Vom Krieg in Fleischbetrieb?Tönnies warb um ukrainische Flüchtende als Arbeitskräfte

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Tönnies Werk Rheda

Der Tönnies-Hauptsitz in Rheda-Wiedenbrück (NRW)

Rheda-Wiedenbrück/Przemyśl – Will der Fleischbetrieb Tönnies ein Geschäft mit fliehenden Menschen aus der Ukraine machen? Das ist die zentrale Frage, die angesichts eines Tönnies-Schreibens, das in sozialen Netzwerken kursiert, gestellt wird. Der Vorwurf an den Fleischbetrieb mit Hauptsitz in NRW: Tönnies wirbt an der polnisch-ukrainischen Grenze Menschen an, um sie in den Fleischbetrieben arbeiten zu lassen.

Laut eines Berichts der „Tagesschau“ erheben Flüchtlingsinitiativen schwere Vorwürfe: Demnach soll Tönnies nur Menschen mit nach Deutschland nehmen, die auch wirklich in den Werken arbeiten können – Kinder und ältere Menschen würden auf der Strecke bleiben. Der Fleischbetrieb beteuert hingegen, dass man den Menschen eine Perspektive bieten und ihnen unbürokratisch helfen wolle. Nach der Kritik hat der Betrieb das Anwerben nun eingestellt.

Tönnies-Mitarbeiter werben in polnischer Grenzstadt

In dem Schreiben des Fleischbetriebs heißt es: „Wir bieten Stellen an für Produktionshelfer im Bereich Convenience“. Die Arbeitskräfte sollen einen Stundenlohn von elf Euro und Zuschläge etwa für Nachtarbeit oder Feiertage erhalten. Außerdem verspricht der Fleischbetrieb Unterkünfte. Das Flugblatt soll demnach vor allem in Przemyśl verteilt worden sein. Die polnische Stadt nahe der ukrainischen Grenze ist eine der zentralen Ankunftspunkte für Flüchtende aus der Ukraine. Als direkte Ansprechpartner sind drei Tönnies-Mitarbeiter vor Ort.

„Wir wollten nicht nur drüber sprechen, sondern machen“, sagt Tönnies-Sprecher Fabian Reinkemeier dieser Zeitung. „Wir haben eigentlich genug Arbeitskräfte, aber es geht darum, helfen zu können.“ Die neuen Stellen in den Betrieben seien extra für die Geflüchteten aus der Ukraine geschaffen worden, heißt es in einer Mitteilung vom Donnerstag.

Nachdem es Berichte und Kritik an der Aktion gab, teilte der Fleischkonzern außerdem mit, das Anwerben einzustellen. „Sorry, vielleicht waren wir hier zu voreilig“, heißt es in der Mitteilung.

Laut Unternehmen hatte Firmenchef Clemens Tönnies Anfang März eine Initiative unterstützt, die Lebensmittel und Hygieneartikel nach Südpolen gebracht hat. Vor Ort habe Tönnies mit vielen Menschen gesprochen und so sei die Idee „des Unterstützens“ entstanden.

Organisationen üben Kritik an Tönnies

Kritik an der Tönnies-Aktion gab es unter anderem von einer Flüchtlingshilfsorganisation, berichtet die „Tagesschau“. Demnach seien laut Augenzeugenberichten nur Personen von den Tönnies-Mitarbeitern angesprochen worden, die auch wirklich in den Werken arbeiten könnten. Ältere und Kinder wolle man nicht mitnehmen, lautet der Vorwurf von „Friends of Medyka“. Außerdem beklagte ein Mitarbeiter der Organisation, dass die Lage für Flüchtende unübersichtlich sei, so werde womöglich jedes Fluchtangebot wahrgenommen.

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Tönnies konterte die Vorwürfe, nur arbeitsfähige Menschen anzusprechen, wie folgt: „Der Vorwurf ist hanebüchen“. Gesetzlich dürften Familienangehörige nicht in Dienstwohnungen untergebracht werden. Tönnies gebe nur Zusagen, wenn sich auch entsprechende Familienunterkünfte finden ließen. „Daher sind wir bei Frauen mit Kindern sehr sensibel“, heißt es als Antwort auf eine schriftliche Anfrage dieser Zeitung.

Wie viele Menschen Tönnies an der Grenze angesprochen hat, ist unklar. Laut Unternehmen haben bislang „rund ein Dutzend“ das Angebot für einen Job in Deutschland angenommen.

Der Fleischhersteller war in der Vergangenheit wegen Arbeitsbedingungen in die Kritik geraten. Dabei ging es vor allem um unzureichende Schutzmaßnahmen in den Betrieben während des Ausbruchs der Corona-Pandemie.

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