ErfahrungsberichtIch bin dann mal offline: Leben ohne Smartphone – aber wie?

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Illustration: Menschen starren mit gesenktem Kopf auf ihre Smartphones.

Digital Detox im Selbsttest: Drei Wochen ohne Handy – Wie fühlt sich das an?

Wie oft haben Sie heute schon auf Ihr Handy geschaut? Bei vielen Menschen sind die digitalen Helfer im Dauergebrauch – das kann jedoch krank machen. Helfen soll dagegen Digital Detox, eine digitale Entgiftungskur. Unsere Autorin hat es ausprobiert und drei Wochen auf ihr Handy verzichtet. Ein Erfahrungsbericht.

E-Mail-Benachrichtigungen? Aus. Slack-Benachrichtigungen? Aus – auch das Urlaubsemoji ist gut zu sehen; so wissen die Kolleginnen und Kollegen, dass ich erst einmal nicht mehr erreichbar bin. Nur noch ein letzter Punkt auf meiner Checkliste fehlt: Whatsapp-Benachrichtigungen? Aus. Ach, Mist! Ich habe vergessen, einer Freundin Bescheid zu geben, dass ich für die nächsten drei Wochen offline bin.

Denn wie schon im vergangenen Jahr mache ich in meinem Urlaub wieder Digital Detox. Also quasi eine digitale Entgiftung. Heißt: drei Wochen kein Handy, keine Nachrichten, keine E-Mails, keine sozialen Medien. Einfach nur offline sein.

Der Versuchung widerstehen

Da meine Freundin ohnehin zu den Menschen gehört, die nur alle Jubeljahre mal ein Lebenszeichen in Form von „Hey!“ von sich geben, gehe ich das Risiko ein, eine Nachricht von ihr zu verpassen. Sie wird hoffentlich verstehen, dass ich eine Smartphonepause brauche.

Ich habe in den vergangenen Wochen genug am Handy gehangen. Der Signalton, der ertönt, wenn bei mir eine Nachricht eingeht, hallt in meinen Ohren. Die Flut an E-Mails, die täglich mein Postfach überschwemmt, ist nur noch lästig. Auch die Posts auf X (einst Twitter) und die Bilder auf Instagram langweilen mich nur noch.

Höchste Zeit, die digitale Welt hinter mir zu lassen – zumindest vorübergehend. Ich deaktiviere also alle Benachrichtigungen und lege das Handy in den Schrank. Aus den Augen, aus dem Sinn, heißt es ja so schön. So komme ich erst gar nicht in Versuchung, doch einen kurzen Blick auf das Display zu werfen.

Es ist mein drittes Digital Detox und eigentlich sollte ich das Gefühl kennen, doch die ersten Tage offline sind ungewohnt langweilig
Laura Beigel

Wer mich in den kommenden Tagen erreichen will, muss ganz oldschool zum Telefonhörer greifen und anrufen. Auf laut geschaltet ist mein Handy weiterhin – für Notfälle. (Bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Handyakku den Geist aufgibt. Dann muss das Festnetztelefon reichen.)

Plötzlich herrscht Langeweile

Es ist mein drittes Digital Detox und eigentlich sollte ich das Gefühl kennen, doch die ersten Tage offline sind ungewohnt langweilig. Und mit Langeweile kann ich grundsätzlich nicht umgehen. Ich schlendere durch die Wohnung, schaue aus dem Fenster, setze mich auf die Couch – doch da spukt immer diese Frage in meinem Kopf: Was stelle ich mit meiner neu gewonnen freien Zeit an?

Das Handy ist für mich nicht nur eine Verbindung zur Außenwelt, sondern bietet auch Ablenkung. Wenn ich nicht Nachrichten und E-Mails beantwortet habe, habe ich damit entspannt Musik gehört oder Videos und Filme angeschaut. Einfach, um vom stressigen Alltag abzuschalten. Auf dieses Entertainmentprogramm muss ich in den kommenden Tagen verzichten.

Zum Glück habe ich vorgesorgt: In meinem Regal türmt sich ein großer Bücherstapel. Außerdem will ich ein paar Tagesausflüge machen, habe noch eine größere Reise vor mir und – das ist der unliebsame Teil des Urlaubs – ein kleiner spätsommerlicher Frühjahrsputz steht auch noch an. Genug also, um mich vom Handy abzulenken. Musik kann ich wiederum mit dem CD-Player hören (funktioniert der noch?), Filme und Serien kann ich im Fernsehen schauen. Also auch da habe ich Alternativen.

Warum das Handy gesundheitsschädlich ist

Immer wieder mache ich mir die Vorteile des Handyverzichts bewusst: Nicht nur, dass ich die digitale Welt für kurze Zeit hinter mir lassen kann, sondern ich tue auch noch meinem Körper etwas Gutes.

Denn dauerhaft auf das Smartphone zu starren macht krank. Es ist schlecht für den Rücken und die Hände. Jeder, der mal länger nach unten auf sein Handydisplay geschaut hat, weiß, wie sich der Nacken mit der Zeit verkrampft. „Muskel-Skelett-Beschwerden entstehen durch eine nicht neutrale, teilweise statische Haltung, häufig wiederkehrende Bewegungen und hohe Muskelaktivität“, beschreibt es eine 2018 erschienene Studie. Eine andere Forschungsarbeit hatte gezeigt: Neigen wir den Kopf nur um 45 Grad, lastet dabei ein Gewicht von 22 Kilogramm auf unserem Nacken – so viel, wie eine Europalette wiegt.

Die Folgen sind Nackenverspannungen und Sehnenscheidenentzündungen. Symptome, die oftmals als „Whatsappitis“ zusammengefasst werden. Auch Handynacken oder iPhone-Schulter sind beliebte Begriffe für die neue Volkskrankheit.

Gleichzeitig stört das blaue Licht des Smartphones den Schlaf. Wer vor dem Zubettgehen noch E-Mails liest oder videotelefoniert, signalisiert seinem Körper unbewusst, dass es noch Tag ist. Das Schlafhormon Melatonin wird unterdrückt, Schlafprobleme können auftreten. Es könnte sogar sein, dass das blaue Licht die Netzhaut der Augen schädigt und zur Erblindung führt. Das ist jedoch wissenschaftlich noch umstritten.

Funktioniert offline ohne online?

Wer ab und an auf das Handy verzichtet, lebt folglich gesünder. Doch es ist schwer, den digitalen Reizen zu widerstehen. Das merke ich während meines Digital Detox immer wieder. Mehrmals stoße ich in meinem neuen Alltag ohne Handy an meine Grenzen – und das bei banalen Alltäglichkeiten wie etwa dem Wetterbericht.

Normalerweise würde ich mein Handy nehmen und das Wetter für die nächsten Tage googeln. Offline gibt es für mich nur zwei Möglichkeiten: das Radio und den Fernseher. Zu meinem Pech sind die Wetterberichte von beiden Medien ungenau, sodass ich in den kommenden Tagen vorsichtshalber doch immer einen Schirm mit mir herumtrage, obwohl purer Sonnenschein vorhergesagt ist. (Und das hat sich nicht nur einmal rentiert.)

Wie bequem wäre es gewesen, wenn ich die Öffnungszeiten des Supermarkts online hätte nachschauen können, statt später vor verschlossener Tür zu stehen?
Laura Beigel

Wie entspannt wäre es gewesen, wenn ich einfach den Wetterbericht und Regenradar am Handy hätte checken können? Wie simpel wäre es gewesen, wenn ich die Hafenstraße auf der Onlinestraßenkarte hätte suchen können, statt mich mit der Straßenkarte aus Papier herumzuärgern? Wie bequem wäre es gewesen, wenn ich die Öffnungszeiten des Supermarkts online hätte nachschauen können, statt später vor verschlossener Tür zu stehen?

So manches Mal habe ich es verflucht, kein Handy zu haben. Denn irgendwie scheint die Offlinewelt nicht mehr ohne die Onlinewelt zu funktionieren. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum wir uns so schwer von den digitalen Helfern lösen können.

Expertin: „Soziales ist einfach Fokus“

Tatsächlich liegen unserer Abhängigkeit vom Handy aber auch psychologische Mechanismen zugrunde. „Unser Hirn ist immer auf der Suche nach neuen Reizen“, erklärt Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der HMKW – Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln.

Dabei bevorzugen wir vor allem negative Reize. Denn ein verpasster negativer Reiz könnte im schlimmsten Fall eine verpasste Gefahr bedeuten – und damit potenziellen Schaden. „Das heißt, diese Aufmerksamkeit, dass wir immer auf der Suche nach Input sind, ist evolutionsbiologisch bedingt, inklusive der Vorliebe für alles Negative“, sagt sie.

Diese Aufmerksamkeit, dass wir immer auf der Suche nach Input sind, ist evolutionsbiologisch bedingt, inklusive der Vorliebe für alles Negative
Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der HMKW

Es gibt aber noch eine zweite Komponente: „Soziales ist einfach Fokus.“ Was Urner damit meint, ist: Das Smartphone lockt mit sozialen Reizen. Wir posten zum Beispiel ein Bild auf Instagram und warten dann darauf, dass die anderen reagieren, dass sie das Foto liken oder sogar teilen. „Wir sind nicht nur aufmerksamkeitssuchende Wesen“, so die Expertin, „sondern wir sind auch immer auf der Suche nach sozialem Feedback, weil wir soziale Wesen sind.“

Diese erhofften sozialen Reaktionen führen dazu, dass wir unser Handy regelmäßig kontrollieren. Expertinnen und Experten sprechen von Fomo, der Fear of missing out – auf Deutsch: der Angst, etwas zu verpassen. Das können soziale, real stattfindende Ereignisse sein oder eben Beiträge auf Instagram, Snapchat und Co. Die Angst, etwas zu verpassen, könne schnell zu einem deutlich abhängigen Verhalten führen, warnt Urner.

Wie wir uns vom Handy losreißen

Ein radikaler Digital Detox kann helfen, der Fomo entgegenzuwirken – aber nur kurzzeitig. Um langfristig seltener zum Handy zu greifen, ist es notwendig, die eigenen Gewohnheiten zu ändern. „Wichtig ist es, Routinen zu schaffen“, rät Urner. Dabei können Wenn-dann-Bedingungen helfen. Ein Beispiel hierfür wäre: Wenn ich nach Hause komme, dann packe ich das Handy in den Schrank.

Neben Zeitpunkten können auch Orte und Situationen bei Wenn-dann-Bedingungen helfen. Also: Wenn ich mich mit Freunden treffe, dann bleibt das Handy in der Tasche. „Sonst wird es jedes Mal wieder ein Abwägen: ‚Mach ich das oder nicht?‘“, sagt Urner. Das kann zusätzlichen Stress bedeuten.

Die Neurowissenschaftlerin empfiehlt zudem, sich mit anderen Dingen abzulenken, „wo wir in den Flow kommen“. Das können Sport, Naturerfahrungen wie Spaziergänge oder Musik sein. „Dann vergessen wir, dass da noch etwas anderes ist, dann vergessen wir auch die Fomo.“

Leben im Hier und Jetzt

Auch ich habe mein Handy während meines Digital Detox irgendwann weitgehend vergessen. Stattdessen habe ich mehr im Moment gelebt, habe es genossen, einmal nur Zeit für mich zu haben, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Was auch immer ich gerade online verpasst habe, es war mir egal.

Umso schwerer fällt es mir, das Handy nach den drei Wochen wieder aus dem Schrank zu holen. Aber es hilft nichts: Für meinen Job brauche ich die Onlinewelt, die sozialen Medien nun einmal. Vergeblich versuche ich, das Handy einzuschalten. Der Akku ist wie gedacht aufgebraucht. Wieder aufgeladen, reaktiviere ich die Benachrichtigungen und werde gleich mit Dutzenden Nachrichten überschüttet: 110 ungelesene E-Mails, vier Twitter-, drei Slack- und zehn Whatsapp-Nachrichten.

Ichhabe mehr im Moment gelebt, habe es genossen, einmal nur Zeit für mich zu haben, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen
Laura Beigel

Die digitale Welt hat mich wieder. Verändert hat sie sich nicht – sie ist noch genauso reizüberflutend wie zuvor. Und so plane ich schon meine nächste Auszeit, während ich die ungelesenen Nachrichten durchforste. Tatsächlich ist auch ein „Hey!“ besagter Freundin darunter. Vielleicht könnte sie mir das beim nächsten Mal direkt sagen, denke ich. Offline. (RND)


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