Abo

Ausbeutung von PaketbotenJeder fünfte Kurier in NRW arbeitet zu lange – Arbeitsschutz bei Subunternehmen mangelhaft

4 min
Ein Paketbote liefert in der Innenstadt Pakete aus.

Nicht nur wegen schwerer Lasten sind die Arbeitsbedingungen in der Paketbranche prekär – auch Zeitdruck und fehlende Zeiterfassungsmöglichkeiten belasten Botinnen und Boten.

Kontrolleure haben Missstände in Nordrhein-Westfalens Paketbranche aufgedeckt. Arbeitsminister Laumann fordert ein Verbot von Werkverträgen und eine elektronische Zeiterfassung.

Drei Kisten Wein vom Lieblingswinzer, ein neues Regal oder ein zwölfteiliges Set Geschirr – all das ist schnell online bestellt. Im besten Fall bringt es der Paketbote innerhalb weniger Tage bis vor die Tür, ob ins vierte Stockwerk oder die lange Garageneinfahrt entlang. Was für Verbraucher praktisch ist, fordert Zusteller heraus: Rund zwei Tonnen Gewicht werden pro Schicht bewegt, berichtet Steffen Röddecke, Leiter der Gruppe Arbeitsschutz des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS). Gemeinsam mit Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) mahnte er am Montag die prekären Bedingungen in der Kurier-, Express- und Paket-Branche an. Laumann forderte in dem Rahmen schärfere gesetzliche Vorgaben zum Schutz von Paketboten.

Dass der Job schwer ist – im wahrsten Sinne des Wortes –, wundert beim ausufernden Bestellaufkommen während der Black Week und der Weihnachtszeit kaum. Doch die Branche sorgt nicht nur aufgrund hoher Lasten für Kritik. Die Vorurteile, die an Arbeitgebern respektive Sub- und Sub-Subunternehmern haften, wurden durch eine vom MAGS initiierte Kontrollaktion zwischen Mai und August 2025 bestätigt. Überprüft wurde eine Logistikfirma sowie 57 Subunternehmen – ein Bruchteil der auf dem nordrhein-westfälischen Markt tätigen Akteure. Alle zu erwischen, sei aufgrund der kleinteiligen, teils unseriösen Strukturen kaum machbar, erklärte Röddecke bei der Vorstellung der Ergebnisse am Montag. Auch Interviews mit 225 Paketzustellern sind in die Auswertung geflossen. Das Resultat: Bei den kontrollierten Subunternehmen wurden zum Teil gravierende Mängel festgestellt. Es ist von „Arbeitsausbeutung“ und einem „strukturellen Defizit im Arbeitsschutz“ die Rede.

Arbeitsschutz in jedem zweiten Subunternehmen in NRW mangelhaft

Der vorläufigen Analyse zufolge wurde dieser in gerade einmal sechs Prozent der Fälle als gut bewertet. Bei mehr als der Hälfte der Subunternehmen war der Arbeitsschutz mangelhaft. Es ging etwa darum, dass die Mitarbeiter nicht richtig eingewiesen waren, es keine ausreichende sicherheitstechnische Betreuung gab und zu lang gearbeitet wurde. Zum Vergleich: In vergleichbaren Branchen liege der Anteil der Unternehmen aus dem roten Bereich bei 15 Prozent, so Röddecke. Er nannte weitere Missstände, wie fehlende Schutzausrüstung und im Postgesetz vorgeschriebenen Hilfsmittel wie Sackkarren ab einem Paketgewicht von 20 Kilogramm.

„In der Branche darf es nicht so weitergehen wie bisher“, sagte daher NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann. „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Paketbotinnen und -boten ihre Arbeit unter guten Rahmenbedingungen verrichten können und die gesetzlichen Arbeitsschutzvorgaben für die Branche, die auf Bundesebene liegen, verschärfen“, forderte er.

Dafür brauche es auch eine Pflicht zur digitalen und manipulationssicheren Arbeitszeiterfassung. Dem MAGS zufolge erfasst jedes dritte Unternehmen die Arbeitszeit noch schriftlich, in fünf Prozent der Fälle findet sie demnach überhaupt nicht statt. Jeder fünfte Befragte gab zudem an, gelegentlich über zehn Stunden zu arbeiten, obwohl das gesetzlich verboten ist und Bußgelder drohen. 

DHL sticht positiv hervor

Einige Paketboten berichteten der Auswertung zufolge, dass Tätigkeiten wie Tanken und Fahrzeugreinigung nicht als Arbeitszeit gewertet würden. „Die Kontrollen haben gezeigt, dass man es mit der Arbeitszeiterfassung ganz offensichtlich oft nicht so ernst nimmt. Das geht natürlich nicht“, so der Minister. Denn daran hänge auch die Einhaltung der Zahlung des Mindestlohns. Zwar gebe es Instrumente zur Erfassung der Stunden. Zu Laumanns Unverständnis würden diese Tools allerdings eher für die digitale Paketverfolgung verwendet, als zum Schutz vor Überstunden.

Während der Arbeitsminister Marktführer DHL explizit von den Vorwürfen ausgeklammerte, richtete er seine Kritik insbesondere an die Subunternehmer, die für sogenannte Generalunternehmen unterwegs sind – also Paketdienstleister, welche die Paketzustellung ausgelagert haben. Dazu gehören DPD, GLS und Hermes. Der Online-Händler Amazon arbeitet bei der Paketzustellung ebenfalls mit Subunternehmen zusammen.

Namen dieser Firmen nannten Röddecke und Lauman nicht. Die anonymisierte Statistik zeigt lediglich, dass die Arbeitsbelastung hoch ist: Bei einer Paketfirma kamen die Zusteller der Befragung zufolge auf durchschnittlich 126 Stopps pro Arbeitstag, bei denen 206 Pakete ausgeliefert wurden. Bei drei anderen namenlos aufgelisteten Firmen waren es unter 100 Stopps. Die Zahlen lassen darauf schließen, dass nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Belastung unter Paketboten und Kurieren enorm ist. 

Arbeitsminister Laumann hält nichts von Subunternehmern in der Paketzustellung

Noch ein Grund, warum Laumann für das Verbot von Werkverträgen plädierte. Es würde Kontrollen und die Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten sowie Arbeitsschutzvorschriften erleichtern. Gegen Subunternehmen hätte er per se nichts einzuwenden, etwa, wenn die Reinigung von Fahrzeugen ausgelagert werde. „Doch wenn die Subunternehmen den Kern eines Unternehmens ausmachen, muss man sich schon fragen: Was ist da los?“ Erfahrungen aus der Fleischindustrie würden die Pläne untermauern und zeigen, dass Arbeitsbedingungen „massiv verbessert“ werden könnten. „Es soll geprüft werden, ob Ausnahmen möglich sind, wenn Subunternehmen ausschließlich sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zu tariflichen Entgeltbedingungen einsetzen“, sagte der CDU-Politiker.

Seine Vorstöße sind nicht neu. Razzien in der Paketbranche gab es schon vor Jahren, zum Beispiel 2019. Auch ein Verbot von Werkverträgen forderte Laumann bereits, unter anderem in der Sozialministerkonferenz 2023. Bis jetzt habe man dafür keine Mehrheiten in der Bundespolitik gefunden, so der Minister. „Die Paketbranche hat eine gut funktionierende Lobby.“ Gegner eines solchen Gesetzes würden die Entscheidung damit begründen, nicht regulierend in Wirtschaftskreisläufe eingreifen zu wollen. (mit dpa)