Werner Hoyer im Interview„Europas Einfluss schwindet“

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Werner Hoyer

  • Werner Hoyer (67) ist seit 2012 Präsident der Europäischen Investitionsbank. Der Diplomvolkswirt war von 1994 bis 1998 Staatsminister im Auswärtigen Amt und von 2002 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion.
  • Von 2009 bis 2011 amtierte Hoyer erneut als Staatsminister im Auswärtigen Amt. Die Förderbank der EU soll Unternehmen und Institutionen mit Krediten und Bürgschaften unterstützen.
  • Im Interview spricht er über die Europawahlen und den internationalen Wettbewerb.

Herr Hoyer, mit welchen Erwartungen blicken Sie auf die anstehende Europawahl?

Ich bin in Sorge, wenn ich sehe, was für krude Ideen manche populistischen Parteien vertreten. Es besteht aber kein Grund zur Panik. Wenn ich die Umfragen lese, bin ich durchaus entspannt. In den vergangenen 40 Jahren wurde das Europa-Parlament von nur zwei Blöcken beherrscht, dem konservativen und dem sozialdemokratischen. Das wird sich jetzt ändern. Grüne und Liberale werden stärker an Entscheidungen beteiligt werden müssen. Das belebt die politische Debatte und verändert die Mehrheiten.

Es ist aber davon auszugehen, dass vor allem rechtspopulistische Kräfte stark zulegen ...

Das kann passieren, aber man muss der Versuchung widerstehen, mit diesen Kräften Deals einzugehen. Viel mehr Sorge macht mir derzeit die Vernachlässigung der europäischen Integration insgesamt. Es gab mal eine Zeit, in der jeder Regierungschef zu EU-Gipfeln einen Baustein für Europa mitbrachte, damit daraus ein bedeutendes Gebäude entsteht. Heute hat man eher den Eindruck, jeder versucht, einen Stein herauszuziehen. Die großen Errungenschaften der Europäischen Union werden nicht mehr ausreichend geschätzt.

Woran liegt das?

Die Länder des Westens haben den Systemkampf 1990 gewonnen. Es folgte die Erweiterung der EU nach Osten, aber leider nicht die nächste Stufe der europäischen Integration. Nun erleben wir eine Krise des Westens: Der wichtigste Partner, die USA, stellen derzeit die gemeinsame Werteordnung massiv in Frage. Wir aber müssen diese Werte in Europa verteidigen, sonst droht die Europäische Union irrelevant zu werden.

Inwiefern?

Europas Erfolg basiert nicht nur auf der Sicherung von Freiheit und Frieden, sondern auch auf der ökonomischen Leistungsfähigkeit. Wir waren technologisch Spitze, doch das gilt heute nicht mehr in dieser Form. Europa investiert deutlich zu wenig in Forschung und Entwicklung. Es sollten ursprünglich mal drei Prozent des Sozialprodukts sein. Wir liegen aber gerade einmal bei zwei Prozent. Seit 15 Jahren geben die Europäer jedes Jahr rund 1,5 Prozent ihres Sozialprodukts weniger hierfür aus als die Konkurrenz in Nordamerika und Asien. Das führt dazu, dass die wirtschaftliche Kraft und damit auch der politische Einfluss Europas schwinden. Im Vergleich dazu kann wirtschaftlicher Erfolg die Anziehungskraft autokratischer Systeme erhöhen. Es besteht die Gefahr, dass autokratische Systeme wieder in Mode kommen. Die Menschen werden in die Versuchung geraten, für wirtschaftlichen Erfolg auf Freiheit zu verzichten.

Was muss die EU tun, damit Europa bei den Menschen wieder einen höheren Stellenwert bekommt?

Wir haben ein Kommunikationsproblem in Europa. Nationale Politiker haben die Neigung, Misserfolge Brüssel zuzuschreiben und Erfolge für sich selber zu reklamieren. Nicht nur die EU selbst muss mehr für sich werben, auch die Politiker in den Mitgliedsländern müssen klar kommunizieren, was Europa bietet und was sie dort erreichen wollen.

Wo sind Sie mit Ihrer Bank in NRW engagiert?

Eines der größten Projekte ist die Renaturierung der Emscher. Ein Jahrhundert lang haben Bergbau und Abwasserkanäle dem Gebiet zugesetzt. Dort sind wir mit 1,3 Milliarden Euro investiert. Wir sind auch an der Sanierung des Kölner Opernquartiers wie auch am Ausbau des Rhein-Ruhr-Express beteiligt.

Wie sieht es bei der Leverkusener Brücke aus?

Nein, aber das könnte ein gutes Projekt sein, wenn sich der Bund für eine Private-Public-Partnership-Finanzierung entscheiden würde. Wenn wir in der Lage sind, den Ausbau und die Rehabilitierung des Panama-Kanals zu finanzieren, können wir das auch mit einer Brücke in Leverkusen (lacht). Aber der politische Wille und damit die Nachfrage sind bisher nicht da.

Bei der digitalen Infrastruktur hinkt Deutschland hinterher. Auch mit dem 5G-Standard wird es keine flächendeckende Versorgung geben. Was läuft falsch?

Wer mit der Bahn in Zentralchina unterwegs ist, hat eine lückenlose Internet-Verbindung – versuchen Sie das mal zwischen Köln und Luxemburg. Dabei ist schneller Internetanschluss aus meiner Sicht heute schon fast ein Grundrecht. Bei der Versteigerung der 5G-Lizenzen muss der Staat die Anforderungen so ansetzen, dass eine flächendeckende Versorgung erreicht wird. Der Flickenteppich, den wir haben, ist nicht mehr haltbar. Wenn der Markt das nicht schafft, muss der Staat mit einer Förderung einspringen. Digitale Infrastruktur ist Teil der Daseinsvorsorge.

Die EIB hat VW bei der Entwicklung genau des Motors unterstützt, der Auslöser für den Diesel-Skandal war. Schauen Sie bei der Vergabe jetzt genauer hin?

Über die Art des Umgangs mit dem Problem bei VW waren wir sehr enttäuscht. Das hatte auch Konsequenzen: VW war seit Oktober 2015 von der Kreditvergabe der EIB suspendiert, und wir haben in Folge einer Untersuchung des europäischen Amts für Betrugsbekämpfung mit VW vereinbart, dass VW noch für mehr als ein Jahr keine Projekte bei uns einreichen wird. Wir wurden als Kreditgeber vorgeführt. Der Konzern hat dafür auch kräftig zahlen müssen. Unsere Kreditanforderungen sind bereits sehr hoch. Der Diesel-Skandal war ein schwerer Fall von Vertrauensverlust, dagegen lässt sich schwer absichern.

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