R+V-Chef Rollinger im Interview„Wir müssen mit Google und Amazon auf Augenhöhe sein“

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Norbert Rollinger lebt in Köln und leitet seit Anfang dieses Jahres die R+V-Versicherung in Wiesbaden.

Norbert Rollinger lebt in Köln und leitet seit Anfang dieses Jahres die R+V-Versicherung in Wiesbaden.

Köln – Norbert Rollinger, Chef der R+V Versicherung, im Interview über den Verkauf von Kundendaten, Digitalisierung und seine Liebe zu Köln.

Herr Rollinger, die Versicherungsbranche befindet sich in einem schwierigen Umfeld: niedrige Zinsen, hohe Regulierungsanforderungen, tiefgreifende Veränderungen durch die Digitalisierung. Sie sind seit Anfang des Jahres Vorstandsvorsitzender bei der R+V Versicherung. Wie haben Sie das Unternehmen vorgefunden?

Im Gegensatz zu manch anderem Vorstandskollegen der Branche habe ich die Versicherungsgruppe R+V in sehr guter Verfassung vorgefunden.

Das heißt, alles läuft gut, Sie müssen eigentlich nichts mehr tun?

Es gibt immer etwas zu tun. Aber wir können die großen Weiterentwicklungsthemen aus einer Position der Stärke angehen, da wir seit vielen Jahren solide wachsen und Marktanteile gewinnen.

Mehrere Versicherer wollen ihre Lebensversicherungsbestände an Investoren verkaufen, was viele Kunden verunsichert. Gibt es bei der R+V ähnliche Überlegungen?

Nein, wir bekennen uns ganz klar zur Lebensversicherung. Die Diskussionen um Verkauf und Abwicklung schadet leider der Reputation der privaten Altersvorsorge, die zum Kampf gegen die Altersarmut unverzichtbar ist. Wir stehen auch zu den entsprechenden Garantien. Die Verzinsung unserer Lebensversicherungen ist nach wie vor besser als die jedes anderen vergleichbaren Finanzprodukts.

Zur Person

Norbert Rollinger, Jahrgang 1964, wurde in Bensberg geboren und wuchs in Köln Porz auf. Er studierte Rechtswissenschaften und BWL in München und promovierte später in Gießen. Seine Karriere begann er bei der Unternehmensberatung McKinsey in Düsseldorf und Köln. 1995 wechselte er zu den DBV-Winterthur Versicherungen, später dann zur Axa. Ab 2005 arbeitete er für die Generali in München.

Im Jahr 2009 wurde er zum Vorstandsmitglied der R+V Versicherung berufen. Seit Januar 2017 ist er Vorstandsvorsitzender der R+V Versicherung mit Sitz in Wiesbaden. Rollinger ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Köln. (ksta)

Trotzdem bleibt es für alle schwierig, am Kapitalmarkt überhaupt noch etwas zu erwirtschaften.

Deshalb schauen wir uns heute auch Anlageformen an, die für uns noch vor einigen Jahren nicht interessant gewesen wären. Wir haben zum Beispiel in Gaskavernen investiert, haben eine Seebrücke gekauft und finanzieren den Kauf von Flugzeugen, die die Airlines dann leasen. Auch Infrastrukturprojekte sind interessant.

Da böten sich hier in Köln und in der Region interessante Projekte, da gäbe es zum Beispiel eine Brücke, die dringend erneuert werden muss.

Wir wären natürlich gerne bei solchen Projekten dabei, aber es fehlt an politischem Willen und damit auch an entsprechendem Angebot. Die Diskussion über staatliche Investitionen mit privatwirtschaftlicher Unterstützung ist in der Öffentlichkeit immer noch sehr ideologisch geprägt. Die Kölner Opernsanierung wäre sicher anders verlaufen, wenn ein privater Investor dabei gewesen wäre, der sich keine zeitlichen Verzögerungen leisten kann.

Ihr Geschäftsmodell, der Verkauf von Versicherungspolicen über die Bankschalter der Volks- und Raiffeisenbanken, ist in Frage gestellt. Immer weniger Kunden gehen in die Filialen, immer mehr Filialen werden geschlossen. Wie wollen Sie die Menschen erreichen?

Wir müssen uns stärker digitalisieren, um Hand in Hand mit den Bankpartnern über Smartphone, Tablet oder PC in direkten Kontakt zu den Kunden zu treten. Unsere Banken haben eine Menge Daten, aus denen sich individuelle Angebote erstellen lassen.

Die deutschen Verbraucher sind sehr sensibel, was den Umgang mit ihren Daten betrifft.

Wir als Versicherer auch. Der Kunde wird natürlich gefragt, ob er das möchte. Blicken wir auf Amazon oder Google, sehen wir aber auch, dass die Verbraucher personalisierte Angebote annehmen. Wir müssen mit diesen Anbietern auf Augenhöhe bleiben.

Digitalisierung bedeutet in der Regel auch, dass Tätigkeiten wegfallen. Werden Sie Stellen streichen?

Wir planen in den kommenden drei Jahren keinen Personalabbau. Wir haben gute Mitarbeiter, wollen sie auch behalten und durch Fortbildung weiterqualifizieren. In einem so umfangreichen Wandel, wie ihn die Digitalisierung mit sich bringt, sollte man die Belegschaft nicht verunsichern, sondern mitnehmen. Die Transformation kann ja nur gelingen, wenn die Mitarbeiter eine valide Perspektive haben und ohne Angst die Herausforderungen der Zukunft angehen können. Die Digitalisierung birgt für uns natürlich auch große Chancen.

Wie digital sind Sie denn als Chef? Haben Sie vielleicht eine Whatsapp-Gruppe mit Ihren Vorstandskollegen gegründet?

Nein. Noch haben wir ja Blackberry als Diensthandy, und auf diesen Geräten funktioniert Whatsapp zum Jahresende nicht mehr. Wir steigen 2018 auf iPhones um. Mit dem ein oder anderen Vorstand tausche ich mich über SMS aus. Hin und wieder telefonieren wir sogar miteinander (lacht). Wir wollen auf jeden Fall viel interaktiver werden – auf allen Ebenen. Und natürlich muss man das von oben vorleben.

Sie wollen in den nächsten Jahren zusätzlich 100 Millionen Euro in die Digitalisierung investieren. Wohin fließt das Geld?

Wir investieren ohnehin jedes Jahr 100 Millionen Euro in die grundlegende Transformation des Unternehmens. Diese Summe haben wir aufgestockt. Darüber hinaus sind wir zum Beispiel Gründungsmitglied des Kölner Insurlab, wo junge Gründer gefördert werden, die neue Ideen für die Versicherungswirtschaft entwickeln. Und wir haben eine eigene junge Einheit, die sich mit Zukunftsthemen wie etwa autonomem Fahren beschäftigt. Dazu gehört auch ein Test am Frankfurter Airport mit selbstfahrenden Bussen.

Was versprechen Sie sich davon?

Wir sind der drittgrößte Auto-Versicherer und der größte gewerbliche Kfz-Versicherer in Deutschland. Mit zwei Milliarden Euro Beitragseinnahmen ist das ein bedeutendes Geschäft für uns. Manche Propheten verkünden, dass das Fahren durch autonome Fahrzeuge sicherer wird und man am Ende keine Kfz-Versicherung mehr braucht. Sie verkennen, dass die Autos weiterhin draußen stehen. Es gibt weiterhin Hagel, Sturm und Diebstahl. Auch die Produkthaftpflicht für die teuren elektronischen Systeme ist ein großes Thema, so dass es auch künftig Versicherungsbedarf geben wird.

Was heißt das für die Prämien in der Haftpflicht? Bei dem abgespeckten Geschäftsmodell müssten die doch deutlich sinken?

Vor einigen Jahren haben Unternehmensberatungen bereits den Tod der Kfz-Versicherer vorausgesagt, weil Assistenzsysteme dazu führen sollten, dass man gar nicht mehr auffahren oder umkippen kann. Aber was ist passiert? Die Prämien sind in den letzten Jahren um 30 Prozent gestiegen. Warum? Weil durch immer mehr Elektronik die Autoteile viel teurer geworden sind. Und man hat auch das Smartphone nicht auf dem Schirm gehabt. 60 Prozent der Fahrer schreiben am Steuer Mails oder lesen Nachrichten und bauen dann Unfälle. Langfristig dürfte die Prämie nach jetzigem Stand aber in der Tat rückläufig sein.

Sie testen derzeit auch eine App, die Spediteuren die Suche nach Parkplätzen erleichtert. Wollen Sie mit solchen Projekten Ihr klassisches Geschäft verstärken oder versprechen Sie sich durch Datenverkauf ein neues Geschäftsmodell?

Die Parkplatz-App sehen wir als Kundenservice, der uns auch gegenüber Neukunden attraktiv macht. Sie kennen ja bestimmt die überfüllten Autobahn-Parkplätze – unsere App kann dabei helfen, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Bei unseren autonomen Bussen starten wir gerade erst in die Datenauswertung. Einen Verkauf der Daten kann ich mir nicht vorstellen. Natürlich wollen wir die Daten für uns auswerten und dazu nutzen, Ideen für neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Was schätzen Sie an Köln?

Ich bin in Bensberg geboren und habe lange mit meinen Eltern in Porz gelebt, weil mein Vater und mein Großvater dort in der Glasindustrie tätig waren. Ich bin hier verwurzelt. Man kann sich in dieser Stadt über viele Sachen aufregen, dennoch ist sie lebens- und liebenswert. Weniger wegen öffentlicher Bauten, sondern vor allem wegen der Menschen und des Lebensgefühls hier.

Ich habe drei Viertel meiner Lebenszeit hier verbracht und bin von hier aus immer zu meinen Jobs gependelt. Jetzt pendle ich nach Wiesbaden – eine Stadt, die übrigens ebenfalls eine hohe Lebensqualität bietet. Aber Karneval feiere ich natürlich lieber in der Heimat. Ich bin in der dritten Generation in der KG Fidele Grön-Wieße Rezag in Porz aktiv.

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