja beide Institutionen und ihre Mitglieder gleichermaßen. Für Politik und Verwaltung werden wir ein guter, aber auch anspruchsvoller Sparringspartner sein. Seit es wieder möglich ist, haben wir zahlreiche Gesprächstermine wahrgenommen. Die positiven Rückmeldungen zeigen, dass sich viele darüber freuen, dass die IHK sich hier wieder stärker einmischen will. Es geht doch darum, Köln und die Region weiter nach vorne zu bringen – im Sinne der regionalen Wirtschaft. Dafür muss gerade in Köln endlich der Entscheidungsstau aufgelöst werden. Beispiel Ost-West-Achse: Anstatt klarer Entscheidungen gibt es hier bislang nur Prüfaufträge. So kommen wir nicht weiter.

Ihre erste Vollversammlung als Präsidentin war eine voller Streit und heftiger Debatten. Hat sich der gelegt?

Die erste Vollversammlung fand in der Lanxess-Arena statt und der Name „Arena“ passte hier ganz gut. Wir konnten jedoch als Präsidium gemeinschaftlich alle strittigen Punkte ausräumen. Die zweite Sitzung war drei Wochen später im Tanzbrunnen – und wieder passte der Name zur Atmosphäre: Wir haben konstruktiv und engagiert politische Corona-Forderungen für Kommunen, Land und Bund diskutiert und gemeinsam verabschiedet, die jetzt an die Politik gehen. So sollte es sein – und so macht IHK-Arbeit Spaß.

Einer der Streitpunkte ist der Kauf eines neuen Kammergebäudes in Mülheim. Wie ist der Stand?

Der Landesrechnungshof hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2017 viele Kritikpunkte an der Führung der Kammer geäußert, die wir als neues Präsidium nicht ignorieren konnten. Es war unsere Pflicht zu klären, ob die Punkte mittlerweile ausgeräumt wurden, deshalb haben wir eine vertiefende Prüfung veranlasst. Im Zuge dessen haben die Prüfer auch die Entscheidung für den Umzug nach Mülheim untersucht. Diese für die IHK Köln so wichtige Entscheidung wurde im vergangenen Jahr unter enormem Zeitdruck getroffen. Die Prüfer kamen – neben anderen Erkenntnissen – zu dem Schluss, dass die Entscheidung für Mülheim nicht ohne Nutzwertanalyse hätte getroffen werden dürfen. Nach heutigem Stand müssen wir deshalb den Prozess neu aufrollen und eine solche Analyse durchführen.

Die IHK hat das Gebäude in Mülheim aber bereits gekauft.

Der jahrelange Prozess hat insgesamt sehr viel Geld gekostet. Zurzeit hat die IHK Köln zwei Hauptgebäude, das ist eins zu viel. Es gibt noch viele offene Fragen, die diesbezüglich zu klären sind. Die endgültige Entscheidung wird dann die Vollversammlung treffen.

Sie sind für Transparenz angetreten. Wann wird die Vollversammlung presseöffentlich?

Transparenz ist mehr als die Presseöffentlichkeit von Vollversammlungen. Wir haben bislang alle unsere Entscheidungen transparent kommuniziert. Wir haben uns auch zu diesem Thema mit anderen IHKs ausgetauscht. Einige lassen keine Medien zu, andere haben einen öffentlichen und einen nicht-öffentlichen Teil. Das könnte ich mir bei uns auch vorstellen, die Entscheidung liegt jedoch bei der Vollversammlung. Übrigens ist es ja so: Jede und jeder, der ein Gewerbe in unserem IHK-Bezirk hat, darf auch jetzt schon an unseren Vollversammlungen teilnehmen, denn sie sind mitgliederöffentlich.

Das Gespräch führten Thorsten Breitkopf und Corinna Schulz

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