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Videos aus dem offenen SargDas sind die erfolgreichsten Influencer im Handwerk

Lesezeit 4 Minuten
Luis Bauer, Bestatter aus Fürth, dreht Videos im offenen Sarg.

Luis Bauer, Bestatter aus Fürth, dreht sehr ungewöhnliche Videos und hat damit sehr hohe Follower-Zahlen.

Viele Eltern schicken ihre Kinder lieber zum Studieren, dem Handwerk fehlt Nachwuchs. Aber immer mehr Influencer werben auf sehr ungewöhnliche Art für ihren Beruf.

Luis Bauer liegt im offenen Sarg. „Irgendwann landen wir alle mal hier drin, denn der Tod ist Realität“, sagt der Jugendliche im Plauderton. Dann steigt er im Internet-Video aus der letzten Ruhestätte und erklärt sich. „Ich bin 17 Jahre alt und arbeite im Bestattungsunternehmen meines Vaters als Einbalsamierer.“ Der junge Fürther ist aber mehr als das. In sozialen Netzwerken tritt er als Influencer auf. Seinen ersten Toten habe er als Grundschüler gesehen, erklärt der Jung-Bestatter die Anfänge seiner beruflichen Karriere.

Früher musste ich mich oft rechtfertigen, dass ich auf der Baustelle schaffe
Maurermeisterin Julia Schäfer

Sobald er im Gespräch erwähne, was er arbeite, müsse er immer erzählen. „Da habe ich mir gedacht, das muss doch auf sozialen Medien auch funktionieren.“ Tut es. 1,2 Millionen Menschen folgen Luis Bauer auf Tiktok, weitere gut 100.000 Follower sind es auf Instagram. Er ist mit dieser Zweitkarriere neben dem Handwerksberuf nicht allein. „Tschulique“ folgen über eine halbe Million Fans auf Instagram. Mit richtigem Namen heißt die 29-jährige Maurermeisterin Julia Schäfer. „Das ist meine Passion“, sagt sie zur Berufswahl. Es gebe wenig Schöneres, als über einer Baustelle die Sonne aufgehen zu sehen, findet die Kraichgauerin und versucht, speziell Mädchen für Bauberufe zu begeistern.

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Dem deutschen Handwerk fehlt der Nachwuchs

Als Influencer mit vielen Followern könne man schon auch Geld verdienen, räumen Schäfer und Bauer ein. Aber Ausgangspunkt oder Hauptgrund sei das in ihrem Fall nicht, betonen beide. Man könnte sagen, dass Sendungsbewusstsein der eigentliche Antrieb ist. „Früher musste ich mich oft rechtfertigen, dass ich auf der Baustelle schaffe“, erklärt die mauernde Influencerin. „Du bekommst doch nicht einmal einen Stein hoch“, habe sie sich anhören müssen. Mit ihren Videos auf sozialen Netzwerken zeige sie jetzt, dass auch Mädels auf dem Bau arbeiten können.

„Ich will Nachwuchs generieren und das geht am schnellsten über soziale Medien“, sagt sie. Im deutschen Handwerk tut das bitter Not. Mehr als 250.000 Beschäftigte fehlen bundesweit über alle Gewerke hinweg. Zehntausende Lehrstellen bleiben jedes Jahr unbesetzt. Handwerksbetriebe schließen, weil es an Nachfolgern fehlt. Das Handwerk braucht Fürsprecher. Die bekommt es in Bauer, Schäfer & Co. Die 29-jährige weiß von einer Handvoll junger Frauen, die wegen ihrer Kanäle auf sozialen Medien am Bau eine Ausbildung begonnen haben. „Baufluencer“ haben aber auch andere Beweggründe. Was treibt die Influencer an? „Das ist Anerkennung für unsere Kollegen“, sagt Felix Schröder alias gipserfelix.

Er arbeitet als Gipser und Stuckateur im elterlichen Baubetrieb und hat das dortige Schaffen erst auf dessen Webseite in Form von Videos festgehalten, um eine neue Art von Mitarbeiterbindung zu schaffen. Heute folgen ihm bei Instagram 40.000 Menschen. Das seien überwiegend andere Handwerker, weiß er. Etwa ein Zehntel seien Bauherren. Hin und wieder erhalte man aus dem Kreis auch einen neuen Auftrag. Aber ernsthaft werblich angelegt sei sein Internetauftritt nicht. Eine Mischung aus Selbstdarstellung und die etwas andere Art von Kundenbetreuung ist es bei Malermeisterin Jessica Jörges. Ihr Instagram-Name lautet „buntezukunft“ und beschreibt die Seite damit recht gut.

„Meine Kunden freuen sich, wenn ihr Wohnzimmer viele Klicks bekommt“, sagt sie über dort abgelichtete Malerarbeiten. Auch die Malermeisterin zielt auf Nachwuchsakquise. „Ausbildung liegt mir am Herzen“, sagt sie. Daneben gibt es Sanierungs- und Pflegetipps. Mit der Kamera auf die Baustelle Bauer indessen sticht durch seine jungen Jahre und den Bestatterberuf aus dem Reigen der Baufluencer heraus. Was er auf seiner Seite leiste, sei teils Trauerhilfe, erzählt der ungewöhnlich reif wirkende 17-jährige. Mal reagiere er auf Followeranfragen wie die, was bei Verstorbenen mit Zahnspangen passiert.

„Die bleibt drin und wird nicht mit einer Zange rausgebrochen“, sagt er. Menschen, die trauern, wollten oft genau wissen, was mit Verstorbenen passiert und fühlten sich besser, wenn sie es erfahren. „Wenn es jemand nicht so genau wissen will, kann er ja weiterwischen“, sagt Bauer über seine mit einem Lächeln präsentierte Seite. „Ich will es nicht trauriger machen, als es ohnehin schon ist“, erklärt er den launigen Ansatz. Es komme mittlerweile mit weit über einer Million Followern auch vor, dass er aus seiner Branche angesprochen wird, um etwa das neue Modell eines Bestattungswagens zu präsentieren. Auch tschulique hat Partner etwa für Arbeitskleidung.

„Aber man hat auch viel Arbeit“, erklärt die Maurermeisterin. Zwischen fünf und sechs Uhr morgens steht sie auf und ist dann bis 17 oder 18 Uhr am Bau. Wenn die junge Frau mauert, läuft am Stativ ihre Handy-Kamera. Danach kämen zwei Stunden Buchhaltung. „Dann geht die Social Media-Arbeit los“, beschreibt sie den Arbeitstag. Mehrere Stunden Arbeit am Bau schneide sie dann auf ein paar Minuten für Instagram zusammen. Da werde es auch mal zwei Uhr nachts. Für Nachahmer, die ihrerseits Handwerksberufe schmackhaft machen wollen, hat die Baufluencerin noch einen Tipp. „Nicht schauspielern, immer bei sich bleiben“, verrät tschulique.

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